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Klimaziele werden nicht erreicht

Tagebauwüste. Bild: SRU

Die Energie- und Klimawochenschau: Von Kohleausstieg, Tagebauen, stagnierender Energiewende, verhafteten VW-Managern, Diesel-Subventionen und einem grünenden China

Noch ist offen, ob es tatsächlich in Berlin zu einer Jamaica-Koalition der Unionsparteien mit den Grünen und der FDP kommen wird, und vor den Niedersächsischen Landtagswahlen am 15. Oktober werden sich die potenziellen Koalitionäre sicherlich nicht viel bewegen.

Nur einige Unionspolitiker versuchen schon mal mit markigen Sprüchen Pflöcke abzustecken. Insbesondere in Bayern und Sachsen scheint man weder Euro-Krise noch Armut, weder Arbeitslosigkeit noch Wohnungsnot, weder Klima-Krise noch Zukunftssorgen der Automobilindustrie zu kennen [1], sondern keine größeren Probleme zu haben, als dass Deutschland sich verändern oder dass auf einmal die Hälfte der Bevölkerung mit Burkas herum laufen könnte.

Wie dem auch sei, andere machen sich derweil über die realen Probleme Gedanken, vor denen das Land steht. Der Sachverständigen Rat für Umweltfragen [2] fordert in einer ausführlichen Stellungnahme [3] den Ausstieg aus der Kohle unverzüglich einzuleiten. Die beginnende Legislaturperiode sei die letzte Chance, die Weichen für eine "angemessene Umsetzung der Pariser Klimaziele in Deutschland zu stellen".

Deutschland muss die Stromerzeugung aus Kohle schnellstens reduzieren und mittelfristig beenden, sonst sind die Klimaziele in Deutschland nicht zu erreichen. Der strukturverträgliche Kohleausstieg sollte daher unverzüglich eingeleitet werden. Das letzte Kraftwerk muss in spätestens 20 Jahren vom Netz gehen.

Claudia Kemfert [4], SRU-Mitglied, Ökonomin und Abteilungsleiterin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung

Dem Sachverständigenrat schwebt ein Budgetansatz vor. Demnach sollte zum einen ein Menge an Treibhausgasen festgelegt werden, die insgesamt noch von deutschen Kohlekraftwerken ausgestoßen werden dürfe. Angemessen seien hierfür zwei Milliarden Tonnen, was in etwa dem Sechsfachen der derzeitigen jährlichen Emissionen der Energiewirtschaft [5] entspricht.

Zum anderen sollten die besonders ineffizienten und daher emissionsintensiven Kraftwerke bis 2020 abgeschaltet und die moderneren Anlagen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit noch bis 2030 mit verminderter Auslastung weiter genutzt werden.

Wichtig sei ein strukturierter, langfristig angelegter Ausstiegspfad. Dieser könne den Beteiligten Planungssicherheit geben, wobei der Ausstieg, so die Forderung der Wissenschaftler des Beirats, auch mit einem organisierten Strukturwandel einhergehen müsse. Angesichts der Erfahrungen mit dem Niedergang des Bergbaus an Ruhr und Saar, den Werften an der Küste und fast der gesamten Industrie in Ostdeutschland nach 1990 ist das eigentlich eine Binsenweisheit, die aber von den Politikern der allermeisten Parteien und auch Teilen der Öffentlichkeit noch immer nicht verinnerlicht ist.

Das zeigen nicht nur das auch industriepolitisch vollkommen desaströse Programm der radikalen Rechten, sondern auch der Umgang der letzten beiden Merkel-Regierungen mit der Solar- und Windenergie. Statt deren kontinuierlichen Aufbau als Alternative zu den obsoleten Industrien zu befördern, wurden ihnen immer wieder Steine in den Weg gelegt, die insbesondere bei Ersteren zu einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen und Kapazitäten führte.

Besonderen Bedarf für einen organisierten Strukturwandel gibt es in den ostdeutschen Braunkohleregionen, in denen Arbeitsplätze ohnehin eher eine Mangelware sind. Nach Ansicht des SRUs sollte dort kein Tagebau mehr erweitert oder gar neue erschlossen werden. Die bereits genehmigte Abbaumenge in den existierenden Gruben reiche aus, um die Kraftwerke unter der Maßgabe des vorgelegten Ausstiegsplans zu befeuern.

Das sieht man beim Bündnis "Strukturwandel jetzt - Kein Nochten II" ganz ähnlich. In einer Stellungnahme [6] hat es zu Beginn der Woche gefordert, die Anwohner des Tagbaus Nochten im östlichen Sachsen besser zu schützen. In den Orten Rohne, Mulkwitz und Schleife solle, so die Forderung, die bisher vorgesehene Abbaugrenze zurückgelegt werden.

Auch in Nordrhein-Westfalen gelte ein Mindestabstand zwischen den Siedlungen und dem dortigen Tagebau Garzweiler. In Sachsen und Bayern, so lässt sich anfügen, müssen neue Windkraftanlagen sogar einen Abstand von rund zwei Kilometern zur nächsten Siedlung halten. In Nochten ist hingegen geplant, die riesigen Abraumbagger bis auf 200 Meter an die Häuser heranrücken zu lassen.

Energiewende stagniert

Derweil gibt es jedoch lauter werdende Bedenken, die Energiewende könne ins Stocken geraten. Das Ziel, den Endenergieverbrauch bis 2020 zu 18 Prozent mit erneuerbaren Energieträgern abzudecken, gerate in immer weitere Ferne, heißt es [7] beim Bundesverband Erneuerbare Energien, in dem die verschiedenen Organisationen hauptsächlich der Wind-, Solar- und Biogasbranche zusammengeschlossen sind.

Derzeit würden nur 16 Prozent erreicht, weshalb die nächste Bundesregierung den Ausbau deutlich beschleunigen müsse. Das würde auch die industrielle Wertschöpfung steigern und Arbeitsplätze schaffen. Momentan herrsche aber Stagnation.

Seit Jahren gebe es keine Fortschritte in den Bereichen Wärme und Verkehr und jetzt gerate die Entwicklung sogar im Stromsektor ins Stocken. Die dort eingeführten Höchstbeträge für den jährlichen Ausbau, die sogenannten Deckel, widersprächen einem marktwirtschaftlichem Ansatz.

Für die Einführung von Speichertechnologie gebe es kontraproduktive Barrieren. 23 der 28 EU- Länder würden ihre entsprechenden Ziele [8], die im gewichteten Mittel bei 20 Prozent liegen, übererfüllen, aber Deutschland schaffe nicht einmal 18 Prozent. Zudem steige vor allem im Wärme- und Verkehrssektor der Verbrauch. Auch deswegen werde Deutschland sein selbst gestecktes Klimaschutzziel nicht erreichen.

Abgasskandal ohne Ende

Passend dazu zieht der Abgasskandal weiter seine Kreise und könnte jeden Politiker, der es wissen möchte, daran erinnern, dass die klägliche Klimabilanz des Verkehrssektors auch damit zu tun hat, dass die deutsche Automobilindustrie sich jahrzehntelang mit windigen Selbstverpflichtungen vor strikten gesetzlichen Vorgaben in Sachen Kraftstoffsparen und Abgas vermeiden drücken konnte.

Nun wurde vergangene Woche ein einst im VW-Konzern hochrangiger Manager festgenommen [9]. Die Staatsanwaltschaft München hat ihn in Verdacht, am Betrug und strafbaren Werbung beim Verkauf von Dieselfahrzeugen in den USA beteiligt gewesen zu sein. Angeblich soll es sich um einen ehemals engen Vertrauten des seinerzeitigen VW-Chefs Martin Winterborns handeln.

Wie sehr die Hersteller von Dieselfahrzeugen in Europa bevorteilt werden, zeigt unterdessen eine kleine Untersuchung [10] der in Brüssel ansässigen Organisation Transport and Environment. Demnach hätten Steuer- und andere vom Gesetzgeber eingeräumte Vorteile dafür gesorgt, dass 70 Prozent aller weltweit verkauften Diesel-PKW und -Lieferfahrzeuge auf den Straßen der EU rollten.

Durch den "Diesel-Bonus" seien zum Beispiel 2016 den EU-Finanzministern 362 Milliarden Euro entgangen, die sie eingenommen hätten, würde Diesel im gleichen Maße wie Benzin besteuert.

Und da wir gerade von Geld reden: Der Diesel-Skandal hat dem VW-Konzern inzwischen rund 30 Milliarden US-Dollar oder 25,4 Milliarden Euro gekostet, berichtet [11] die Plattform Cleantechnica.

Würde man diese Summe auf die 4,4 Millionen Menschen [12] verteilen, die seit 1990 in Deutschland Schutz vor politischer Verfolgung oder vor Krieg und Bürgerkrieg gesucht haben (davon nicht ganz 480.000 2015, knapp 746.000 2016 und 150.000 vom Januar bis August 2017), und von denen einige meinen, dass das Land mit ihnen so schrecklich überfordert sei, dann ergebe das 5770 Euro pro Person.

Bioplastik: Gar nicht "bio"

Teil unserer Energie- und Ressourcenprobleme rühren von den Bergen von Verpackungsmüll her, die seit Jahrzehnten Gegenstand umweltpolitischer Auseinandersetzungen sind. Wie wird am besten Müll vermieden? Wie am wenigsten Energie verbraucht? Wie die Umwelt am wenigsten belastet?

Das sind die Fragen, wenn es um die Flasche fürs Mineralwasser, die Tüte fürs Brot oder den Becher für den schnellen Kaffee unterwegs geht. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) weist in diesem Zusammenhang [13] jetzt daraufhin, dass sogenanntes Bioplastik keine sinnvolle Alternative sei. Nicht alles, was sich "grün" gebe, sei es auch. Stelle man für das sogenannten Bioplastik eine umfassende Ökobilanz aller Vor- und Nachteile auf, so ergebe sich kein Vorteil gegenüber herkömmlichen Plastik.

Wenn in Fußballstadien oder beim Picknick im Park aus Bioplastik-Einwegbechern getrunken wird, so werden im Vergleich zu Mehrwegbechern weder Ressourcen geschont, noch das Klima entlastet. Bioplastik ist eben nicht umweltfreundlich, nur weil es die Vorsilbe "bio" enthält. Tatsächlich bauen sich viele der sogenannten biologisch abbaubaren Kunststoffe in der Landschaft nicht schneller ab als herkömmliche Kunststoffe. Jüngste Studien zeigen zudem, dass sich die meisten dieser Biokunststoffe, wie etwa PLA, in Wasser praktisch nicht zersetzen.

Jürgen Reesch, DUH-Bundesgeschäftsführer

Häufig würde die Entsorgung vermeintlichem Bioplastiks im Bioabfall die Kompostierer vor erhebliche Probleme stellen. Dies müsse meist aussortiert werden, weil es vom herkömmlichen Plastik kaum zu unterscheiden ist und die Qualität des Komposts verschlechtere. Entsorgung über den gelben Sack mache aber auch keinen Sinn, da das vermeintlich umweltschonende Plastik nicht recyclebar sei.

So beobachten denn die Umweltschützer mit Sorge, dass der auf Pflanzenbasis erstellte Kunststoff mit nicht erfüllbaren Umweltversprechen beworben wird und sinnvollere Mehrwegkonzepte verdrängt. Daher fordern sie, das mit dem sogenannten Green-washing von Einwegprodukten aufgehört werde. Notfalls wolle man versuchen, dies per Gerichtsentscheid durchzusetzen.

Frieden ohne Erdöl?

Zahlreiche Kriege sind in den letzten Jahrzehnten um den Zugriff und die Verfügungsgewalt über das Erdöl geführt worden. Schon im August 1953 stürzten britisch und US-amerikanische Geheimdienste den demokratisch gewählten Premierminister Irans Mohammad Mossadegh [14], verhalfen einer grausam aber in ihrem Interesse regierenden Monarchie ins Amt und legten damit den Grundstein für die autoritäre Mullah-Herrschaft.

Mossadegh hatte die Todsünde begangen und die im britischen Besitz befindliche Ölgesellschaft verstaatlicht.

Wäre die Welt also ein friedlicherer Ort, wenn die Weltwirtschaft endlich ihre Abhängigkeit vom schwarzen Gold überwinden könnte und auf erneuerbare Energieträger umschalten würde?

Nicht unbedingt, meinte letzte Woche Christoph Bals von der Nichtregierungsorganisation German Watch in einer Kolumne [15] auf Klimaretter.de. Aus der Perspektive von Staaten wie Russland und Saudi Arabien, die im hohen Maße vom Erdöl- und Erdgasexport abhängig sind, könne das Werben für die Energiewende durchaus wie ein aggressiver Akt aussehen.

Daher gehöre zu einer friedensstiftenden Politik unbedingt eine Kooperation mit den Exporteuren, die diese beim Umbau ihrer Ökonomie unterstützt.

China grünt

Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche.[Link auf https://www.globalresearch.ca/chinas-electric-power-continuing-green-shift-water-wind-and-sun-wws/5609650] [16] Die Plattform Global Research berichtet [17] von neuesten Zahlen der chinesischen Energiebehörde. Demnach waren im ersten Halbjahr 2017 rund 70 Prozent aller neuen Stromerzeugungskapazitäten entweder Wasser-, Wind oder Solarkraftwerke.

Zwei Prozent entfielen auf neue Atomkraftwerke und der Rest auf Gas- und Kohlekraftwerke. Mit 47 Prozent und 23,6 Gigawatt (GW) entfiel der Löwenanteil auf die Fotovoltaik. Neue Windkraftanlagen machten elf Prozent aus und stellen eine Leistung von 5,6 GW.

Damit ist China nicht nur der mit Abstand wichtigste Hersteller von Solaranlagen, sondern auch der bei weitem größte Absatzmarkt für diese. Die damit verbundene Massenfertigung lässt auf weiter sinkende Preise hoffen.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Deutschland-im-Herbst-3849151.html
[2] https://www.umweltrat.de/DE/Home/home_node.html
[3] https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2016_2020/2017_10_Stellungnahme_Kohleausstieg.html
[4] http://www.diw.de/de/diw_01.c.10839.de/ueber_uns/menschen_am_diw_berlin/kemfert_claudia.html
[5] http://www.umweltbundesamt.de/daten/energiebereitstellung-verbrauch/energiebedingte-emissionen#textpart-1
[6] http://www.kein-tagebau.de/images/_dokumente/170927_stellungnahme_buendnis.pdf
[7] https://www.solarwirtschaft.de/presse/pressemeldungen/pressemeldungen-im-detail/news/erneuerbare-energien-ziel-2020-rueckt-immer-weiter-weg-1.html
[8] https://ec.europa.eu/energy/en/topics/renewable-energy/renewable-energy-directive
[9] http://www.n-tv.de/wirtschaft/Hochrangiger-Ex-VW-Manager-festgenommen-article20058093.html
[10] https://www.transportenvironment.org/news/biased-regulations-and-taxes-skew-european-market-favour-diesel-%E2%80%93-report
[11] https://cleantechnica.com/2017/09/30/volkswagens-cumulative-dieselgate-costs-now-total-30-billion/?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed%3A+IM-cleantechnica+%28CleanTechnica%29
[12] http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/Asyl/aktuelle-zahlen-zu-asyl-august-2017.pdf?__blob=publicationFile
[13] http://l.duh.de/p170926
[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Mohammad_Mossadegh
[15] http://www.klimaretter.info/meinungen/standpunkte/23376
[16] https://www.globalresearch.ca/chinas-electric-power-continuing-green-shift-water-wind-and-sun-wws/5609650
[17] https://www.globalresearch.ca/chinas-electric-power-continuing-green-shift-water-wind-and-sun-wws/5609650.