Knappe Düngemittel: Mit der Agrarwende aus der Krise

Früher mussten Betriebe dafür zahlen, Gülle loszuwerden. Inzwischen wird für die Lieferung bezahlt. Symbolbild: Manfred Antranias Zimmer auf Pixabay (Public Domain)

Wegen gestiegener Gaspreise sind auch Düngemittel momentan knapp und teuer. Bietet die Krise eine Chance, von energieintensivem Kunstdünger unabhängig zu werden?

Erdgas wird sowohl als Rohstoff als auch als Energiequelle im Produktionsprozess gebraucht: Das Gas liefert Wasserstoff, eine wichtige Zutat für die Gewinnung von Ammoniak. Allein die Herstellung von Ammoniak soll rund zwei Prozent der weltweiten Energie verbrauchen. Aufgrund steigender Herstellungskosten stellen nun immer mehr große Düngemittelunternehmen ihre Produktion aus Kostengründen ein.

Dem Statistischen Bundesamt zu Folge ist die Menge der hierzulande in den Verkehr gebrachten Düngemittel im zweiten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahresquartal stark zurückgegangen. So halbierte sich der Absatz von Phosphat-Dünger auf 14.000 Tonnen des darin enthaltenen Nährstoffs Phosphat.

Der Absatz von Kali-Dünger sank etwa um die Hälfte auf 55.900 Tonnen Kaliumoxid. Bei Stickstoff-Dünger wurden 18,5 Prozent (238.000 Tonnen) weniger als im selben Quartal des Vorjahres abgesetzt. Allein Kalk-Dünger blieb mit 592.600 Tonnen gegenüber dem Vergleichszeitraum nahezu unverändert.

Nicht nur die Düngemittelproduktion im Inland ging seit dem Frühjahr zurück, sondern auch die Importe von Phosphat, Stickstoff oder Kalium-Dünger. So wurden von Januar bis Juli rund zwei Millionen Tonnen dieser Düngemittel importiert – elf Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Bei Phosphatdünger wurde mit 15.100 Tonnen etwa nur noch die Hälfte der ursprünglichen Menge eingeführt. Bereits 2020 sollen Stickstoff-, Phosphat- und Kali-Dünger auf nur noch 69 Prozent der bewirtschafteten Fläche eingesetzt worden sein.

Hinzu kommen Auflagen beim Einsatz von Mineraldünger und Pflanzenschutz im Rahmen des europäischen Green Deal. Wegen zunehmender Werkschließungen und Produktionsdrosselungen werde das Angebot immer knapper, warnen Agrarexperten. Dies wirkt sich enorm auf die Preise von Dünger sowie auf die Produktion von Getreide und anderen Agrarprodukten aus.

Yara schließt Düngerfabrik in Belgien

Das Unternehmen werde die Produktion wegen steigender Gaspreise einstellen, teilte der norwegische Düngergigant Yara im September mit. Am belgischen Standort Tertre nahe der französischen Grenze wurden jährlich 400.000 Tonnen Ammoniak, 950.000 Tonnen Ammoniumnitrat sowie 800.000 Tonnen Salpetersäure produziert. Bereits im August hatte das Unternehmen angekündigt, die Produktion von Ammoniak um 65 Prozent sowie die von Ammoniumnitrat um 35 Prozent reduzieren zu wollen.

Nach eigenen Angaben will Yara sein jährliches Produktionsvolumen um rund drei Millionen Tonnen Ammoniak, vier Millionen Tonnen Fertigprodukte, 1,8 Millionen Tonnen Harnstoff, 1,9 Millionen Tonnen Nitrate und 0,3 Millionen Tonnen NPK-Dünger reduzieren. Infolgedessen werde sich das Ammoniumnitrat auf dem französischen Markt um zehn Prozent verringern, warnte ein Sprecher von Yara France.

Auch andere Hersteller drosselten ihre Produktion: Neben der BASF stellen der polnische Düngerhersteller Grupa Azoty sowie CF Fertilizers in Großbritannien ihre Ammoniak- bzw. Düngeproduktion vorübergehend ein. Auch in der Ukraine wurde die Produktion von Stickstoffdünger und Harnstoff seit Mitte September zurückgefahren. In der deutschen SKW Piesteritz, in der die Anlagen zeitweise heruntergefahren waren, wurde die Produktion zumindest teilweise wieder aufgenommen.

Steigende Nachfrage nach Gülle

Ein großer Teil der Nutztiere wird mit Gras, Getreide und anderen Pflanzen gefüttert, die wiederum werden zum Teil mit Kunstdünger gedüngt. Gülle, eine Mischung aus Kot und Urin von Nutztieren wie Rindern, Schweinen und Geflügel, enthält Stickstoff, Kalium, Magnesium und Phosphat – wichtige Nährstoffe für den Ackerbau. Wird sie als Dünger auf dem Acker optimal verteilt, können die Pflanzen besser wachsen.

Während früher Betriebe dafür zahlen mussten, um Gülle loszuwerden, wird inzwischen für die Lieferung von Gülle bezahlt. Dennoch ist das Düngen mit Gülle nicht unumstritten. Düngt man zu viel, so dass die Pflanzen im Boden die Nährstoffe nicht völlig aufnehmen können, sammeln sich zu viele Nährstoffe im Boden, kritisiert Pierre Johannes, Referent für Agrarpolitik beim Naturschutzbund Nabu.

Die Nährstoffe werden ausgewaschen, aus Stickstoff wird gesundheitsschädliches Nitrat, das im Grundwasser landet. Mit Nitrat belastetes Wasser muss aufwändig aufbereitet werden - den Preis dafür zahlen die Anwohner. Tatsächlich wurden die gesetzlichen Höchstgrenzen an Nitrat im Grundwasser in den vergangenen Jahren immer wieder überschritten – vor allem in Regionen, in denen viele Rinder, Kühe und Schweine gehalten werden.

Kann sich Europa künftig noch mit Dünger versorgen?

Welche Folgen hat eine mögliche Unterversorgung mit Dünger auf die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln? Die Mangelversorgung bei Dünger könnte zu geringeren Erträgen und einem Rückgang der Produktion folgen, glauben Agrarexperten.

Vor allem die Nahrungsmittelproduktion werde darunter leiden, warnt Nicolas Broutin. Der französische Yara-Chef fordert finanzielle Unterstützung für die landwirtschaftliche Produktion und Düngemittelindustrie. Nicht nur die Versorgung in Deutschland und Europa sei gefährdet, auch die globale Nahrungsmittelkrise werde weiter angeheizt. Kaufen Landwirte ihre Düngemittel künftig außerhalb von Europa, werde dies deutlich teurer sein als bisher.

Russland falle als einer der wichtigsten Lieferanten von Stickstoffdünger fast komplett aus. Zwar gebe es keine direkten Sanktionen gegen Dünger oder Getreide – doch sie wirken trotzdem, heißt es aus Fachkreisen.

Russland sei allerdings bereit, mehr als 300.000 Tonnen russischer Düngemittel, die in europäischen Häfen festsitzen, kostenlos an die Entwicklungsländer zu liefern, wenn Europa zustimme, die Sanktionen gegen russische Exporte weiter zu lockern, wie Nachrichtenagenturen berichten.

Europa habe nur "teilweise" Sanktionen aufgehoben, erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin auf einem Gipfeltreffen in Usbekistan. Somit sei Russland nicht in der Lage, Düngemittel in die ganze Welt zu verkaufen. Europa habe selbst Probleme auf den Lebensmittelmärkten geschaffen und versuche nun, sie auf Kosten anderer zu lösen, so der Vorwurf des Kreml-Chefs.

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