Knappe Düngemittel: Mit der Agrarwende aus der Krise

Seite 2: Bauernverband fordert Aufhebung der Zölle

Um den Preisanstieg bei Stickstoff-Düngern zu dämpfen, hat die EU-Kommission bereits im Juli vorgeschlagen, die Zölle auf Ammoniak von 5,5 Prozent beziehungsweise auf Harnstoff von 6,5 Prozent (außer für Russland und Belarus) vorübergehend aufzuheben.

Dieser Vorschlag zum Aussetzen der Importzölle nur für Harnstoff und Ammoniak sei aber noch nicht ausreichend, kritisiert Detlef Kurreck, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes. Auch auf handelsübliche Stickstoffdünger wie Kalkammonsalpeter, Diammonphosphat und NPK-Dünger müssten die Zölle aufgehoben werden. Die europäischen Düngerproduzenten hingegen wehren sich gegen ein weiteres Absenken der Schutzzölle.

Ammoniak und Stickstoffdünger werden auch anderswo hergestellt, wo Erdgas günstiger ist. Dennoch werden die Preise auf dem Weltmarkt voraussichtlich weiter steigen, fürchten Experten. Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen empfiehlt den Betrieben, den Dünger für 2023 möglichst schon jetzt einzukaufen.

Einerseits schlagen stark gestiegene Kraftstoffpreise zu Buche. Auf der anderen Seite werden Engpässe bei Saatgut wie Weizen, Roggen und Triticale befürchtet. Der Preis für Dünger habe sich seit einem Jahr vervielfacht, klagt etwa Stephan Claus, Chef der Pretzschendorfer Landwirtschafts- und Dienstleistungsgesellschaft in Klingenberg/Sachsen.

Sein Betrieb bewirtschaftet rund 1.500 Hektar Land. Im Sommer habe er rund 250 Tonnen Dünger auf Vorrat gekauft – zu hohen Preisen. Das Herunterfahren der Anlagen der SKW Piesteritz verschreckte nicht nur die Bauern, sondern auch die Logistikbranche: So produziert SKW auch Ad Blue, unabdingbar für die Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen. Mit dem Ausfall des Betriebes begebe sich Deutschland nur in größere Abhängigkeit von Produzenten im Ausland, warnt Bauernpräsident Thomas Krawczyk.

Mit weniger Kunstdünger die Ernährung sichern

Die Versorgung der Bevölkerung sei dennoch nicht gefährdet, erklärt Wolfram Günther. Immerhin liegt der Selbstversorgungsgrad bei Getreide und Milch in Sachsen bei über 100 Prozent. Nun gelte es, regionale Wertschöpfungsketten zu stärken, um die Land- und Ernährungswirtschaft krisenfester zu machen, mahnt der sächsische Agrarminister.

Die Sorge, dass der Dünger so knapp werden könnte, dass in Europa nicht mehr genug Lebensmittel produziert werden können, sei unbegründet, glaubt auch Anne Preger vom Deutschlandfunk. Denn Landwirtschaft geht auch mit weniger Einsatz von energieintensivem Stickstoffdünger. Damit das funktioniert, müssen sich allerdings einige Dinge grundsätzlich ändern bzw. muss Neues ausprobiert werden. Zum Beispiel:

• Zielgerichtet Düngen: Weltweit landet nur die Hälfte des Düngers auf den Pflanzen. Der Rest versickert im Boden und im Grundwasser.

• Weniger Nutztiere halten: 80 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche gehen für die Produktion tierischer Lebensmittel drauf. Diese aber tragen nur 18 Prozent zur globalen Kalorienversorgung bei, so lautet das Ergebnis einer Studie am Potstam-Institut für Klimafolgenforschung. Werde ein größerer Teil der Ackerflächen für die Erzeugung von Essen für Menschen statt von Tierfutter genutzt, ließe sich das Angebot von Lebensmitteln nachhaltig ausweiten.

• Verstärkter Anbau von Leguminosen: Bohnen, Linsen, Erbsen oder Klee entnehmen Stickstoff aus Luft und düngen damit den Boden.

Düngen mit menschlichem Urin: Menschliche Ausscheidungen enthalten außer Stickstoff viele wichtige Pflanzennährstoffe wie Kalium, Magnesium und Phosphor enthalten. Diese bisher eher unübliche Düngepraxis wird immer besser erforscht.

Viele Ackerböden enthalten von früheren Düngungen noch ausreichend Stickstoff. Und selbst wenn Betriebe ihre Felder ein Jahr lang deutlich weniger düngen, müssen die Ernten deswegen nicht dramatisch kleiner ausfallen. Dass eine Agrarwende dringend nötig ist, zeichnet sich schon länger ab. Insofern bietet die Krise auch die Chance, die Wende endlich konsequent voranzutreiben.

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