Knochenarbeit: Forscher entschlüsseln grausame Steinzeit-Praktiken

Schädel, hier im Symbolbild. Bild: Mike Workman/ Shutterstock.com

In einer polnischen Höhle fanden Forscher menschliche Knochen. Spuren zeigen: Die Toten wurden systematisch zerlegt. Was sie vermuten, ist erschreckend.

Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Universität Göttingen untersuchte 63 menschliche Knochen von zehn Individuen aus der Maszycka-Höhle in Polen. Wie Francesc Marginedas vom Catalan Institute of Human Paleoecology and Social Evolution erklärt, zeigen die Spuraen an 36 Knochenfragmenten eindeutig, dass die Toten systematisch zerlegt wurden, um nahrhafte Bestandteile zu gewinnen.

Schädelfragmente weisen Schnittspuren auf, die vom Abtrennen der Kopfhaut und Muskulatur zeugen. Lange Knochen wurden gezielt zerschlagen, um an das Mark zu gelangen.

Kannibalismus: Nicht aus Not, sondern aus Gewalt?

Thomas Terberger vom Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen erscheint es angesichts der günstigen Lebensbedingungen zu dieser Zeit unwahrscheinlich, dass der Kannibalismus aus Not praktiziert wurde.

Stattdessen vermuten die Forscher Gewaltkannibalismus als Folge von Konflikten um Ressourcen und Territorien nach einem Bevölkerungswachstum am Ende der letzten Eiszeit. Dafür spricht auch die respektlose Behandlung der Toten, deren Überreste mit Siedlungsabfall vermischt waren.

Verständnis der kulturellen Entwicklung

Die Ergebnisse liefern wertvolle Einblicke in die Gruppendynamik und kulturelle Entwicklung späteiszeitlicher Gesellschaften. Sie zeigen, dass Kannibalismus nicht nur aus Not, sondern auch im Zusammenhang mit Gewaltkonflikten praktiziert wurde.

Die systematische Zerlegung der Toten deutet auf komplexe Bestattungsrituale hin, die möglicherweise mit dem Glauben an die Übertragung von Kraft und Fähigkeiten der Verstorbenen zusammenhingen.

Die Erkenntnisse tragen dazu bei, die Lebensweise und sozialen Prozesse in den Gesellschaften der späten Altsteinzeit besser zu verstehen.