Knockout in der ersten Runde
Der Emissionshandel erhält ab 2008 eine letzte Chance
Von Ökonomen und Naturschützern gleichermaßen ersehnt, sollte der Emissionshandel den Ausstoß von Klimagasen gleichzeitig deckeln und durch die Handelbarkeit der Zertifikate Anreiz sein, den industriellen Maschinenpark zu modernisieren. In der ersten Runde von 2005 bis 2007 ist beides gründlich gescheitert. Jetzt stehen die Verhandlungen für den zweiten Handelszeitraum von 2008 bis 2012 an - eine letzte Chance. Sollte das Instrument wieder scheitern, wird es in die Requisitenkiste der Geschichte wandern.
In der Theorie ist alles klar und bestechend einfach: Um das Weltklima doch noch zu retten und die Reichweite der fossilen Energievorräte etwas zu strecken, wird der Ausstoß von CO2 gedeckelt. An die Verursacher wird anteilsmäßig pro Tonne CO2 ein frei handelbarer Anteilsschein ausgegeben. Wer nun seinen Maschinenpark modernisiert und weniger CO2 in die Atmosphäre bläst, kann entsprechend viele Anteilsscheine verkaufen, bei guten Kursen ein lohnendes Geschäft.
Für die Verteilung auf die einzelnen Unternehmen wurden die durchschnittlichen CO2-Emissionen der Unternehmen in den Jahren 2000 bis 2002 ermittelt. Für diese Menge wurde ihnen, verringert um den so genannten Erfüllungsfaktor, entsprechend den Reduktionszielen von Kyoto, Zertifikate kostenfrei zugeteilt. Von der Möglichkeit, 10 Prozent der Zertifikate zu versteigern, wurde kein Gebrauch gemacht. Die zweite Zuteilungsmethode richtete sich nach der zu erwartenden Produktionsmenge und einem Vergleichswert, der sich am technisch erreichbaren Emissionsfaktor bei gleichartigen Anlagen orientiert. Politisch gewollte Verzerrungen, in Deutschland zum Beispiel zugunsten der Kohle, führten zur Bevorzugung bestimmter Energieformen. Je nach Brennstoff werden willkürlich zwischen 365 und 700 Gramm CO2 pro erzeugter Kilowattstunde angesetzt.
Politische Interventionen und massive Lobbyarbeit bei der Zuteilung von Zertifikaten verzerrten nicht nur die Zuteilung, sondern ließen den Markt schließlich völlig einbrechen. Nachdem Anfang Mai 2006 bekannt wurde, dass Frankreich, Tschechien, Holland und Estland im Jahr 2006 zu viele Verschmutzungsrechte ausgeteilt hatten, kollabierte der Markt. Der Preis der CO2-Zertifikate fiel auf ein Zehntel seines vorherigen Wertes. Bis zum Ende der ersten Handelsperiode wird er sich davon auch nicht mehr erholen, denn die Zertifikate können nicht in die zweite Runde mit übernommen werden. Ein Kaufanreiz bis zum Ende 2007 fehlt also. Dabei begann alles so gut. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten wechselten 2005 weltweit Emissionsrechte im Gesamtwert von 9,4 Mrd. Euro die Besitzer. Der Löwenanteil der Umsätze entfiel mit 7,2 Mrd. Euro auf die 12.000 Industriebetriebe mit Zertifikaten in der Europäischen Union.
Die Ziele werden verfehlt
Im Kyoto-Protokoll von 1997 haben sich die unterzeichnenden Industrieländer auf eine weltweite Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen bis 2012 um 5,2 Prozent gegenüber 1990 verständigt. Die Europäische Union verpflichtete sich zu 8 Prozent Einsparung. Deutschland soll in der EU mit etwa 75 % des europäischen Minderungsziels die Hauptlast tragen und muss seine CO2-Emission um 21 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Diese Selbstverpflichtung wurde in dem Wissen abgegeben, dass ja die Braunkohle verfeuernde ostdeutsche Industrie ohnehin modernisiert wurde. Nach bisherigem Zwischenstand sieht es so aus, dass der CO2-Ausstoß nicht weiter sinkt und das Ziel verfehlt wird. Damit die Bilanz nicht noch schlimmer ausfällt, werden die anderen im Kyoto-Protokoll genannten Treibhausgase erst gar nicht berücksichtigt, obwohl sie teilweise um ein Vielfaches klimaschädlicher sind - Methan zum Beispiel 23 Mal mehr als Kohlendioxid.
Entgegen den Klimazielen steigt die Emission von Treibhausgasen weltweit an. Die Vereinten Nationen erwarten für das Jahr 2010 11% höhere Emissionen als im Referenzjahr 1990. Die Staaten des Ostblocks konnten vor allem wegen des Zusammenbruchs ihrer Industrien die Emissionen zwischen 1990 und 2003 um 40% senken. Bis 2010 wird der Ausstoß aber wieder steigen und nur noch um 18% geringer sein als 1990. Die westlichen Industriestaaten erhöhen bis 2010 ihre Emissionen voraussichtlich um 20% gegenüber 1990.
Europaweit wurde der Emissionshandel zum 1. Januar 2005 eingeführt und strauchelte von Anfang an an der Umsetzung in die Praxis. Um das Verfahren überschaubar zu halten, wurden nur die größten Produzenten von CO2 erfasst. Das sind große Energieanlagen mit einer Feuerungswärmeleistung über 20 Megawatt und energieintensive Industrieanlagen (vor allem Kraftwerke, Erdölraffinerien, Hochöfen). Außen vor blieb die andere Hälfte: vor allem der gesamte Verkehr, einschließlich Flugverkehr und der Immobiliensektor mit seinem Heizwärmebedarf. An diese Mehrheit der CO2-Verursacher werden so weder Reduktionsanforderungen gestellt, noch wird ihnen die Chance gegeben, vom Handel mit Emissionszertifikaten zu profitieren.
Die Zertifikate wurden kostenlos verteilt, um den Handel möglichst schnell in Gang zu bekommen und die Unternehmen nicht zu belasten. Dass der Energiemarkt z.B. in Deutschland zwischen vier regionalen Monopolisten aufgeteilt ist, wurde nicht bedacht. Sie nutzten ihre Macht und schlugen in der ersten Handelsperiode den Marktwert der Zertifikate auf den Strompreis auf - dabei waren ihnen die Zertifikate geschenkt worden. Der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft schätzt den ungerechtfertigten Mehrerlös auf 5,27 Mrd. Euro pro Jahr. Das marktwirtschaftliche Instrument Emissionshandels scheitert so an der Marktmacht der Stromunternehmen und wird zu Lasten der Stromkunden zum Milliardengeschenk der Politik an die Stromwirtschaft.
Nutzen für die Allgemeinheit statt Bereicherung Weniger
Emissionshandel braucht Knappheit der Zertifikate und eine Ausweitung auf möglichst viele Branchen und Verursacher, damit die Lasten gerechter verteilt werden und Modernisierungsanreize in möglichst vielen Bereichen entstehen. Zu viele Zertifikate nehmen den Anreiz zur Modernisierung und verlängern die Laufzeiten alter ineffizienter Techniken. Ohne Knappheit findet kein Handel statt und das ganze System wird obsolet. Das bekommt zur Zeit die Bundesregierung zu spüren. Sie meldete für die Jahre 2008 bis 2012 einen geplanten deutschen Jahresausstoß an Kohlendioxid von 482 Millionen Tonnen. Die EU-Kommission war nicht zufrieden und verlangte eine weitere Verringerung auf 453 Millionen Tonnen. Das hat nun das Bundesumweltministerium Akzeptiert - "wegen der grundsätzlichen Bedeutung des europäischen Emissionshandels".
Eine sukzessive Erhöhung der Versteigerungsanteile in den nächsten Jahren anstelle einer kostenlosen Zuteilung der Zertifikate brächte Einnahmen, die sinnvoll in Förderprogrammen und Schutzmaßnahmen eingesetzt werden könnten. Das vom BMU vorgebrachte Argument gegen eine Versteigerung, man wolle der Stromwirtschaft keinen Grund geben, die Preise zu erhöhen, kann nicht wirklich überzeugen. Denn schon heute - ohne Versteigerung - wird der Marktwert der Zertifikate auf den Strompreis aufgeschlagen. Bei einer Versteigerung entsprechen im Idealfall die CO2-Vermeidungskosten dem Auktionspreis. Das Verfahren wäre einfacher weil nur noch Emissionsobergrenzen vorgegeben werden müssten. Der Einfluss von Lobbygruppen, die versuchen, die kostenlose Vergabe von Zertifikaten zu ihren Gunsten zu beeinflussen, würde reduziert. Wenn ab 2013 alle Emissionsberechtigungen versteigert würden und 400 Mio. Zertifikate zur Verfügung stünden, könnten allein in Deutschland bei einem Preis zwischen 15 und 25 Euro pro Zertifikat jährlich 6 bis 10 Mrd. Euro durch Versteigerungen erzielt werden.
Für die Versteigerungserlöse bietet sich eine Reihe von sinnvollen Verwendungszwecken an.
- Forschung und Entwicklung im Bereich Umwelttechnologie.
- Unterstützung von Energiesparmaßnahmen bei den privaten Haushalten, z.B. für Wärmedämmung und die Nutzung der Sonnenenergie.
- Investitionen, um die Folgen des Klimawandels zu mildern, etwa Deichbaumaßnahmen.
- Oder auch ganz prosaisch die Schuldentilgung der öffentlichen Haushalte und in der Folge eine niedrigere Steuerbelastung für alle.
Der Emissionshandel erhält im zweiten Handelszeitraum eine neue Chance, sich als Umweltschutzinstrument und Innovationsanreiz zu bewähren. Selbst wenn die anfängliche Euphorie vieler Befürworter verflogen und abzusehen ist, dass die Klimaziele mit ihm alleine nicht zu erreichen sind, schärfen die Schwierigkeiten seiner Einführung doch zumindest den Blick für die Machtkonzentration des Oligopols der großen Energieversorger und zeigen, angesichts der unüberschaubaren Vielzahl der Treibhausgasverursacher, dass Marktmechanismen nicht allmächtig sind. Auch in Zukunft geht es deshalb nicht ohne Grenzwerte, Verschmutzungsverbote und ethische Aufklärung in Sachen Umweltschutz.