Können wir als Konsumenten die Welt in Ordnung bringen?
- Können wir als Konsumenten die Welt in Ordnung bringen?
- Der Kapitalismus und wir: Immerhin bewusst konsumieren
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Zur Illusion des bewussten Konsums in der Marktwirtschaft. Moralische Selbstgeißelung als moderne Religion ohne Heilung. Ein Einwurf.
Ob Klimawandel, Kinderarbeit in Entwicklungsländern oder minderwertige Lebensmittel: Schnell wird der Mensch mit seiner Geiz-ist-geil-Mentalität als Verursacher aller Übel der modernen Welt ausgemacht.
Dem wird der bewusste, ökologisch und fair einkaufende Verbraucher gegenübergestellt. Die schöne Vorstellung: Wenn sich alle Konsumenten für ökologisch und ethisch einwandfrei produzierte Waren entscheiden würden, wären die Unternehmen aus eigenem Interesse gezwungen, nach diesen Maßstäben zu wirtschaften, so heißt es.
Schauen wir uns diesen sagenhaften Konsumenten und seine fantastischen Möglichkeiten einmal genauer an.
Eine funktionierende Marktwirtschaft
Nicht unwichtig ist zunächst, womit es der Konsument zu tun bekommt, wenn er die Bühne des Geschehens betritt. Es ist nämlich eine ganze fertige Welt der Produktion, des Verkaufs und des Profits, auf die er trifft, wenn er mit seinen Wünschen, seinen Kaufentscheidungen und seinem Konsum beginnt.
In dieser Welt setzen kapitalistische Unternehmen alles ein, was ihre Kosten senkt und ihre Profite steigert. Dafür produzieren sie bekanntlich, und nicht, um der Menschheit einen fröhlichen oder gar moralisch einwandfreien Konsum zu ermöglichen.
Seit die kapitalistische Globalisierung begonnen hat, können sie das ohne große Probleme weltweit tun. Sie mobilisieren alle billigen Arbeitskräfte, interessanten Bodenschätze und potenziellen Absatzmärkte, um sich einen möglichst großen Anteil an der global vorhandenen Kaufkraft zu sichern.
Nordseekrabben nach Marokko – und zurück
In dieser Welt und ihren Rechnungen lohnt es sich etwa, Waren mit immensem Energieaufwand und Schadstoffausstoß um den halben Erdball zu schicken, um die billigsten Löhne auszunutzen oder die letzte Zahlungsfähigkeit zu strapazieren.
Da werden Nordseekrabben zum Pulen nach Marokko verschifft und zum Verkauf wieder zurückgebracht, deutsche Kartoffeln zum Waschen nach Polen transportiert oder Schweine aus Nordrhein-Westfalen in Italien zu Parmaschinken verarbeitet, um nach einer erneuten Alpenüberquerung wieder in Deutschland in den Kühlregalen zu landen.
Solche Vorgänge mögen Kopfschütteln auslösen, aber sie sind an der Tagesordnung, weil sie unter den gegebenen Bedingungen ökonomisch durchaus sinnvoll, sprich: profitabel sind.
Infrastruktur für Profit
Und die Staaten, die diese marktwirtschaftliche Produktionsweise einrichten und beaufsichtigen, verhindern diesen logistischen Wahnsinn nicht, den man jeder Planwirtschaft als Totalversagen vorgeworfen hätte.
Im Gegenteil: Als Hüter ihres Standortes, der unbedingt wettbewerbsfähig sein muss, helfen sie den Rechnungen ihrer umtriebigen Unternehmer praktisch erst auf die Welt, indem sie die nötigen Autobahnen und Flughäfen bauen und Glasfaserkabel verlegen, damit genug im Netz gehandelt werden kann.
Außerdem erzwingen sie einen "flexiblen Arbeitsmarkt", der Millionen von Arbeitskräften mobil macht, die neben den Gütertransportern auch noch die Umwelt mit Abgasen etc. verpesten.
Der Konsument soll es richten
Diese ganz nach den Gesetzen der kapitalistischen Rationalität eingerichtete Produktionsweise soll nun unser Konsument durch seine "bewussten" Kaufentscheidungen wieder ins Lot bringen.
Aber bitte, ohne das kapitalistische Profitinteresse selbst anzutasten. Denn das wäre verboten. Oder Sozialismus. Geht jedenfalls nicht. Den Geschäftemachern in ihr ökonomisches Handwerk reinzureden, das die beklagten Schäden überhaupt erst verursacht, scheidet von vornherein völlig aus, wenn man als Konsument die Welt retten soll.
Stattdessen sollen die beklagten Missstände systemimmanent beseitigt werden: Indem die Masse der Konsumenten mit ihren Kaufentscheidungen Einfluss auf die Produktion nimmt, soll alles ganz elegant und ohne dass man den bisher herrschenden Kalkulationen überhaupt etwas entgegensetzen müsste, in die richtigen Bahnen gelenkt werden.
Fehlentwicklungen? Der Verbraucher ist schuld!
Diese Idee setzt allerdings zunächst voraus, dass man die Funktionsweise der Marktwirtschaft ein wenig uminterpretiert.
Da das Gewinninteresse der Unternehmen davon abhängt, dass die Waren vom Endverbraucher bezahlt werden, wird die Verantwortung für Fehlentwicklungen rückwärtsgewandt den Käufern zugeschoben – so als hätten sie bei der Auswahl der Waren und der Einrichtung der ebenso lohndrückenden wie umweltschädlichen Produktion, bei der Wahl der Handelswege und anderer Faktoren mitbestimmt.
Und wenn unser Konsument dann wieder, wie es seine Art ist, die Euros im Portemonnaie umdreht, will man ihm partout nicht anmerken, dass er als Lohnempfänger mit seiner Geiz-ist-geil-Mentalität selbst nur Bestandteil und Produkt dieser Rechnungen ist.
Die Gier ist schuld
Stattdessen bekommt er gleich den nächsten Vorwurf zu hören: Dass es nur an seiner Gier nach "billiger Ware" liegt, dass nicht nur die Warenwelt, sondern die ganze Welt so aussieht, wie sie aussieht. Kartoffeln vom Nil, Kirschen aus der Türkei, grüner Spargel aus Peru – alle das landet ja nur seinetwegen in den Supermarktregalen.
Der Beweis: Man muss nur registrieren, wo all das am Ende landet. Weil er kauft, was ihm angeboten wird, und dabei ganz marktwirtschaftlich auf den Preis achtet, ist er nicht nur schuld daran, dass die deutschen Bauern keine Streuobstwiesen mehr pflanzen.
Er trägt auch Verantwortung für die Zunahme von Kinderarbeit oder dafür, wie die christliche Seefahrt heute mit ihren Containerschiffen den Welthandel abwickelt – ganz nach dem Motto: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.
Die Unternehmen zwingen
Die Macht, die man sich auf diese Weise angemaßt hat, soll nun der Verbraucher nutzen, um die Unternehmer zu zwingen, weniger schädliche Waren zu produzieren.
In Wirklichkeit ist es auch hier umgekehrt. Denn der Konsument ist darauf angewiesen, sich in jeder Lebenslage mit dem kapitalistischen Warenangebot abfinden zu müssen, das ihm als Ergebnis der verschiedenen Profitkalkulationen begegnet. Diese Abhängigkeit wird nun in der Fantasie zu einem Druckmittel, das der Konsument angeblich gegen die Eigentümer dieser Waren hat.
Zwar hat er keineswegs die Freiheit, auf den Kauf überhaupt zu verzichten – das wissen auch diejenigen, die nicht genug von seiner Verantwortung reden können.
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