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Kohleausstieg bis 2035 machbar

Wasserfall auf der Nansen-Eistafel. Bild: Won Sang Lee/Korea Polar Research Institute

Die Energie- und Klimawochenschau: Rätsel um Methan und Schmelzwasser sowie die Sorge um die atomare Sicherheit

Vor einer Woche wurde im Observatorium auf dem Mauna Loa erstmals ein Kohlendioxidgehalt von über 410 ppm in der Erdatmosphäre gemessen. Als Durchschnittswert für dieses Jahr wird mit 406 ppm gerechnet [1]. 2013 hatte die CO2-Konzentration die Marke von 400 ppm überschritten und nähert sich so immer weiter als kritisch definierten Schwellenwerten. Ab 450 ppm sehen Wissenschaftler die Gefahr, dass sich die Erde um mehr als 2 Grad Celsius erwärmt.

Ein Teil des Rätsels um den seit 2007 steigenden Methangehalt in der Atmosphäre könnte nunmehr gelöst sein. Wissenschaftler konnten bislang keine Quelle für einen größeren Methanausstoß ausmachen. Laut einer neuen Veröffentlichung könnte nicht ein größerer Ausstoß die Ursache sein, sondern ein verminderter Abbau des Klimagases in der Atmosphäre.

Das Team um Alexander Turner von der Harvard University kommt sogar auf eine Abnahme der Methanemissionen zwischen 2003 und 2016, gleichzeitig sank jedoch auch der Hydroxylgehalt [2] der Atmosphäre. Das Hydroxyl-Radikal, bestehend aus einem Sauerstoff- und einem Wasserstoffatom, kann sich mit Methan verbinden und dieses in Kohlendioxid und Wasserdampf umwandeln. Wenn sich so auch eine schlüssige Erklärung für die zu hohen Methanwerte bietet, warum der Hydroxylgehalt abgenommen hat, können die Forscher bislang nicht erklären.

Weitere Forschungsrätsel lieferte in der vergangenen Woche die Antarktis, wo große Schmelzwasserabflüsse in allen küstennahen Regionen entdeckt wurden. Bislang wurden solche Abflüsse vor allem an der nordöstlichen Spitze des Kontinents vermutet. Nun haben Wissenschaftler systematisch Luftbilder ausgewertet, die seit 1947 aufgenommen wurden, bzw. Satellitenbilder, die seit dem Jahr 1973 existieren. Dabei haben Jeremy Ely von der University of Sheffield und Indrani Das von der Columbia University weitaus mehr Schmelzwasserflüsse gefunden, als dort bisher vermutet wurden, wobei viele nur während des kurzen Sommers bestehen. Rund 700 Systeme aus Abflüssen und Schmelzwasserbecken wurden an allen Rändern des Kontinents identifiziert, die bis zu 120 Kilometer lang sind.

Auch wenn viele der nun kartierten Abflusssysteme nicht neu sind, könnten sie sich bei steigenden Temperaturen ausbreiten und die Eisschilde des Kontinents destabilisieren. Zu den sichtbaren Schmelzwasserflüssen könnten noch aus der Luft unsichtbare unterhalb von Schnee und Eis kommen, wie sie ein anderes Forscherteam bereits in der Ostantarktis entdeckt [3] hat.

Eine weitere ungewöhnliche Nachricht [4] rund ums Wasser kam aus Kanada, wo sich plötzlich die Abflussrichtung eines Gletschers veränderte und damit ein ganzer Fluss quasi über Nacht austrocknete. Statt in den Kluane und damit später in den Yukon floss das Schmelzwasser des Kaskawulsh-Gletschers mit einem Mal in den Alsek und so auf relativ kurzem Weg in den Golf von Alaska.

Ursache für die Richtungsänderung ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,5 Prozent die menschengemachte Klimaerwärmung, wie die Wissenschaftler in Nature Geoscience schreiben [5]. So hat sich der Gletscher seit den 1950er Jahren um 600 bis 700 Meter zurückgezogen, und die gestiegene Menge an Schmelzwasser hat sich neue Wege durch das Eis gesucht, so dass sich die Wasserscheide verändert hat.

Kohleausstieg bis spätestens 2035 machbar

Von den multiplen Auswirkungen der Erderwärmung zurück zu den Ursachen. Hierzulande heißt eine wichtige Ursache Kohleverstromung. Während Braun- und Steinkohlekraftwerke rund 40 Prozent des Stroms in Deutschland produzieren, sind sie für 80 % der Emissionen aus der Stromerzeugung verantwortlich.

Dass Kohlekraftwerkskapazitäten ersatzlos abgebaut werden können, dafür spricht ein stetig wachsender Stromexport in den letzten zehn Jahren. 2016 wurden knapp 9 Prozent des in Deutschland erzeugten Stroms exportiert. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) plädiert daher erneut für einen schnellen Kohleausstieg bis spätestens zum Jahr 2035. Um zu zeigen, dass das technisch, wirtschaftlich und rechtlich machbar ist, hat der Umweltverband beim Wuppertal-Institut eine Kurzstudie [6] in Auftrag gegeben, die die Veröffentlichungen der letzten zweieinhalb Jahre zum Thema zusammenfasst.

Bild: NABU

"Es ist klar geworden, dass die klimapolitischen Ziele nicht erreichbar sind, wenn man den Kohleausstieg nicht festlegt", betonte NABU-Präsident Olaf Tschimpke bei der Vorstellung der Studie am Montag. Ein früherer Ausstieg als 2035 sei auch möglich, aber dies setze die gesellschaftliche Bereitschaft voraus, höhere Kosten zu tragen. Wünschenswert wäre für den Umweltverband ein Ausstiegskonsens, denn dies sichere Planbarkeit und Investitionssicherheit. Auch den besonders betroffenen Regionen, also dem Rheinischen Revier und der Lausitz, blieben so mehr Möglichkeiten, den Strukturwandel zu gestalten.

Dabei wäre der makroökonomische Aspekt eines Kohleausstiegs eher gering. So waren 1958 noch 715.000 Menschen im Kohlebergbau beschäftigt, 2016 waren es nur noch knapp 27.000. Dennoch stehen die Braunkohleregionen vor großen Herausforderungen und sollten strukturpolitisch unterstützt werden, etwa durch Innovationsförderung und die Neuausrichtung von Forschung, Aus- und Weiterbildung.

Ein Abschaltplan wäre hingegen auch ohne Konsens rechtlich möglich. So könnten Anforderungen an die Kraftwerke gestellt werden, was Emissionsgrenzwerte oder Energieeffizienz angeht, oder es könnten Restlaufzeiten, Kontingente oder Abschaltdaten festgelegt werden. Ein indirektes Instrument zum Kohleausstieg wäre eine CO2-Steuer, die aber als weniger zielführend betrachtet wird. Im Hinblick auf einen in Zukunft wieder steigenden Strombedarf durch die Sektorkopplung - zum Beispiel dem verstärkten Einsatz von Elektromobilität und Wärmepumpen - müsste aber auch der Ausbau der Erneuerbaren wieder vorangetrieben werden sowie eine gezielte Effizienz- und Suffizienzpolitik betrieben werden. Der Kohleausstieg sollte weitgehend vollzogen werden, bevor der Stromverbrauch durch die Sektorkopplung wieder ansteige.

Einen anderen Grund zum Braunkohleausstieg liefert der BUND Brandenburg. Seit längerem wird die Belastung der Spree und ihrer Zuflüsse durch Ockerschlamm und Sulfate dokumentiert, die auf die Tagebaue in der Lausitz zurückgeht. Nun hat der BUND Brandenburg außerdem im Schlammaushub von Fließen im Gebiet des Tagebaus Welzow-Süd erhöhte Konzentrationen von Arsen, Blei, Kupfer, Nickel und Zink [7] gemessen. Die Belastung stammt aus dem abgeleiteten Grubenwasser des Tagebaus. Der BUND Brandenburg befürchtet nun, dass auch angrenzende landwirtschaftliche Flächen und Gärten kontaminiert wurden.

Atomanlagen in Krisengebieten

Das Öko-Institut warnt in einer kürzlich veröffentlichten Studie vor der Gefährdung kerntechnischer Anlagen in Krisengebieten. Analysiert wird nicht nur das Risiko gezielter Angriffe auf atomare Anlagen, sondern auch eine Vernachlässigung zuvor bestehender Sicherheitsmaßnahmen.

"Um Kernenergie nutzen zu können, bedarf es einer umfangreichen institutionellen und materiellen Sicherheitsinfrastruktur. Zwischen- oder innerstaatliche Konflikte können diese Infrastruktur absichtlich oder unabsichtlich zerstören, was im schlimmsten Fall zu einer atomaren Katastrophe führen kann", erklärt [8] die Studienleiterin Veronika Ustohalova. "Ein krisengeschütteltes Land hat so viele Probleme zu bewältigen, dass relevante Sicherheitsmaßnahmen und vorausschauende Handlungsabläufe im Umgang mit Kernenergie nicht immer gewährleistet sein können."

Einen besonderen Augenmerk richtet die Studie auf die Situation in der Ukraine, wo an vier Standorten 15 Atomreaktoren betrieben werden, die rund die Hälfte des Stroms erzeugen. Hinzu kommt die Ruine des havarierten Kraftwerks von Tschernobyl, in der sich noch immer Teile des Kernbrennstoffs befinden. "Die Ukraine als Staat ist heute nicht in der Lage, die sichere Stilllegung des Standort Tschernobyl aus eigenen Mitteln zu gewährleisten, geschweige denn den Rückbau der Reaktorruine des havarierten Blocks 4 überhaupt in die Wege zu leiten", heißt es hierzu in der Studie. Der Konflikt behindere den Fortgang der Sanierungsarbeiten.

Ein weiteres Problem stellt die sichere Zwischen- und Endlagerung radioaktiver Abfälle dar, da ein Abkommen mit Russland zur Abnahme und Wiederaufbereitung schon 2018 ende. Dokumentiert ist außerdem eine Reihe von Zwischenfällen und Angriffen auf Kraftwerksmitarbeiter. Eine Lösungsstrategie scheint derzeit nicht vorhanden, empfohlen wird lediglich eine noch engere technische Zusammenarbeit zwischen europäischen, ukrainischen und russischen Experten.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3693567

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.metoffice.gov.uk/research/climate/seasonal-to-decadal/long-range/forecasts/co2-forecast
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Hydroxyl-Radikal
[3] https://www.eurekalert.org/pub_releases/2017-04/teia-wis041717.php
[4] http://www.theguardian.com/science/2017/apr/17/receding-glacier-causes-immense-canadian-river-to-vanish-in-four-days-climate-change
[5] https://www.nature.com/ngeo/journal/vaop/ncurrent/full/ngeo2932.html
[6] https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/energie/fossile-energien/stein-und-braunkohle/22274.html
[7] http://www.bund-brandenburg.de/nc/presse/pressemitteilungen/detail/artikel/bund-arsen-werte-an-tagebaufliessen-bedenklich-ueberschritten/
[8] https://idw-online.de/de/news673158