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Kommentar: 40 Jahre später

Wie uns das Jahr 1979 bis heute historisch prägt

2019 wird zweifelsohne in Deutschland und Europa im Schatten des 30. Jahrestages des Falls der Berliner Mauer stehen. Diese Zeitenwende, der Zusammenbruch der realsozialistischen Regime in Mittel- und Osteuropa, der zwei Jahre später das Rote Imperium der UdSSR zur Auflösung brachte, ist gerade im historischen Gedächtnis der Bundesbürger ein Ereignis, welches ein Großteil der Bürger noch selbst erleben durfte. Europa war nicht mehr geteilt. Der Kommunismus verschwand gemeinsam mit dem Kalten Krieg. Und Francis Fukuyama hielt das "Ende der Geschichte" für gekommen, weil sich nunmehr die liberale westliche Ordnung weltweit durchsetzen werde, da jedwede Alternative gescheitert sei. Der amerikanische Politikwissenschaftler irrte, er irrte von Anfang an.

Westliches Ideal versus Moskauer Modell

Heute bezieht sich niemand mehr auf die Visionen Fukuyamas, schon gar nicht zu einer Zeit, da illiberale Bewegungen auf dem Vormarsch sind. Das westliche Ideal konkurriert heute mit dem Moskauer Modell der "Gelenkten Demokratie" oder dem Pekinger eines zunehmend konfuzianisch geprägten Staatsverständnisses. Aber auch im alten Westen halten Lobbyisten den Parlamentarismus im Griff, werden Bürger von Suchmaschinen und Geheimdiensten auf eine Weise überwacht, welche die Schreckensvisionen George Orwells bald eingeholt haben dürfte. Überall wachsen Bewegungen heran, welche eine Kluft offenbaren - zwischen den politischen Eliten und der breiten Bevölkerung. Diese Tendenz wird sich auch im kommenden Jahr fortsetzen.

Das Ende der Sowjetunion

Es ist diesbezüglich auch ein weit verbreiteter Irrtum, dass der Mauerfall lediglich von den Demonstrationen in der DDR im Herbst 1989 herbeigeführt wurde. Viel eher war dieses Ereignis auf den internen Zerfallsprozess aufgesetzt, von dem die Sowjetunion schon heimgesucht wurde. Einige Monate zuvor, am 15. Februar 1989, vollzog sich der sowjetische Rückzug aus Afghanistan.

1979: Schicksalsjahr für Iran und Afghanistan (0 Bilder) [1]

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1979 - die Sowjetunion war noch eine kraftstrotzende Supermacht - hatte die Invasion der "ruhmreichen Roten Armee" im südlichen Nachbarland begonnen. Zehn Jahre später lag das kommunistische Weltreich, welches von Helmut Schmidt einst als Obervolta mit Atomwaffen tituliert wurde, im Strudel des Untergangs. Risse bildeten sich im Roten Imperium, welche das Fundament der Sowjetunion zerstörte. Viel mehr als das Jahr 1989 stellt das Jahr 1979 also jene Zäsur da, welche eine Dekade später die morschen Regime von Ost-Berlin bis Bukarest erschüttern ließ.

Die "Wiedergeburt des Islams"

Hatte man in Moskau zunächst gehofft, einem Übergreifen des islamischen Flächenbrandes auf das eigene Territorium (bzw. auf die eigenen muslimischen Ethnien) durch diesen Rückzug, entgegenzuwirken, war das Gegenteil der Fall. Vom Nordkaukasus bis nach Zentralasien kam es trotz jahrzehntelanger atheistischer Indoktrination und kommunistischer Propaganda zu einer "Wiedergeburt des Islams", die den Niedergang des "gottlosen" Imperiums beschleunigte. Die muslimischen Ethnien des zerbrechenden Riesenreiches betrachteten die "Höllenfahrt" ihrer entmachteten kommunistischen Kolonialherren mit Verwunderung und fassungslosem Staunen. In das zurückgebliebene ideologische Vakuum und die katastrophalen ökonomischen und ökologischen Hinterlassenschaften des Sowjetsozialismus fielen die Koranverse, denen zufolge Allah den Geduldigen, den Standhaften, beisteht, auf einen fruchtbaren Boden.

Das Jahr 1979 war insgesamt durch drei Ereignisse geprägt, die den gesamten Nahen und mittleren Osten nachhaltig verändern sollten.

Neben dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan, den die Amerikaner damit einzudämmen versuchten, dass sie die Mujahedin aufrüsteten, vollzog sich im Iran die Revolution und kam es schließlich zu einem Aufruhr in Saudi-Arabien, im November jenes Jahres, der schließlich in der Erstürmung der heiligen Stätten von Mekka gipfelte. Diese Revolte wurde von einem 27 jährigen Saudi angeführt, einem gewissen Mohammed al-Qahtani, der zu den Dogmen des Früh-Islam zurückkehren wollte. Heute würde man diesen Aufstand als salafistisch definieren. Seit jenen Tagen war eine stärkere Hinwendung des Hause Saud zu einer fundamentalistischeren Interpretation der islamischen Gesetzgebung zu beobachten. Die fanatische wahabitische Rechtsprechung führte zu einer beklemmenden Intoleranz, welche unter anderem die Taliban, vor allem aber den IS inspiriert haben.

Die schiitisch inspirierte Revolution im Iran hingegen war von Anfang an eine Provokation gegen den Lauf der Welt. Diese Revolution entzog sich den Regeln des Kalten Krieges. Eine Parole lautete "Nicht Ost, nicht West, sondern Islamisch!". Diese Revolution war sowohl ein Aufstand gegen die islamische Welt und deren sunnitisch-arabische Vorherrschaft, als auch gegen die säkular-nationalistischen und marxistischen Regime in der Region. Schnell fraß auch hier die Revolution ihre Kinder, wurden Hoffnungen zerstört und Menschenrechte verletzt.

Trotz höchst ungünstiger geopolitischer Bedingungen, des Überfalls des Iraks 1980, schwierigen innen- und außenpolitischen Rahmenbedingungen, der Gegnerschaft mit den USA, Israel und Saudi-Arabien, der inkompetenten Führung und des großen Vertrauensverlustes innerhalb der Bevölkerung, hat dieses System 40 Jahre überlebt. In Washington, Jerusalem und Riad ist man sich bewusst, dass man Iran nicht militärisch besiegen kann, sonst hätte man schon längst angegriffen.

"War on Terror" brachte Teheran den Durchbruch

Der "War on Terror", der vom Westen ab 2001 in die Region getragen wurde, hatte der Islamischen Republik mit der Ausschaltung des nationalarabischen Baath-Regimes im Irak sowie der radikalsunnitischen Taliban in Afghanistan, den geopolitischen Durchbruch verschafft.

Irans Einfluss ist dadurch am wachsen. Im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten ist Iran geradezu eine Insel der Stabilität in dieser unruhigen Region. Es ist eine Nation mit gewaltigem Potenzial, das bisher aber nicht ausgeschöpft wird. Mit natürlichen Grenzen, einem stabilen Staatsaufbau und einer starken Armee.

Die Darstellung in westlichen und saudisch-wahhabitischen Medien als eine gefährliche und kriegerische Nation entspricht weder den historischen Tatsachen - den letzten Angriffskrieg verübte Iran im 19. Jahrhundert - noch den verteidigungspolitischen Realitäten.

Bis jetzt hat der Westen keine Antwort auf die Islamische Republik Iran gefunden. Im Gegenteil. Die einseitige Unterstützung Saudi-Arabiens, flankiert von der weltweiten Verbreitung der saudischen Variante des Islams - wie z.B. Salafismus - hat dem Westen selbst massiv geschadet und gefährdet die Sicherheit der Welt.

Donald Trump, der diesbezüglich seine Wahlversprechen bricht, führt diese fatale Politik fort. Änderungen sind mittelfristig nicht zu erwarten. Änderungen werden nur durch die iranische Bevölkerung herbeigeführt, die inzwischen zu der säkularsten der Region gehört, ihrer Regierung größtenteils überdrüssig ist, aber patriotisch gesonnen bleibt. Wie schnell ein festgefügtes Regime gestürzt werden kann, wurde dort vor 40 Jahren bewiesen. Zur Stunde gleicht die islamische Republik Iran einem Koloss auf tönernen Füßen.

Östlich des Irans stellt sich die Ausgangslage wie folgt dar:

Wir befinden uns im Jahr 17 des "War on Terror" - und die afghanischen Taliban - seit 2001 von den USA als Kriegsgegner Nr.1 analysiert - wurden bisher nicht besiegt, aber dafür jetzt als Verhandlungspartner akzeptiert, ohne dass die "demokratische" Regierung in Kabul zu diesen Verhandlungen eingeladen wurde.

Diesbezüglich sei die Frage erlaubt: Was für ein Scheitern eines global angelegten, strategischen Entwurfes offenbart sich dort, was für ein Versanden, was für ein moralischer Ausverkauf auf dem Rücken von Millionen Opfern dieses "Kriegs gegen den Terror"? Immerhin faselt man im politischen Berlin nicht mehr davon, dass "unsere Freiheit" am Hindukusch verteidigt wird - und Washington gesteht ein, was schon seit Zeiten Alexanders des Großen bekannt ist: Afghanistan zu erobern ist leicht - es zu beherrschen ist unmöglich.

USA verhandelten in den Neunzigern mit Taliban

Die USA standen schon in den 1990er Jahren im engen Kontakt mit den Taliban. Zu jener Zeit - die Taliban waren damals weder gemäßigter noch umgänglicher als heute - verhandelten beide Seiten intensiv, als der Iran sich fast im Kriegszustand mit den radikalsunnitischen "Gotteskriegern" befand. Damals - und hier wird die Story hochaktuell - ging es um den Bau einer Pipeline in Afghanistan.

Einmal mehr zitiere ich an dieser Stelle den ehemaligen CIA-Agent Robert Baer. Er schreibt dazu in seinem lesenswerten Buch Die Saudi-Connection:

Das State Departement verschloss nicht nur die Augen vor der radikal-islamischen Außenpolitik, die Saudi-Arabien betrieb - gelegentlich leistete es dieser Politik sogar noch Vorschub. Es wusste, dass der Plan der Saudis, Erdgas- und Erdöl-Pipelines von Zentralasien bis nach Pakistan quer durch Afghanistan hindurch zu führen, den Taliban dabei helfen würde, an der Macht zu bleiben - und auf diese Weise zugleich dafür zu sorgen, dass Osama Bin Laden ein sicheres Schlupfloch behielt. Trotzdem ermunterte es sogar noch die amerikanische Gesellschaft United Oil of California (UNOCAL), sich daran zu beteiligen.

Soweit Robert Baer über seine Erfahrungen in den 1990er Jahren. Was danach geschah, ab 2001, ist ja bekannt.

Die Taliban lehnen Gespräche mit der afghanischen Regierung von Präsident Aschraf Ghani kategorisch ab, da sie diese für eine Marionette der USA halten. In Washington scheint man diese Einschätzung zu teilen, weshalb man die eigene Marionetten-Regierung bei den Verhandlungen umgeht.

Der Afghanistan-Experte Emran Feroz schreibt dazu in der österreichischen Tageszeitung Die Presse:

Kabuls politische Elite ist nervös. Während Washington seit geraumer Zeit mit den aufständischen Taliban im Golfemirat Katar einen Friedensdeal aushandelt, fühlt sich die Kabuler Regierung übergangen. Der Mann der Stunde ist nicht etwa Afghanistans Präsident Aschraf Ghani, sondern US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad, der selbst afghanische Wurzeln hat und die amerikanische Politik am Hindukusch seit fast vier Jahrzehnten beeinflusst. Nach den jüngsten Gesprächen, die immerhin ganze sechs Tage andauerten, könnte ein Abzug der internationalen Truppen - die Hauptforderung der Taliban - bald zur Realität werden.

Laut Beobachtern würden die Taliban durch einen Abzug der ca. 14.000 US-Soldaten ihr Herrschaftsgebiet weiter ausdehnen.

Es bleibt zu hoffen, dass nach 40 Jahren Krieg in Afghanistan Frieden einkehrt - wie heißt es doch: die Hoffnung stirbt zuletzt.

Afghanistan war immer das Opfer seiner geopolitischen Lage. Für die USA ist das Versacken am Hindukusch (wie auch die Möglichkeit eines Truppenabzuges) ein böses Omen. Es war im Jahr 1989, als die letzten Truppen der Roten Armee aus Afghanistan abzogen und die Grenze nach Sowjetisch-Tadschikistan überquerten. Noch im gleichen Jahr fiel die Mauer in Berlin, stürzten die realsozialistischen Regime von Ost-Berlin bis Bukarest. Nur zwei Jahre später lag das rote Imperium, welches von der Ostsee bis zum Pazifik reichte, vom Polarkreis hin zu den heißen Steppen Zentralasiens, in Trümmern. Die UdSSR wurde Geschichte. In Washington sollte man diesbezüglich nicht vergessen, dass man auch gerade deshalb Afghanistan den "Friedhof der Imperien" nennt.

Was die bevorstehen Wahlen im Lande angeht, so sind diese gefährdet. Informierte Kreise gehen davon aus, dass die Taliban und die USA eine Übergangsregierung installieren werden, welche die Interessen den beiden Verhandlungspartner widerspiegelt.

40 Jahre später wird dieses Jahr von den Ereignissen des Jahres 1979 beeinflusst bleiben.

2019 werden wir also weiter Zeugen jener beschleunigten historischen Entwicklungen sein, die ein Kennzeichen unserer Epoche sind. Es ist daher von dringender Notwendigkeit, dass bei der Betrachtung und Beurteilung globaler Prozesse eine historische Perspektive wieder die Oberhand gewinnt.


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