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Kommt bald die Wende in der Agrarpolitik?

Maisernte in Warendorf. Foto: no one cares/Lizenz: Unsplash

Agrargipfel: Diskussionen über unpopuläre Maßnahmen und Verordnungen. Immerhin sollen die Bauern in künftige Planungen stärker mit einbezogen werden

Immer wieder haben in den letzten Wochen Tausende Bauern aus ganz Deutschland gegen die aktuelle Agrarpolitik protestiert und mehr gesellschaftliche Wertschätzung für ihre Branche eingefordert. Auf Hunderten Traktoren, die aus allen Teilen des Landes kamen, blockierten sie die Straßen, darunter auch viele junge Landwirte. Im Fokus der Kritik stand vor allem das Agrarpaket, das im September auf den Weg gebracht wurde und unter den Bauern und Bäuerinnen großen Unmut auslöste [1].

So wurde Umweltministerin Svenja Schulze auf der Bauern-Kundgebung in Berlin Ende November 2019 ausgebuht, weil sie sich für mehr Umweltauflagen und mehr Insektenschutz einsetzt. Damit würden landwirtschaftliche Betriebe in ihrer Existenz gefährdet, kritisierten sie.

Aufgerufen und organisiert hat die Kundgebungen die Initiative "Land schafft Verbindung", der sich mittlerweile Zehntausende Bauern aus ganz Deutschland anschlossen. Die meisten von ihnen halten die immer schärferen Klima- und Umweltschutzanforderungen für überzogen und nicht nachvollziehbar. Sie fühlen sich gegängelt von Umweltauflagen und unter Druck gesetzt vom Preisdiktat [2].

Gleichzeitig demonstrierten Dutzende Aktivisten von Greenpeace und vom Tierschutzbund vor dem Bundeskanzleramt für eine klimagerechte und tierfreundliche Landwirtschaft. Die Grünen forderten eine andere Verteilung der Subventionen. Statt industrieller Großbetriebe sollten Bäuerinnen und Bauern gefördert werden, die sich Natur-, Umwelt-, Klima- und Tierschutz engagieren.

Dem Wert der Lebensmittel müsse wieder mehr Geltung verschafft werden, befand Julia Klöckner [3]. Wenn sich in der Herstellung von Nahrungsmitteln was ändern soll, müssten vor allem die Verbraucher ihre Konsumgewohnheiten ändern.

Was beschäftigt die Bauern konkret?

Einen Landwirtschaftsbetrieb zu leiten ist nicht vergleichbar mit einem x-beliebigen Job. Geerbt, gekauft oder gepachtet ist der Hof über Jahrzehnte hinweg Teil des eigenen Lebens. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit sind fließend. Und meist ist es mit einem Acht-Stunden-Tag nicht getan. So verschieden wie die Betriebe in der Produktionausrichtung, der Art der Bewirtschaftung und in ihren Standorten sind, so sehr unterscheiden sich auch die Menschen, die auf ihnen und von ihnen leben, in ihren Befürchtungen und Hoffnungen.

Peter und Sabine Kromwijk beispielsweise kommen von einem Milchviehbetrieb mit 200 Milchkühen auf der Insel Usedom. Die beiden Junglandwirte würden gerne den Betrieb ihrer Eltern übernehmen, fühlen sich aber von der Politik unverstanden. Auf der einen Seite gehen die Milchpreise immer weiter in den Keller, auf der anderen Seite ziehen die Preise bei Maschinen, Diesel und Futter an, kritisieren sie.

Auf ihrem Hof produzieren sie nachhaltig gentechnikfreies Fleisch und Weidemilch. Sie wollen ihre Mitarbeiter gut entlohnen und auch von ihrer Arbeit leben können. Mit dem Mercosur-Abkommen könnte das bald anders werden. Denn wenn erstmal Fleisch aus dem Ausland zu Schleuderpreisen importiert wird, werde es immer schwieriger, mit ihren geringen Verdiensten und gleichzeitig hohen Auflagen die jetzigen Standards aufrechtzuerhalten, befürchten sie [4].

Ackerbauer Walter Heuer aus Niedersachsen kultiviert Getreide, Zuckerrüben und Silomais auf 100 Hektar Ackerland. Er klagt über die Verbote von Düngern und Pestiziden. Nur mithilfe von Pflanzenschutzmitteln könne man die Produktion noch wirtschaftlich gestalten, glaubt er. Für landwirtschaftliche Produkte wie Zucker werde immer weniger Geld gezahlt. Was das Nitrat anbelangt, müsste man genau untersuchen, wo es herkommt, denn teilweise gelangt es über Kläranlagen und über das Abwassersystem ins Grundwasser. Und auch die Düngeverordnung dürfe nicht nur in Deutschland, sondern muss in ganz Europa gelten [5].

Ähnlich sieht es Florian Frank aus Bayreuth, der auf seinem Betrieb 220 Hektar bewirtschaftet. Das Soja, das er an seine 100 Kühe verfüttert, ist nicht gentechnisch verändert. Auch ihm fehlt die Planungssicherheit - zum Beispiel bei einem Stallneubau. Mit einem Außenhaltungsstall ohne geschlossene Systeme mit Filtern und Reinigungsanlagen ließe sich kein Stickstoff einsparen [6], glaubt der Landwirt.

Geplantes Tierwohl-Label - unzureichend und freiwillig

Auf dem Agrargipfel Anfang Dezember 2019 kam die Kanzlerin mit rund 80 Vertretern landwirtschaftlicher Verbände direkt ins Gespräch. Im Focus standen die geplanten Auflagen beim Insektenschutz und für Düngemittel [7]. Merkel sicherte den Landwirten mehr Mitsprache [8] bei der Formulierung von Umwelt- und Klimaschutzauflagen zu.

Die Landwirte verlangen mehr Planungssicherheit [9], zeigen sich aber durchaus veränderungsbereit. Sie seien sehr wohl daran interessiert, dass die Zahl der Insekten wieder steigt, beteuert Joachim Rukwied, Präsident des Bauernverbandes, denn Insekten brauche man schließlich zum Bestäuben.

Agrarministerin Klöckner sieht außerdem die Verbraucher in der Pflicht, höhere Preise für bessere Lebensmittel zu zahlen, vor allem für tierische Produkte aus tiergerechter Haltung. Denn um den Nutztieren ein artgerechteres Leben zu ermöglichen, müssen viele Ställe erst umgebaut werden. Das heißt konkret, dass auf den einzelnen Tierhalter in den nächsten Jahren fünf- bis sechsstellige Umbaukosten zukommen [10]. Ohne staatliche Zuschüsse wird das nicht zu machen sein. Außerdem müssen die Stallumbauten vorher behördlich genehmigt werden.

Bei dem neuen, für 2020 geplanten, Tierwohl-Label soll es zunächst nur um die Schweinehaltung gehen. Das Logo ist freiwillig [11] und soll Schweinefleisch aus einer Tierhaltung mit etwas besseren Bedingungen kennzeichnen. Ein weiteres Label für Rind und Geflügel soll folgen. Allerdings stößt gerade diese Freiwilligkeit wie schon bei früheren Labels auf Kritik. Denn was nicht gesetzlich angeordnet wird, wird erfahrungsgemäß meist ausgeblendet. Zudem sorgten die vielfältigen Labels [12] auf den Produkten in der Vergangenheit bei den Konsumenten mehr für Irritation als für Aufklärung.

Tierquälereien wie Kükenschreddern, Kupieren von Ringelschwänzen und betäubungsloses Kastrieren von Ferkeln blieben stets weiter erlaubt [13]. Auch deshalb haftet dem neuen Tiewohl-Label wohl der Vorwurf einer Mogelpackung [14] an.

Dauerbrenner Glyphosat

Nach langem Ringen hat Svenja Schulze nun endlich das Aktionsprogramm Insektenschutz auf den Weg gebracht. Um dem Insektensterben entgegenzuwirken, soll es mehr Geld, mehr Schutzräume und langfristig einen Ausstieg aus den Pestiziden geben, lauten die guten Vorsätze.

Konkret kann Glyphosat zwar erst verboten werden, wenn europaweit die Genehmigung hierfür auslaufen, also nicht vor 2023. Doch auf dem Weg dahin soll die Ausbringung von Pflanzengiften verringert [15] werden.

Was die Beweislage zu gesundheitlichen Auswirkungen von Glyphosat angeht, so wurden Studien, die den Nutzen und Ungefährlichkeit des Ackergiftes hervorheben, von Monsanto verdeckt mitfinanziert, wie aus kürzlich gefundenen Dokumenten hervorgeht.

So behauptete der wissenschaftliche Autor Michael Schmitz in seiner Veröffentlichung von 2011, ein Verzicht auf Glyphosat bedeute einen Verlust von 1,4 Milliarden US-Dollar für Deutschland. Glyphosat schone den Ackerboden und senke den CO2-Ausstoß, heißt es in einer weiteren Studie von 2015, zu deren Autorenteam Schmitz ebenfalls gehört. Beide Studien schafften es auf die Literaturliste des Bundestages und wurden auch in anderen Publikationen erwähnt [16].

Wäre Schmitz zum gegenteiligen Ergebnis gekommen, wie hätte dann die Finanzierung durch Monsanto ausgesehen? Vermutlich hätte es keine gegeben. Insofern war von vornherein klar, wie das Ergebnis aussehen würde. Immerhin verdient der multinationale Agrarkonzern an dem Wirkstoff bis heute Milliarden.

Es gibt gute Gründe dafür, warum wissenschafltiche Forschung von Industrie und Konzernen unabhängig sein sollte. Leider gehen die Tendenzen in die entgegengesetzte Richtung: Wissenschaft wird immer mehr von wirtschaftlichen Interessen beeinflusst [17] - nicht nur in Deutschland, sondern weltweit

Düngeverordnung differenzierter gestalten

Der Protest der Landwirte richtete sich auch gegen weitere Düngebeschränkungen zum Schutz des Grundwassers. Doch gerade bei der Düngeverordnung gibt es wenig Handlungsspielraum: Die EU fordert von Deutschland strengere Vorgaben für die Düngung der Felder, weil vielerorts der Nitrat-Grenzwert im Grundwasser überschritten ist.

Deutschland droht eine Strafzahlung von 850.000 € pro Tag, wenn es die EU-Nitratrichtlinie nicht konsequent umsetzt und die Gesetze nicht deutlich nachgebessert werden [18]. Die neue Düngeverordnung, die nun im April 2020 in Kraft treten soll, sieht unter anderem vor, die Ausbringung flüssiger organischer Düngemittel auf Grünland im Herbst auf 80 kg N/ha zu beschränken.

Außerdem sind verschieden große Abstände zu Gewässern mit unterschiedlichen Hangneigungen einzuhalten [19].

Dass die Nitratwerte den europäischen Wasserrahmenrichtlinien nicht genügen, habe man schon lange gewusst, erklärt Hubert Wiggering. Dennoch würden immer wieder "reflexartig undifferenzierte Neuregelungen" aus dem Boden gestampft, kritisiert der Sprecher der Deutschen Agrarforschungsallianz (DAFA) im Interview mit der ARD [20].

Bei den Vorschlägen zu längeren Sperrzeiten und das Verbot des Düngens mit Gülle in Gewässernähe müsse man die unterschiedlichen Böden in verschiedenen Regionen berücksichtigen. Das Wissen und die Technik dafür seien da, weiß der Professor für Geoökologie an der Universität Potsdam.

Prinzipiell hält er den Protest der Bauern für gerechtfertigt. Viele Landwirte orientieren sich an der fachlichen Praxis. Dabei reizen sie an Düngern und Pflanzenschutzmitteln alles aus, was erlaubt ist, um wirtschaftlich gut dazustehen. Die Politik habe es verpasst, rechtzeitig die richtigen Weichen zu stellen und mit den Landwirten in die richtige Richtung zu gehen.

Dass für viele Bauern die Androhung Glyphosat-Verbotes so völlig überraschend kommt, ist Wiggering allerdings unverständlich. Es sei seit Jahren bekannt [21], dass Ökosysteme und Biodiversität darunter leiden.

Ob mechanische Bekämpfung oder weite Fruchtfolgen - gerade in der Unkrautbekämpfung gibt es noch ungenutzte Potentiale. Es mag sein, dass die Landwirte darauf nicht genügend vorbereitet sind. Auf Dauer kann das aber kein Argument sein, die Suche nach alternativen Lösungen weiter vor sich herzuschieben.

Allein vor dem Hintergrund zunehmender Klimaveränderungen wird es ein "Weiter so" nicht geben. Es ist an der Zeit, dass die Politik endlich angemessene Rahmenbedingungen für eine längst überfällige Agrarwende schafft.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4610608

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.agrarheute.com/politik/bauerndemonstrationen-diese-themen-erzuernen-meisten-umfrage-560711
[2] https://www.br.de/nachrichten/bayern/land-schafft-verbindung-wer-hinter-der-protestbewegung-steckt,RhhDUn1
[3] https://www.tagesschau.de/inland/bauern-merkel-101.html
[4] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-11/protest-agrarpolitik-bauernprotest-berlin
[5] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-11/protest-agrarpolitik-bauernprotest-berlin/seite-2
[6] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-11/protest-agrarpolitik-bauernprotest-berlin/seite-3
[7] https://www.tagesschau.de/inland/agrargipfel-107.html
[8] https://www.agrarheute.com/politik/agrargipfel-merkel-sichert-bauern-einbeziehung-562178?content_hub=562193
[9] https://www.bauernverband.de/der-verband/praesident-vorstand
[10] https://www.agrarheute.com/politik/merkel-macht-agrarpolitik-chefsache-liefern-562214
[11] https://www.tagesschau.de/inland/bauernproteste-111.html
[12] https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Tierwohl-Label-Bedeutung-und-Anforderungen,tierwohllabels100.html
[13] https://www.deutschlandfunk.de/nutztierhaltung-kritik-an-kloeckners-tierwohllabel.1773.de.html?dram:article_id=440318
[14] https://www.mdr.de/nachrichten/wirtschaft/inland/tierwohl-label-100.html
[15] https://www.tagesschau.de/inland/insektenschutz-schulze-aktionsprogramm-101.html
[16] https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/glyphosat-studien-monsanto-101.html
[17] https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-grenzen-der-forschungsfreiheit-wie-politik-und.976.de.html?dram:article_id=449515
[18] https://www.bdew.de/presse/presseinformationen/zahl-der-woche-nitratproblematik-850000-euro-pro-tag-strafzahlungen/
[19] https://www.topagrar.com/acker/news/neue-duengeverordnung-soll-ab-april-2020-gelten-11837988.html
[20] https://www.tagesschau.de/inland/bauernproteste-interview-101~_origin-573824f3-9705-4284-b7c4-4a84e23835ff.html
[21] https://www.tagesschau.de/inland/bauernproteste-interview-101~_origin-573824f3-9705-4284-b7c4-4a84e23835ff.html