Kompetent rückständig
Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus war für Dynamik und Optimismus vorgesehen, verlängert derzeit aber nur die Reihe der gescheiterten Erwartungen
Als der Eiserne Vorhang fiel, war Dieter Althaus noch Lehrer in Geismar, aber immerhin schon stellvertretender Direktor. 1990 wurde er Kreisschulrat, im selben Jahr Dezernent und Landtagsabgeordneter und im Februar 1992, mit gerade mal 33 Jahren, Kultusminister von Thüringen. Mittlerweile ist er dank der fürsorglichen Unterstützung seines Mentors und populären Vorgängers Bernhard Vogel Ministerpräsident, außerdem Mitglied im CDU-Bundesvorstand und im Kompetenzteam einer potenziellen Kanzlerin für den Aufbau Ost zuständig, dem er mit seiner eigenen Bilderbuchkarriere als leuchtendes Beispiel voranschreitet.
Althaus ist überzeugter Katholik, zweifacher Vater und selbstverständlich verheiratet. Er spielt gern Fußball und fährt, wenn es die knapp bemessene Zeit gestattet, Mountainbike, Ski oder Motorrad. Neben seiner politischen Arbeit engagiert er sich unter anderem im Kolping-Bildungswerk Thüringen e.V., im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und dem Verein für Katholische Jugendsozialarbeit im Eichsfeld, er fungiert aber auch als Kuratoriumsmitglied der Stiftung Burg Bodenstein oder als Vorsitzender des Kreissportbundes Eichsfeld e.V.
Solider kann man sich einfach nicht auf die höchsten politischen Ämter in der Bundesrepublik vorbereiten. Doch seit dem 18. September ist nichts mehr, wie es hätte sein können. Das gilt auch für den erfolgsverwöhnten Dieter Althaus, dem die Felle vor der eigenen Haustür wegschwammen. In Thüringen verlor die CDU bei der Bundestagswahl 3,7 Prozent. Die Regierungspartei rangiert im Freistaat mit mageren 25,7 Prozent nun hinter den Sozialdemokraten (29,8 Prozent) und der PDS (26,1 Prozent) auf dem dritten Platz. Derweil gewann die SPD sechs von neun Wahlkreisen und beendete - zumindest vorläufig – die parlamentarische Laufbahn der ehemaligen Bundesministerin Claudia Nolte, die sich in den 90ern um Familien, Senioren, Frauen und Jugendliche sorgte, nun aber nicht einmal mehr auf ihrer angestammten Homepage zu erreichen ist.
Nolte machte zunächst die Landespolitik für das schlechte Abschneiden der Thüringer CDU verantwortlich, und auch wenn sie später doch lieber den Bundestrend in die Pflicht nahm, dürfte ihr der eine oder andere Parteifreund zugestimmt haben. Denn vor Ort ist Dieter Althaus, der schon als Fraktionsvorsitzender mancherorts aneckte und mit einem populistischen Landtagswahlkampf ebenfalls wenig Zustimmung erntete, keineswegs unumstritten.
Viele seiner Landsleute glauben längst nicht mehr an das Bild vom sympathisch-dynamischen Macher und schon gar nicht an ein ostdeutsches Erfolgsmodell. Thüringen hockt auf einem Schuldenberg von geschätzten 15 Milliarden Euro, die Arbeitslosenquote liegt bei rund 16%, und ob 2006 überhaupt ein verfassungskonformer Haushalt zustande kommt, steht in den Sternen. Unter diesen Umständen stieß der Vorschlag des Ministerpräsidenten, die Investitionszulage für ostdeutsche Unternehmen bis 2011 abzuschaffen, auf ebenso wenig Verständnis wie die beabsichtige Einführung eines einkommensunabhängigen Landeserziehungsgeldes oder die zögerliche Erklärung, seine Regierung habe erhebliche Mittel aus dem Solidarpakt zur Schuldentilgung und nur 70 Prozent der für den Aufbau Ost erhaltenen Gelder zweckgebunden eingesetzt.
Diskussionswürdig sind aber nicht nur die ökonomischen Basisdaten, sondern auch die Versuche, das geistige Klima in einer Weise zu beeinflussen, die mit zukunftsorientierter politischer Gestaltung wenig zu tun hat. Wie das Hamburger Magazin „stern“ in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, hat Althaus den Münchner Mikrobiologen Siegfried Scherer zu der Veranstaltungsreihe Erfurter Dialog eingeladen. Scherer darf nach seinen bisherigen Veröffentlichungen zum Kreis der Kreationisten gerechnet werden, die der Evolutionslehre einen christlich geprägten Schöpfungsmythos gegenüberstellen. In Amerika tragen diese Vorstellungen unter der Bush-Regierung so reiche Früchte, dass Charles Darwin an vielen Schulen bereits zur persona non grata erklärt wurde.
Althaus sah übrigens schon in Scherers - aus bislang unerfindlichen Gründen mit dem Deutschen Schulbuchpreis ausgezeichneter - Publikation Evolution. Ein kritisches Lehrbuch ein „sehr gutes Beispiel für werteorientierte Bildung“ und fand überhaupt, dass es in diesem Bereich „kein abgeschlossenes wissenschaftliches Konzept“ gebe.
Thüringens Regierungssprecher Uwe Spindeldreier beeilte sich gleichwohl festzustellen, seinem Chef läge es fern, „religiösen Fundamentalisten den Boden zu bereiten“, oder in Thüringen einen „Kulturkampf um die Evolutionslehre wie in Amerika“ zu organisieren. Trotzdem sei es „wohl noch erlaubt, solche Diskussionen zu führen.“
Doch Althaus' Äußerungen kommen nicht von ungefähr. Im Wahlkampf warf er Gerhard Schröder und Joschka Fischer allen Ernstes vor, höchstpersönlich zum „Niedergang der Familie“ in Deutschland beizutragen. Männer, „die ihre Ehepartner gewechselt haben, dass man kaum noch mit dem Zählen nachkommt“, könnten keine Vorbildfunktion ausfüllen, behauptete der Ministerpräsident, der seine Botschaft vom weltoffenen Thüringen immer wieder mühelos mit einer stramm konservativen Grundeinstellung verbindet. So auch im Bereich innere Sicherheit, der nach eigenen Angaben zu den Schwerpunkten seiner politischen Arbeit gehört. Was sich Dieter Althaus darunter vorstellt, ist auf seiner Homepage nachzulesen:
Nirgendwo in Deutschland werden mehr Verbrechen aufgeklärt als in Thüringen und Bayern. Wir Thüringer leben in einem sicheren Land. Das soll auch so bleiben. Deshalb gilt für mich: Null Toleranz gegenüber jeder Art von Verbrechen. Das ist und bleibt der Thüringer Weg für mehr Sicherheit. Nur ein Beispiel: So genannte Alltagsdelikte werden im Freistaat nicht bagatellisiert, sondern konsequent verfolgt. Graffiti-Schmierereien sind in Thüringen kein Kavaliersdelikt! Mit der Thüringer Graffiti-Verordnung und Geldbußen bis zu 5000 Euro legen wir den Schmutzfinken das Handwerk.
Dieter Althaus
Schade nur, dass die Bekämpfung des Rechtsradikalismus nicht annähernd so effektiv ist wie die Thüringer Graffiti-Verordnung. Die NPD findet in dem Bundesland des Ostexperten momentan nämlich genau den geistigen, sozialen und wirtschaftlichen Nährboden, der sie schon in den Sächsischen Landtag katapultierte. Bei der Bundestagswahl gewann sie 2,7 Prozent hinzu und konnte damit immerhin 3,7 Prozent der Zweitstimmen für sich verbuchen. In der Gemeinde Meusebach erreichten die Nationaldemokraten satte 15,5 Prozent, in weiteren 15 Gemeinden über 10 Prozent. Unter Aufbau Ost hatten sich die meisten Bundesbürger allerdings vermutlich etwas anderes vorgestellt.