Komplett dicht: Österreich will EU-Gipfel wegen Migration blockieren

Nehammer setzt auf das Konzept "Festung Europa". Symbolbild: Skitterphoto auf Pixabay (Public Domain)

Wenn die harte Linie nicht durchkommt, will Kanzler Nehammer die EU lahmlegen. Seine Gründe sind vermutlich innenpolitisch. Das Land hat jedoch die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet.

Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer probt den Aufstand in Brüssel. Er will die Abschlusserklärung der EU-Staats- und Regierungschefs beim heute in Brüssel beginnenden Gipfeltreffen blockieren, wenn nicht das von ihm geforderte "robustere" Vorgehen beim Grenzschutz Gehör findet. Nehammer will offenkundig das Recht auf Asyl einschränken und wünscht sich Milliarden für den Bau von Zäunen, weil "leere Worthülsen" nun nicht mehr reichen.

Er selbst hat eher leere Konzepthülsen im Sinn, die rechtlich absurd sind, praktisch nicht durchsetzbar und im wesentlichen Ausdruck seiner innenpolitischen Panik. Allerdings treffen sie den Geschmack ländlicher Regionen, sowohl in Österreich als auch in Deutschland, wie beispielsweise der "Hilferuf" des Präsidenten des Landkreistages Sachsen-Anhalt sowie das Agieren des Landrats des Burgenlandkreises, Götz Ulrich, zeigt. Letzterer meint, die "besonderen Situationen in den ländlichen Räumen geraten mitunter außer Betracht".

Das Recht gilt nicht für alle

Aber der Reihe nach. Karl Nehammer wünscht sich im Grunde von der EU die Legalisierung der "Push-Backs", also die Möglichkeit, Menschen an der Grenze abzuweisen und zurückzuschicken, wenn ihre Asylanträge "ohne Aussicht auf Erfolg" sind. Wer immer dies mit bloßem Auge und innerhalb weniger Momente, am heruntergelassenen Grenzbalken stehend, feststellen kann.

Push-Backs sind mehr oder minder ohnehin schon europäische Praxis, aber eben eine illegale. Noch ist es verboten, Geflüchtete gegen ihren Willen und ohne Richterspruch zu deportieren. Karl Nehammer stellt sich hier in eine Tradition rechter Demagogie, die schlicht keinen Begriff von Recht und Rechtspflege hat. Für Menschen mit Fluchterfahrungen gelten anscheinend keine Gesetze und keine Menschenrechte, sie sind Spielball einer Anlassgesetzgebung. Und dies in Österreich seit Jahrzehnten.

Die von Nehammer geforderte "Zurückweisungsrichtlinie" lässt sich genau besehen nicht mit geltendem Recht umsetzen. Die Idee jene zurückzuweisen, die "praktisch keine Chance auf Asyl" haben, würde Behördenwillkür Tür und Tor öffnen und stellt "eine eindeutige Verletzung des Flüchtlingsrechts dar", laut Büro des Uno-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) in Wien.

Österreich hat die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet – und die schließt eine pauschale Abweisung von Geflüchteten aus. Der UNHCR gibt sich hier unmissverständlich: Ohne die Einzelfallprüfung gäbe es de facto keinen Schutz der Flüchtlinge mehr und dies "könne Leben gefährden".

Auch der kleine grüne Koalitionspartner der ÖVP winkt unmissverständlich deutlich ab. "Es wird keine EU-Rückführungsrichtlinie geben, die gegen die Menschenrechtskonvention verstößt und kein Herumdeuteln dran." So der Europasprecher der Grünen, Michel Reimon auf Twitter.

Warum begibt sich die ansonsten gerne so staatstragend agierende Österreichische Volkspartei seit November letzten Jahres immer wieder "selbstmörderisch" (Reimon) auf das dünne Eis des Rechtspopulismus, indem sie Menschenrechte zur Diskussion stellt? Die Antwort liegt vermutlich im Ergebnis der Wahlen im wichtigen Bundesland Niederösterreich.

Verurteilungen ohne Konsequenz

Nach der erfolgreich geschlagenen Wahl in Niederösterreich ist dem Integrationslandesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) der Erfolg ein wenig zu Kopf gestiegen. In einer Fernsehdebatte wenige Tage nach der Wahl fragte ihn eine Schülerin mit Migrationsgeschichte, was er dazu sagen würde, dass sie und viele ihrer Mitschüler eines Wiener Gymnasiums nicht in Österreich wären, wenn die FPÖ-Politik durchgesetzt worden wäre. Waldhäusle meinte dazu knapp, dann wäre Wien eben noch Wien.

Der Rechtspopulismus der FPÖ geht immer wieder in offenem Rechtsextremismus über. Gerade im Bundesland Niederösterreich sind rassistische Deutungsmuster und unverhohlene Anlehnungen an den Nationalsozialismus durchaus üblich.

Nach Skandalen wie der "Liederbuchaffäre", in der zu Tage kam, dass der Vorsitzende der FPÖ Niederösterreich Udo Landbauer Mitglied einer Burschenschaft war, die Loblieder auf den Holocaust für einen gelungenen Scherz hält, durchläuft die österreichische Politik ihren üblichen Teufelskreis.

Am Anfang stehen die Aufregung, das Entsetzen und die Verurteilung. Wie aktuell gegenüber dem niederösterreichischen Politiker Waldhäusl. Die ÖVP-Vorsitzende und Landeshauptfrau von Niederösterreich, Johanna Mikl-Leitner verurteilte seine Äußerungen als "jenseitig". Dann folgt die jähe Erkenntnis, dass sich rechtlich und politisch nichts machen lässt ("entscheiden muss die FPÖ", so Mikl-Leitner) – und am Ende konnte die FPÖ wieder die Themen setzen.

So aktuell mit dem Traum des guten, alten Österreich, in dem es angeblich keine Ausländer gegeben habe. Für Karl Nehammer ist dies fatal, denn er muss sehen, wie unter dem ÖVP-Vorsitzenden Sebastian Kurz dieses Thema der FPÖ erfolgreich abspenstig gemacht wurde und so Wahlerfolge erzielt werden konnten. Nun liegt die ÖVP wieder weit angeschlagen hinter der FPÖ.

Besondere Situation im ländlichen Raum

Die Österreichische Volkspartei tut sich traditionell schwer in den Städten, sie braucht, wenn sie Wahlen gewinnen will, die Zustimmung auf dem Land. Hier kommt eine meist zu wenig aufgeschlüsselte, psychologische Komponente der Fremdenfeindlichkeit mit ins Spiel, die eine Wurzel in der Landesnatur hat. Das Bundesland Niederösterreich ist weitgehend reizarm. Böse Zungen würden sagen es ist einfach hässlich.

Es erfüllt seine Funktion als Schlafzimmer Wiens, aber viele weiter von der Großstadt entfernt gelegene Regionen sind schlicht "abgehängt". Auf diesen kargen Böden gedeihen die Waldhäusls. Sie brauchen kein Blatt mehr vor den Mund nehmen, denn man kann keinen Tourismus gefährden, den es nicht gibt.

Es zeigt sich, dass gerade jene Regionen Österreichs und auch Deutschlands einen hohen Zuspruch an rassistischen Deutungsmustern aufweisen wo es a) wenig Ausländer gibt und die b) "strukturschwach" sind.

Die Menschen vor Ort beobachten sehr genau, dass kurioserweise nie jemand auf die Idee kommt, Containerdörfer für "Asylanten" am Starnberger See zu errichten. Wo die Immobilienpreise hoch sind, bleibt man unter sich. Wo Armut herrscht, kommen auch noch die Flüchtlinge. Der Frust ist vorprogrammiert.

Mehr noch, die abgehängten Regionen erleben ohnehin einen Brain-Drain. Wer mutig und schlau ist, zieht weg. Die Zurückgebliebenen haben sicherlich manches Mal darüber nachgedacht, auch wegzuziehen und genau ihnen setzt man Menschen vor die Haustür, die ihre Heimat verlassen haben, auf der Suche nach einem besseren Leben. Das muss rein psychologisch schiefgehen. In Sachsen-Anhalt und in Niederösterreich.

Ganz unabhängig davon, ob die Geflüchteten dann tatsächlich kommen oder ob nur ein Rechtspopulist behauptet sie würden kommen. Genau auf diesen Zug versucht Karl Nehammer nun in Brüssel aufzuspringen. Er will sich zum Anwalt jener Landgemeinden machen, die sich vor der Flüchtlingswelle fürchten. Ihnen verspricht Nehammer die üblichen einfachen Lösungen: hohe Zäune und die erbarmungslose Entrechtung der Fremden.

Die Idee der Kooperation, die Hoffnung gar auf ein besseres Leben für alle Menschen, sowohl der Geflüchteten als auch für jene, die in strukturschwachen Regionen leben und sehen könnten, wie dank der Fremden, großzügig investiert wird, wird von Nehammer und Co. nicht einmal angedacht. Sie haben eine simple und griffige Botschaft: "Wir machen den Laden dicht!"