Komplikationen nach Corona-Impfung 40-mal höher als erfasst?

Berliner Arzt stellt entsprechende Zwischenergebnisse einer Charité-Studie vor. Debatte emotional geführt und politisch von AfD vereinnahmt

Der Leiter einer laufenden Studie am Berliner Universitätsklinikum Charité zu Nebenwirkungen von Coronaimpfungen hat eine massive Untererfassung gesundheitlicher Probleme durch Vakzine beklagt und mehr Anlaufstellen für Betroffene gefordert.

Die Zahl schwerer Komplikationen nach Impfungen gegen Sars-CoV-2 sei "40-mal höher, als durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bislang erfasst wurde", schrieb der Mitteldeutsche Rundfunk, dessen Gesundheitsmagazin Hauptsache gesund am Dienstag zuerst über die langfristige Beobachtungsstudie unter Leitung des Berliner Gastroenterologen Harald Matthes berichtet hatte.

Die Studie "Sicherheitsprofil von Covid-19-Impfstoffen" ("ImpfSurv") laufe sei einem Jahr und nehme vorwiegend die Wirkungen und Nebenwirkungen der verschiedenen Vakzine ins Visier.

Dafür seien landesweit rund 40.000 geimpfte Personen in regelmäßigen Abständen befragt worden. "Die Teilnahme an der Studie ist freiwillig und erfolgt unabhängig davon, wie die Impfstoffe bei den Probanden jeweils wirken", heißt es beim mdr.

Matthes, der als leitender Arzt der Gastroenterologie, ärztlicher Leiter und Geschäftsführer hauptberuflich am anthroposophisch ausgerichteten Krankenhaus Havelhöhe im Westen von Berlin tätig ist, zugleich ein akademisches Lehrkrankenhaus der Charité, kommt zu dem Ergebnis, dass acht von 1.000 Geimpften mit schweren Nebenwirkungen belastet sind. Dazu Matthes:

Die Zahl ist nicht überraschend. Sie entspricht dem, was man aus anderen Ländern, wie Schweden, Israel oder Kanada kennt. Übrigens hatten selbst die Hersteller der Impfstoffe in ihren Studien bereits ähnliche Werte ermittelt.

Professor Harald Matthes

Bei herkömmlichen Impfstoffen, etwa gegen Polio oder Masern, sei die Zahl schwerer Nebenwirkungen deutlich geringer.

Das bundeseigene Paul-Ehrlich-Institut erfasst auch im Kontext der Corona-Impfkampagne Nebenwirkungen. Sie können dem Institut online gemeldet werden. Im Verlauf der Pandemie war das Meldesystem wiederholt hinterfragt worden.

Matthes forderte angesichts der ersten Ergebnisse der ImpfSurv-Studie eine offene Debatte "auf Kongressen und in der Öffentlichkeit, ohne dass wir als Impfgegner gelten".

Bundesministerium bezeichnet Betroffenenbericht als "Falschaussage"

Tatsächlich hat die Debatte über Corona-Impfnebenwirkungen immer wieder für Skandale gesorgt. So hatte auch Telepolis hatte am 25. Februar über einen Brandbrief der BKK ProVita an das PEI berichtet, das für die Erfassung von Impfnebenwirkungen zuständig ist.

Gezeichnet vom Vorstand der Krankenkasse, Andreas Schöfbeck, hieß es: Eine Auswertung von Abrechnungsdaten zeige eine viel höhere Häufigkeit von Nebenwirkungen nach Covid-Impfungen, als die offiziellen Zahlen des PEI hergeben.

Es folgte eine heftige Kontroverse, in deren Verlauf der Vorsitzende des Virchowbundes, des Verbandes der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte Deutschlands, Dirk Heinrich, die BKK ProVita eine "Schwurbel-BKK" nannte und ihr "peinliches Unwissen oder hinterlistige Täuschungsabsicht" bescheinigte.

Am 1. März wurde Schöfbeck vom Verwaltungsrat der BKK ProVita aus seiner Position entlassen.

Zu solchen oft hitzig geführten Debatten trägt auch bei, dass das Thema der Impfnebenwirkungen auf politischer Ebene fast ausschließlich von der AfD besetzt wird. Der Vorsitzende und verbraucherschutzpolitische Sprecher der AfD im Bayerischen Landtag, Christian Klingen, etwa kritisierte Schöfbecks Entlassung und beklagte: "Wer die Sicherheit der Impfstoffe in Frage stellt, galt in Politik und Medien schnell als 'Verschwörungstheoretiker' und 'Covidiot'."

In Folge zeigen sich selbst staatliche Stellen kaum bereit, auf tatsächlich oder mutmaßlich Betroffene einzugehen. Eine Bürgerin schrieb Ende April auf der Facebook-Seite des Bundesgesundheitsministeriums:

Ich wurde bislang gegen alles geimpft. Durch die Coronaimpfung habe ich seit einem Jahr Nebenwirkungen und bin arbeitsunfähig! Und wie mir geht's zu vielen anderen auch! (...)

Sie fügte an, die Betroffenen bekämen "keine Unterstützung, keine Hilfe". Sowohl "Medien, als auch die Regierung tun alles, um es zu vertuschen", so ihr Vorwurf, von dem sie sich in einer Überarbeitung des Postings distanzierte. Das Ministerium ging darauf nicht ein und antwortete::

Bitte unterlassen Sie Falschaussagen wie diese.

Sollte die Frau den Verdacht einer Nebenwirkung haben, "können Sie das Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt oder direkt dem zuständigen Paul-Ehrlich-Institut (PEI) melden". Kurz zuvor hatte eine andere Userin kommentiert:

Ich habe (…) bis jetzt 3 Impfungen gegen Corona ohne Spätfolgen überstanden.

Das Bundesministerium für Gesundheit antwortete:

Vielen Dank für Ihre Beteiligung am Diskurs und das verantwortungsvolle Handeln.


Redaktioneller Hinweis: Die Zitate aus dem Facebook-Chat am Ende wurden gegenüber einer früheren Version dieses Artikels ergänzt.