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Konflikt zwischen Venezuela und Guyana: Alles begann 1835 mit einem deutschen Naturforscher

Sorgt noch fast 200 Jahre später für Ärger: Karte Schomburgks von Guyana.

Venezuela droht dem Nachbarstaat Guyana. Deutschen Medien werfen Caracas Annexionismus vor. Der Name eines verantwortlichen Deutschen fällt weniger häufig.

Alles begann 1835, als das britische Empire einen deutschstämmigen Naturforscher und Entdecker in das von ihm kolonisierte südamerikanische Gebiet namens Britisch-Guayana schickte, um geografische Forschungen durchzuführen.

Im Laufe seiner Erkundungen zeichnete er eine Karte, die weit über die ursprüngliche Westgrenze hinausging, die zunächst von den Niederländern und später von den Briten besetzt war.

Da das britische Empire seine Grenzen auf das Gebiet westlich des Esequibo-Flusses ausdehnen wollte, das als reich an Gold bekannt war, beauftragte die britische Regierung den Entdecker mit der Vermessung ihrer Territorialgrenzen.

Eva Golinger ist eine venezolanisch-amerikanische Anwältin, Autorin und Aktivistin. Bild [1]: Cancillería Ecuador, CC BY 2.0 [2]

Die sogenannte "Schomburgk-Linie", benannt nach dem Entdecker Robert Hermann Schomburgk, eroberte große Teile des venezolanischen Territoriums und löste einen bis heute ungelösten Territorialkonflikt aus.

1850: Provisorische Einigung zwischen Venezuela und Guayana

Nach jahrzehntelangem Streit über den Grenzverlauf zwischen Venezuela und seinem kolonisierten Nachbarn einigten sich beide Seiten 1850 darauf, das umstrittene Gebiet bis zu einer Klärung nicht zu besetzen.

Als jedoch die Nachfrage nach Gold und anderen Bodenschätzen in der Region stieg, versuchten die Briten erneut, das Gebiet für sich zu beanspruchen, indem sie die Schomburgk-Linie zur Grenze von Britisch-Guayana erklärten.

Ironischerweise bat Venezuela damals Washington um Hilfe und berief sich auf die Monroe-Doktrin, um eine weitere Kolonisierung der Hemisphäre durch das britische Empire zu verhindern.

Schiedsvertrag 1897 in Washington

US-Präsident Grover Cleveland erklärte die Angelegenheit schließlich zum gesamtamerikanischen Interesse und zwang Großbritannien 1897 in Washington, einen Schiedsvertrag mit Venezuela zu unterzeichnen.

Zwei Jahre später entschied das Schiedsgericht, dem keine Vertreter Venezuelas angehörten, sondern zwei Schiedsleute aus den USA, die angeblich im Interesse Venezuelas handelten, zugunsten Großbritanniens.

Venezuela wies die Entscheidung zurück und behauptete, es habe politische Absprachen und illegalen Druck zugunsten der Gegenseite gegeben.

Druck auf Schiedsgericht zugunsten von Großbritannien

Diese Behauptungen wurden durch einen Brief von Severo Mallet-Prevost, dem offiziellen Sekretär der US-Venezuela-Delegation im Schiedsgericht, untermauert, aus dem hervorging, dass der Präsident des Schiedsgerichts, Friedrich Martens, Druck auf die Schiedsrichter ausgeübt hatte, zugunsten Großbritanniens zu entscheiden.

Mehr als ein halbes Jahrhundert verging, bis der Streit erneut auf die internationale Bühne gebracht wurde, diesmal vor die Vereinten Nationen. Venezuela prangerte die Korruption an, die zum Schiedsspruch von 1899 geführt hatte, und bekräftigte seinen Anspruch auf das als "Essequibo" bekannte Gebiet.

Im Februar 1966 unterzeichneten alle Konfliktparteien – Venezuela, Britisch-Guayana und Großbritannien – bei einem Treffen in Genf das Abkommen zur Beilegung des Grenzstreits zwischen Venezuela und Britisch-Guayana, den sogenannten Genfer Vertrag.

Weder Venezuela noch Guayana sollten aktiv werden

Sie einigten sich darauf, dass keine Seite in dem umstrittenen Gebiet aktiv werden würde, bis eine endgültige, für alle Seiten akzeptable Grenze festgelegt worden war.

Wenige Monate später, im Mai 1966, erlangte Guyana seine Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich, was die Angelegenheit noch komplizierter machte. Auf den folgenden Karten von Venezuela und Guyana beanspruchten beide Länder das Gebiet als Teil ihres Territoriums.

Trotz kleinerer Unstimmigkeiten seit 1966 wurde der Streit erst 2015 zur Quelle eskalierender regionaler Spannungen, als Exxon mitten im Essequibo ein großes Ölfeld entdeckte, das von Guyana beansprucht wird.

2019: Plötzlicher Erdöl-Reichtum für das arme Guayana

Die Republik Guyana galt lange als das zweitärmste Land der Karibik und noch 2015 lag beim Pro-Kopf-Einkommen hinter Haiti. Der Hauptwirtschaftszweig des Landes war damals die Landwirtschaft, insbesondere die Reis- und Zuckerproduktion, die über 30 Prozent der Exporteinnahmen ausmachen.

Dann kam ExxonMobil, einer der größten Öl- und Gaskonzerne der Welt mit einem lange währenden Konflikt mit Venezuela. Bis 2007 war Exxon mit seinem Cerro Negro-Projekt im venezolanischen Orinoco-Flussbecken stark investiert.

Ursprünglich hatten US-amerikanische Öl- und Geologieexperten die dort in großen Mengen gefundene ölhaltige Substanz als Bitumen, einen dicken schwarzen teerähnlichen Asphalt, eingestuft, sodass sie nicht unter das venezolanische Kohlenwasserstoffgesetz von 1976 fiel, das die Öl- und Gasreserven verstaatlicht.

Erdöl! BIP von Guyana schießt in die Höhe

Das Bruttoinlandsprodukt Guyanas steigt aufgrund der Ölproduktion, die 2019 begann und 2022 278.000 Barrel pro Tag (bpd) erreichte, schnell an. Die Weltbank schreibt: "Es wird erwartet, dass das Land eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften mit zweistelligen Wachstumsraten in den Jahren 2023 und 2024 bleiben wird, da zusätzliche Ölfelder in Betrieb genommen werden."

Das hatte sich schon vor Jahren abgezeichnet: Nachdem Venezuela verstorbener Ex-Präsident Präsident Hugo Chávez vermutet hatte, dass das Gebiet tatsächlich riesige Erdölreserven beherbergt, ließ er eigene Nachforschungen anstellen und wurde bestätigt: Dem Orinoco-Flussbecken wurden über 300 Milliarden Barrel Schweröl bescheinigt.

Am 1. Mai 2007 erklärte Chávez offiziell, dass alle Kohlenwasserstoffvorkommen in der Region den früheren Nationalisierungsgesetzen unterliegen, wodurch ausländische Unternehmen, die in der Region tätig sind, gesetzlich verpflichtet waren, Joint Ventures mit der staatlichen venezolanischen Ölgesellschaft PdVSA einzugehen.

Erdölvorkommen: Venezuela besteht auf Mischunternehmen

Das Gesetz sah eine Mindestbeteiligung des venezolanischen Staates von 51 Prozent und eine Höchstbeteiligung ausländischer Unternehmen von 49 Prozent vor. Nur zwei Unternehmen weigerten sich, mit dem neuen Gesetz zu kooperieren. Beide kamen aus den USA: ConocoPhillips und ExxonMobil. Beide verklagten Venezuela wegen der Verstaatlichungen.

Die Forderung von ConocoPhillips war deutlich geringer als die von Exxon, die über 18 Milliarden Dollar für die Enteignung forderte. Venezuela bot den Marktwert, und der Fall kam vor ein internationales Schiedsgericht, das die venezolanische Regierung schließlich zur Zahlung von 1,6 Milliarden US-Dollar an Exxon verurteilte – nur ein Bruchteil dessen, was der US-Ölgigant erwartet hatte.

In einem offensichtlichen Racheakt hat Exxon einen Weg gefunden, an das venezolanische Öl zu gelangen, ohne die venezolanischen Regeln zu befolgen, wenn auch über illegale und potenziell gefährliche Kanäle.

Gegen Venezuela: Die Exxon-US-Agenda in Guayana

Während die Obama-Regierung ihre aggressive Haltung gegenüber Venezuela verstärkte, indem sie das Land per Dekret zu einer "ungewöhnlichen und außergewöhnlichen Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA" erklärte und potenziell weitreichende Sanktionen gegen Regierungsbeamte verhängte, schloss Exxon einen Vertrag mit Guyana über die Erkundung von Ölvorkommen im umstrittenen Esequibo-Gebiet.

Im Mai 2015, als Guyana gerade einen neuen Präsidenten, den konservativen Militäroffizier David Granger, einen engen Verbündeten der USA, vereidigt hatte, machte Exxon im Atlantik nahe der venezolanischen Küste eine riesige Entdeckung. Die von Exxon in der "Liza-1-Bohrung" entdeckten Vorkommen sollen mehr als 700 Millionen Barrel Öl zu erschließen helfen.

Der Fund bedeutete für Guyana eine entscheidende Wende, denn er entsprach mehr als dem Zwölffachen der damaligen Wirtschaftsleistung des Landes – vorausgesetzt, das Öl gehört tatsächlich Guyana und nicht Venezuela.

Am 26. Januar 2015 war Joe Biden, damals noch als Vizepräsident, Gastgeber der ersten "Karibischen Energiesicherheitsinitiative", die Staatschefs und hochrangige Beamte aus karibischen Ländern mit multinationalen Führungskräften in Washington zusammenbrachte.

Das erklärte Ziel der Initiative war, den karibischen Staaten dabei zu helfen, "die Bedingungen zu schaffen, um Investitionen des privaten Sektors anzuziehen". Biden machte das eigentliche Ziel klar, als er sagte: "Ob es sich um die Ukraine oder die Karibik handelt, kein Land sollte in der Lage sein, natürliche Ressourcen als Zwangsmittel gegen ein anderes Land einzusetzen".

USA gegen das Programm PetroCaribe

Ohne es beim Namen zu nennen, bezog sich Biden auf Venezuela und dessen PetroCaribe-Programm, das den karibischen Staaten subventioniertes Öl und Gas praktisch ohne Vorlaufkosten zur Verfügung stellt.

PetroCaribe hatte die Entwicklung der Region in den zehn Jahren zuvor entscheidend gefördert. Das Programm wird eindeutig als Bedrohung für den Einfluss der USA in der Karibik und als Affront gegen die traditionelle Ausbeutung kleiner Entwicklungsländer durch Konzerne empfunden.

Zusätzlich zu den Sanktionen der Obama-Regierung, die darauf abzielten, Venezuela in der Region zu isolieren und es als "gescheiterten Staat" darzustellen, griff die "Karibische Energiesicherheitsinitiative" direkt Venezuelas Lebensader an: das Erdöl.

Der Bericht des US-Senats über das Budget des Außenministeriums für das Jahr 2016 empfahl die Freigabe von fünf Millionen US-Dollar für "verstärkte Anstrengungen, die Länder Lateinamerikas und der Karibik dabei zu unterstützen, eine größere Energieunabhängigkeit von Venezuela zu erreichen".

Die sinkenden Ölpreise hatten der venezolanischen Wirtschaft damals bereits geschadet, aber ein Ausschluss vom regionalen Ölhandel drohte noch größeren Schaden anzurichten.

Das Hauptproblem, nämlich die Frage, wie das venezolanische Öl im Rahmen von PetroCaribe ersetzt werden könnte, löste der neue Präsident Guyanas, ein ehemaliger Dozent am U.S. Army War College, mit einem Federstrich.

Nur drei Tage nach seinem Amtsantritt im Mai unternahm er eine bis dahin geheim gehaltene Reise in die USA. Wenige Stunden später machte Exxons Ölförderplattform Deepwater Champion im großen Stabroek-Block in dem umstrittenen Küstengebiet ihren ersten großen und lukrativen Fund.

Exxon verwirft diplomatische Lösung mit Venezuela

Die venezolanische Regierung forderte Exxon auf, das Gebiet zu verlassen, und verwies dabei auf ihren Anspruch auf das Esequibo-Gebiet sowie den laufenden Konflikt mit Guyana, in dem die UNO vermittelnd tätig war.

Doch Exxon ignorierte Venezuela und folgte dem Beispiel von Präsident Granger, der sich offen über die Genfer Konvention und die Forderungen Venezuelas hinwegsetzte, den Konflikt diplomatisch zu lösen und die UN-Vermittlung in die Lösung des jahrhundertealten Streits einzubeziehen.

Die Folgen erleben wir dieser Tage.

Eva Golinger ist eine venezolanisch-amerikanische Anwältin, Autorin und Aktivistin. Sie wurde bekannt durch ihre Arbeit bei der Analyse und Kritik der US-amerikanischen Außenpolitik, insbesondere im Zusammenhang mit Venezuela. Golinger war für ihre investigative Forschung bekannt, einschließlich ihrer Untersuchungen zur Beteiligung der USA in Venezuela und ihrer Unterstützung für den verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Zu Ende der Amtszeit von Chávez und nach Amtsantritt von dessen Nachfolger Nicolás Maduro hat sie öffentlich Abstand von dem politischen Projekt des Chavismus genommen.

Ihr vorliegender Text ist im Jahr 2015 auf dem Portal venezuelanalysis.com erschienen und wurde in der vorliegenden Fassung an einigen Stellen aktualisiert.


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