Konflikte in Bolivien gehen nach Verabschiedung der Verfassung weiter
Die rechte Opposition ruft zum Generalstreik, während Evo Morales mahnt, das "Volk nicht zu provozieren"
Zwar war es Evo Morales gelungen, dass am Samstag die umstrittene Verfassung beschlossen wurde, doch geschah dies gegen den Widerstand der gesamten Opposition. Nur die Wahlmänner seiner "Bewegung für den Sozialismus" (MAS) nahmen an der Verfassungsgebenden Versammlung teil, die angesichts wütender Demonstranten in eine Militärakademie verlegt werden musste. Morales vermochte die Blockade zu sprengen, aber nach einer unruhigen Vergangenheit könnte dem Land eine unruhigere Zukunft blühen.
Am Dienstag blieb es weitgehend friedlich in Bolivien, doch das könnte die Ruhe vor dem Sturm sein, der sich mit einem Generalstreik für Mittwoch ankündigt. Man darf davon ausgehen, dass der 48-stündige Streik in den reichen östlichen Tieflandprovinzen weitgehend befolgt wird. Santa Cruz, Tarija, Beni und Pando werden von der rechten Opposition regiert, die bisher alles getan hat, um eine neue Verfassung zu verhindern (Opposition lehnt sich gegen Regierung in Bolivien auf). Ein Entgegenkommen in der Forderung nach Autonomie brachte Morales nur eine kurzfristige Erleichterung (Boliviens Regierungschef Morales lenkt ein).
Zudem gelang es der Rechten, den Hauptstadtstreit und andere Fragen zu instrumentalisieren und mit Chuquisaca und Cochabamba weitere Departements gegen Morales Pläne zu mobilisieren. In der Hauptstadt Sucre, die in Chuquisaca liegt, fanden auch die heftigen Krawalle statt, bei denen seit Samstag vier Menschen getötet und mehrere Hundert verletzt wurden. Am Montag wurde dort erneut ein Student erschossen. Von wem ist unklar. Genauso unklar ist der Tod eines jungen Anwalts. Ihn traf ein Schuss ins Herz. Nach ersten Untersuchungen handelt es sich bei dem Kaliber der tödlichen Kugel aber um keines, das Polizei und Militär verwenden. Ein Polizist soll dagegen von aufgebrachten Regierungsgegnern gelyncht worden sein. Die Sicherheitskräfte haben Sucre vollständig verlassen und die Stadt befindet sich nun in der Hand der Opposition.
Wegen der brenzligen Lage in Sucre war die Verfassungsgebende Versammlung am Samstag in eine nahe gelegene Militärakademie verlegt worden. Doch auch hier versuchten Bewohner von Sucre vergeblich, ihr Zusammentreten erneut zu verhindern. Die Sicherheitskräfte konnten die wütenden Demonstranten nur knapp daran hindern, die Akademie zu stürmen. Die Verlegung diente der Opposition aber als Vorwand, um der Versammlung fern zu bleiben.
Über die Presse, die sie weitgehend kontrolliert, führt sie seit fast zwei Jahren eine Kampagne gegen Morales. Sie schürt Angst vor dessen Nationalisierungen und lässt dabei unter den Tisch fallen, dass das gewonnene Geld der armen Bevölkerung zu gute kommen soll. Da ist zum Beispiel die "Würdige Rente", über die am Dienstag im Kongress erneut verhandelt wird. Demnach sollen alle Menschen über 60 Jahre eine Rente von monatlich knapp 26 Dollar erhalten. Doch hier weigert sich die Opposition, einen Teil der Einkünfte aus dem Steuern im Öl- und Gasgeschäft dafür zu verwenden, dass alte Menschen einen Lebensunterhalt erhalten.
Sie unterschlägt auch, dass diese Verfassung den Schutz des Privateigentums garantiert und der produktive Großgrundbesitz unangetastet bleiben soll. Die Landreform betrifft nur die Großgrundbesitzer, die ihr Land nicht nutzen oder es sich widerrechtlich angeeignet haben (Boliviens Parlament verabschiedet umstrittene Landreform). Die Verfassung bietet auch internationalen Konzernen Rechtssicherheit, denn ohne deren Kapital und Wissen kann Morales das Land nicht entwickeln.
Es gelingt der Opposition aber zunehmend, davon abzulenken und Morales zu dämonisieren. Geschlossen blieben ihre Wahlmänner deshalb der Verfassungsgebenden Versammlung fern, weshalb nur 138 der 255 Vertreter der "Constituyente" anwesend waren, von denen 136 für die Annahme der Verfassung votierten. Damit ist formal sogar die Mehrheit von zwei Dritteln erreicht. Der Oppositionsführer und Ex-Präsident Jorge Tuto Quiroga bezeichnete das Vorgehen als illegal. "Bolivien wird keine Verfassung akzeptieren, die mit Bajonetten und Gewehren geboren wurde." Ausgerechnet der Chef der Partei Podemos, ein Vertrauter des verstorbenen Diktators Húgo Banzer, erklärte, Morales habe der Demokratie die "Kehle durchgeschnitten".
Morales dagegen begrüßte die Entscheidung. Die Kritik sei schon deshalb verfehlt, weil das letzte Wort über die Verfassung die Bevölkerung sprechen wird. Denn in einem Referendum muss der Text im nächsten Jahr mit einer absoluten Mehrheit bestätigt werden, danach will Morales vorgezogene Neuwahlen durchführen. Dass sei "das demokratischste Vorgehen überhaupt", sagte er.
Auf einer Demonstration in La Paz warnte er die Opposition davor, weiter Öl ins Feuer zu gießen. "Passen Sie auf und provozieren Sie das Volk nicht." Damit bezog er sich auch auf Aussagen wie die des Großgrundbesitzers Branco Marinkovic, der in Santa Cruz Demonstranten zur "Aufopferung" aufforderte und einen "aufopfernden" Plan zur Rückeroberung der Autonomie des Departements starten will. Morales warnte, wenn mit dem geforderten Ungehorsam die Gesetze missachtet würden, dann würde sie das Volk auch nicht mehr achten: "Dann ergeht es ihnen schlecht, meine Herren."
Bis zum Samstag war die Constituyente vier Monate blockiert. Zuvor waren es schon einmal fünf Monate, weshalb einige schon vom Scheitern des Prozesses sprachen, über den das Land "neu gegründet" werden soll. Für die Verabschiedung des Textes war als Zeitlimit der 14. Dezember gesetzt, weshalb nun die Zeit drängte. Es ist Morales aber, anders als bei der Verabschiedung der Landreform, nicht gelungen, einen Keil in die Blockadefront zu treiben, weshalb er nun noch isolierter dasteht. Er kann, anders als die Rechte zuvor, auch nicht versuchen, sich gegen die Demonstrationen durch brutale Unterdrückung durchzusetzen. Das würde ihm die Glaubwürdigkeit rauben und ohnehin ist auch die Rechte damit gescheitert (Neoliberalismus abgewählt). Sie wird nun versuchen, ihre Sezessionsbestrebungen voranzutreiben, um ihre Privilegien, sowie die Macht über Land, Bodenschätze und Menschen aufrecht zu erhalten und dafür weiter für Unruhe in Bolivien zu sorgen.