Kontroverse Klima-Rede: Kommunikation für Gleichgesinnte
Kritik des britisch-russischen Comedian Kisin zur Klimabewegung ist viral gegangen. Nicht nur die Inhalte bieten Stoff für Debatten, auch die Reaktionen. Eine Einordnung.
Der britisch-russische Comedian, Podcaster und Autor Konstantin Kisin wusste natürlich genau, was er tat, als er vor dem traditionsreichen Debattierclub der Oxford Union ("Celebrating 200 Years of Free Spech") über Klimawandel und Aktivismus der Klimaschutzbewegung sprach.
Mit gezielten Provokationen versuchte er, die Gegenseite aus der Reserve zu locken. Er ließ kein Schlagwort zu Woke Culture und Klimawandel aus. Inhaltlich kann und muss man an seinem Vortrag viel kritisieren. Aber der Mini-Vortrag fand eben in einem Debattierclub statt und nicht an einem Stammtisch – welcher Ausrichtung auch immer –, an dem alle einer Meinung sind.
Und ja, Kisin hat in den gut sechs Minuten am Rednerpult viele der Talking Points derer aufgegriffen, die den Klimawandel in Frage stellen, sei es im Springer-Hochhaus in Berlin oder in Mar-o-Lago in Palm Beach.
Lesen Sie zum Thema auch die Dokumentation der Kisin-Rede und die Replik von Telepolis-Autor Wolfgang Pomrehn.
Dass wir in den Industrieländern nichts tun müssten, weil wir prozentual ohnehin nur einen geringen Anteil an der Entwicklung hätten.
Dass die Angst vor den Folgen des Klimawandels übertrieben sei, der Aktivismus unangebracht.
Er machte die Gegenseite lächerlich ("woke idiots") und warf Dinge in einen Topf, die wenig miteinander zu tun haben.
Aber er hat provoziert, und das mit Erfolg. Und nicht alles, was er sagte, ist von der Hand zu weisen, etwa wenn er die Frage nach dem moralischen Anspruch der Klimabewegung und dem alltäglichen Ressourcenverbrauch vieler Mittelschichtsaktivisten aufwarf (was für die Klientel in Oxford verstärkt gelten dürfte).
Nicht nur der Vortrag selbst, sondern auch die Reaktionen bedürfen einer Analyse. Denn beides wirft die Frage auf, wie wir über den Klimawandel – und gleichsam andere Streitfragen unserer Zeit – diskutieren und wie wir mit denen umgehen, die eine andere Einschätzung der Tragweite des jeweiligen Problems haben.
Um nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht darum, wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage zu stellen, sondern darum, wie die Debatte geführt wird. Und um die Frage, ob man polarisieren und nur Gleichgesinnte ansprechen will.
Da ist zum einen die Aufnahme des Vortrags selbst, die über Videoportale und soziale Netzwerke geteilt wurde und wird. Ein kurzer Blick in die deutsche Medienlandschaft zeigt: Es wurde von rechten und konservativen Redaktionen von der Tageszeitung Die Welt bis zu Tichys Einblick mit einem süffisanten "Jetzt hat er es Ihnen aber gezeigt" Unterton verbreitet. Es geht diesen Kisin-Fans nicht um Argumente, sondern um die Untermauerung der eigenen Position.
Im entgegengesetzten politisch-medialen Lager sieht es nicht besser aus. In linken und liberalen Medien spielte der Vortrag, obwohl er viral ging, keine Rolle. Mehr noch: Eine Telepolis-Anfrage bei Fridays for Future blieb unbeantwortet. Und auch das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), eine der führenden wissenschaftlichen Institutionen, deren Aufgabe es per definitionem ist, die Debatte demokratisch und faktenbasiert voranzutreiben, lehnte ab. Und dies nicht etwa mit Verweis auf die eigene wissenschaftliche Rolle, sondern mit einer teilweise politischen Argumentation:
Wir könnten uns das nicht vorstellen, tut uns sehr leid. Da werden die typischen Skeptikerargumente verwendet, die auf gut recherchierten, wissenschaftlichen Seiten widerlegt werden. Nur ein Beispiel: GB trägt nur zwei Prozent zum globalen Emissionsausstoß bei, wir sind irrelevant. Würde man die gesamte Weltbevölkerung in 50 Gruppen einteilen, von denen jede zwei Prozent der globalen Emissionen verursacht – folgt daraus dann, dass niemand etwas machen muss? Auf dieses Stück zu antworten, würde ihm nur ein Mehr an Aufmerksamkeit generieren, welches es nicht verdient hat.
Die Aussage mit den zwei Prozent stimmt natürlich, sie wird auch in der Replik des Telepolis-Autors Wolfgang Pomrehn auf Kisin zitiert, aber welches Selbstverständnis spricht aus der Antwort des PIK? Und welche Haltung zu Prozessen der gesellschaftlichen Meinungsbildung?
Kisin und die Oxford Union dürften Hunderttausende erreichen. Das PIK mit seinen wissenschaftlichen Fakten einige Tausend. Bringt es uns weiter, wenn führende Klimaforscher selbstgerecht darauf verweisen, dass die Hunderttausenden ja auch ihre Argumente lesen können? Muss man, wenn man es mit dem Ernst der Lage ernst meint, nicht zum zehnten, zum hundertsten, zum tausendsten Mal auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen beharren, sie darlegen, sie erklären – auch wenn es nervt?
Leute wie Kisin spielen dieses Spiel geschickter. Auf seinen Vortrag in Oxford folgten, so lässt es zumindest ein Blick in seine sozialen Netzwerke vermuten, zahlreiche weitere Einladungen, etwa zum ultrarechten Moderator Tucker Carlson, Trump-Anhänger und Leugner des Klimawandels, der beim US-Nachrichtensender Fox News eine eigene Sendung hat.
Auch in der Redaktion von Telepolis haben wir kontrovers über den Umgang mit Kisins Rede diskutiert. Letztlich haben wir uns aber dafür entschieden, die Rede zu dokumentieren und zusammen mit einer Replik und dieser Einordnung zu veröffentlichen.
Damit stehen wir in der deutschen Medienlandschaft ziemlich alleine da. Und das ist bedenklich.