Kosmisches Tempo-Problem: Universum sprengt theoretische Grenzen

Christian Kliver
Darstellung des Urknalls und der Ausdehnung des Universums

Vom Urknall bis heute. Bild: Andrea Danti/ Shutterstock.com

Das Universum dehnt sich aus – aber zu schnell. Geschwindigkeit mit bekannten Theorien nicht erklärbar. Was das bedeutet.

Eine neue Studie von Wissenschaftlern um Dan Scolnic von der Duke University hat bestätigt, dass sich das Universum offenbar schneller ausdehnt als die Physik erklären kann. Die Forscher haben dazu präzise Messungen an einem über 300 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxienhaufen durchgeführt.

Hintergrund: Expansion des Universums

Astronomen gehen seit fast einem Jahrhundert davon aus, dass sich das Universum, das seinen Ursprung in einer extrem dichten Ansammlung von Masse und Energie hatte, stetig ausdehnt.

Wie es dazu kam, hängt von physikalischen Prozessen ab, die wir bis jetzt nicht vollständig verstehen – wie inflationäre Quantenfelder, die die schwache Gravitation überwinden, sowie rätselhafte dunkle Energie und Materie.

Das gängige Modell beschreibt ein sich gleichmäßig ausdehnendes Universum, in dem sich Materieansammlungen mit einer bestimmten Geschwindigkeit voneinander entfernen – der Hubble-Konstante. Um diese zu überprüfen, muss man die Entfernungen und Geschwindigkeiten von Galaxienhaufen messen.

Die Studie: Messungen am Coma-Haufen

Das Team um Scolnic hat die Entfernung zum Coma-Galaxienhaufen, der etwa 320 Millionen Lichtjahre von uns entfernt ist, mithilfe von Daten des Dark Energy Spectroscopic Instrument (Desi) und Beobachtungen von Supernovae vom Typ Ia sehr genau bestimmt.

Supernovae Ia sind explodierende Sterne mit charakteristischer Helligkeit, anhand derer man Entfernungen im Universum bestimmen kann. Mit ihrer Hilfe ermittelten die Forscher für den Coma-Haufen eine Entfernung von 321 Millionen Lichtjahren – genau in der Mitte des Bereichs früherer Schätzungen.

Ergebnisse: Diskrepanz bestätigt

Mit der präzisen Entfernungsbestimmung kann berechnet werden, mit welcher Geschwindigkeit sich der Raum zwischen uns und dem Coma-Haufen ausdehnt: 76,5 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec. Das passt gut zu anderen "lokalen" Messungen anhand von Sternen in unserer kosmischen Nachbarschaft.

Allerdings weicht dieser Wert deutlich von Messungen ab, die auf der Ausdehnung des uralten "Nachglühens" des Urknalls basieren. Diese ergeben eine langsamere Expansionsrate von nur 67,4 km/s/Mpc.

Bedeutung: Eine kosmologische Krise

Die bestätigte Diskrepanz zwischen den verschiedenen Methoden zur Messung der kosmischen Expansion stellt ein großes Rätsel für die moderne Kosmologie dar. Laut Scolnic stecken wir jetzt in einer "Krise".

Forscher hoffen, dass verfeinerte Messungen entweder einen kritischen Fehler in den bisherigen Annahmen aufdecken – oder auf neue, unbekannte physikalische Prozesse hindeuten. Ohnehin dürfte die "Hubble-Spannung" die Kosmologie noch länger beschäftigen und unser Bild vom Universum möglicherweise neu formen.

"Es gibt in der Kosmologie noch Überraschungen, und wer weiß, welche Entdeckungen als Nächstes kommen werden", sagt Scolnic laut Mike Mcrae von der Seite Science Alert. Die Erforschung der rätselhaften Expansion des Universums bleibt also ein spannendes Forschungsfeld.