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Kriege, Klima, Kolonien

Bild: © Warner Bros. Entertainment Inc.

Sandmännchen im Sandkasten und Nietzsche im Weltall: Denis Villeneuves Fantasy-Epos "Dune" erzählt von Träumen und Feudalherren und zeigt dunkle Schönheit, aber keine Würmer

Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt… Die Wüste übrigens, von der ich eben sprach, in die sich die starken, unabhängig gearteten Geister zurückziehen und vereinsamen - o wie anders sieht sie aus, als die Gebildeten sich eine Wüste träumen! - unter Umständen sind sie es nämlich selbst, diese Gebildeten.

Friedrich Nietzsche

"This is just the Beginning." ("Dies ist nur der Anfang") - so lauten die letzten Sätze dieses Films. Famous last words. Und eine Botschaft. Denn tatsächlich müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn es bei den bislang anvisierten zwei "Dune"-Filmen bliebe, und hier nicht der Anfang eines neuen weltweiten Pop-Universums entstanden ist, das als Franchise global vermarktet werden wird. Wie "Der Herr der Ringe" und die Tolkien-Verfilmungen von Peter Jackson, wie George Lucas' "Star Wars"-Kosmos, wie die Serie "His Dark Material" nach Philip Pullman. Die Ähnlichkeiten zu diesen Vorbildern sind inhaltlich wie formal zu groß.

Das industrielle und industriepolitische Ereignis des Jahres

Die ersten Reaktionen auf die Weltpremiere von "Dune" bei den Filmfestspielen in Venedig waren überwiegend positiv, wenn es auch gerade von der sehr ökonomisch ausgerichteten US-Branchenpresse kritischere Stimmen gab. Aber egal für wie gut man diesen Film nun hält - so oder so ist "Dune", stargespickt mit Timothée Chalamet, Rebecca Ferguson, Oscar Isaac, Josh Brolin, Stellan Skarsgard und Charlotte Rampling, schon jetzt, unmittelbar nach seiner Premiere, das industrielle und industriepolitische Ereignis des Jahres.

Dune (0 Bilder) [1]

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Feudalherrschaft: Demokratie ist ein unbekannter Begriff

Im 11. Jahrtausend ist die Welt nicht wesentlich weiter als heute: Der Weltraum ist besiedelt, aber Demokratie ein unbekannter Begriff. Statt Kontinenten werden jetzt Planeten besiedelt und ausgebeutet; einige Familien haben sich das Universum aufgeteilt und regieren wie mittelalterliche Feudalherren den Orbit, Territorien werden vom Vater zum Sohn vererbt, wenn auch die wahre Macht in diesem versteckten Matriarchat bei Frauen liegt, die im Geheimorden der "Bene Gesserit", der eher machtpolitisch als religiös orientiert ist, zusammengeschlossen sind.

Irgendwo in einer fernen Galaxis gibt es den ""Padishah Imperator Shaddam IV", der dieses "Heilige Planetarische Reich diverser Nation" mit harter Hand und fiesen Intrigen regiert - auch da hat sich seit dem altrömischen Prinzip des "Divide et Impera" (Teile und Herrsche) nichts Wesentliches geändert.

"Im Grunde bedienen solche Epen totalitäre Fantasien", erkennt nun ausgerechnet die Schweizer Neue Zürcher Zeitung mit vorwurfsvollem Unterton. Ja und? Hollywood war immer schon totalitär. Warum schauen wir uns totalitäre Fantasien so gerne im Kino an? Weil wir uns verführen lassen.

Paul, aristokratischer Prinz der Atreides-Dynastie und "Dune"-Hauptfigur, wird von schön-schrecklichen Träumen gleichermaßen eingelullt wie heimgesucht. Ein verlockend-hübsches fremdes Mädchen erscheint ihm darin genauso wie der Tod seines besten Freundes. Es geht um dieses Träumen und "Dune" ist ein Filmspektakel, das unter anderem das Medium Kino wieder auf die Kunstlandkarte setzt, die die einmalige Erfahrung braucht, etwas auf einer riesigen Leinwand und gemeinsam mit anderen zu sehen.

Der Wille zur Macht dominiert, trotzdem stapft Paul zunächst, solange sein Vater noch lebt, erstmal als ein zaudernder Parzifal planlos-unschuldig durchs Jahr 10191, bevor er dann schnell zum Paulus mutiert: der Organisationsstifter einer gar weltlichen Herrschaft, die sich mit höheren Mächten im Bund wähnt und dem Kaiser Konkurrenz macht.

Alejandro Jodorowskis zehn-Stunden-Version und David Lynchs Flop

Frank Herberts amerikanischer Romanzyklus aus den 1960-er und frühen 1970-er Jahren, der irgendwo zwischen Science-Fiction und Fantasy angesiedelt ist, wollten schon viele verfilmen. Der in Paris beheimatete Chilene Alejandro Jodorowski zum Beispiel, über dessen psychodelischen Versuch es sogar einen eigenen Dokumentarfilm gibt. Der Film hätte auch mindestens zehn Stunden gedauert und wäre schon deshalb jedenfalls eine einmalige Erfahrung geworden.

US-Autorenfilmer David Lynch hat es dann geschafft, er erlebte mit diesem Film 1984 allerdings den größten Flop seiner Karriere. Erst heute gilt sein "Dune" zumindest bei manchen der Fans von Lynch oder dem Buch als Kultfilm.

Es geht um Ausbeutung, schlechte wie gute

Nun also Denis Villeneuve. Der einzigartige Franco-Kanadier schafft es auch hier einmal mehr, unroutinierte Bilder auf die Leinwand zu bringen, außergewöhnliches, visuell anspruchvolles Kino und Tiefgang mit Breitenwirkung zu verbinden. Und mit Aktualität.

Denn in "Dune" geht es um Klimawandel und Kolonialismus, um "race", es geht um Bodenschätze, es geht um Ausbeutung, schlechte wie gute. Um die feinen Unterschiede also. Denis Villeneuve schafft es, zu zeigen, dass das Kino auch zum Tiefgang fähig ist.

Es ist ein weißer Erlöser, der die arabischen Wüsten-Nomaden ähnelnden Fremen befreien wird. Darüber beklagen können sich nur Bornierte. Denn es geht ja in Herberts Hippie-Epos nicht darum, die Herrschaft einer Hautfarbe durch die einer anderen abzulösen, sondern Rassenunterschiede zu ignorieren und zu tilgen.

Bild: © Warner Bros. Entertainment Inc.

Jenseits der großartigen Bilder bleibt die Handlung eher im Dunklen, sofern das Publikum nicht ohnehin aus lauter Herbert-Kennern besteht. Paul ist zum künftigen Messias bestimmt, muss aber dafür erstmal seinen Vater verlieren, was dem Muttersöhnchen noch recht leicht fällt, um dann auf dem Planeten Arrakis eine orbitale Resistance aufzubauen.

Auf Arrakis gibt es "Spice" diese Wunderdroge, die wie die Alraune ewiges Leben und schönen Rausch verheißt, weshalb die Abbaurechte unter den Dynastien begehrt sind. Vor allem aber gibt es dort die "Fremen", die einerseits Sklaven, andererseits ein freiheitsliebendes Wüstenvolk sind, das in unterirdischen Höhlen lebt, und sich mit den "Shai-Hulud" genannten hochhausgroßen Sandwürmern arrangiert hat - das alles ist nur - sozusagen - nur der Prolog der Story.

Ein erschütternd pessimistisches Weltbild

Dazu gibt es viel Dekor und etwas wabernde Pseudophilosophie ("Die Angst tötet den Gedanken"). Nur die Sandwürmer, die aus David Lynchs von Glam-Rock und preußischen Uniformen geprägter Verfilmung noch in Erinnerung sind, fehlen hier. Man sieht nur zweimal eine kratergroße Mischung aus Riesenstaubsauger und Vagina Dentata, bis zum Ritt auf diesen heimlichen Hauptfiguren des Romans muss man wohl den zweiten Teil abwarten.

Dabei fühlt sich diese Version von "Dune" manchmal so an, als wolle sie mehr beeindrucken als unterhalten. Sie ist düster zeigt ein erschütternd pessimistisches Weltbild und lässt die oberflächlichen Vergnügungen an Science-Fiction zugunsten einer Weltsicht fallen, die an Villeneuves Gangsterfilme "Sicario" oder "Prisoners" erinnert. Dies ist auch ein riesiges Atmosphären- und Stimmungsstück, das in seiner dunklen Schönheit berauschende Wirkung entfaltet.

Vor allem aber macht dieser Film sehr viel Spaß. Schöne Menschen tun schöne Dinge und verhalten sich gar heldenhaft. Blockbuster-Kino at its best!


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