Kriege, Kriegsverbrechen und Propaganda
Seite 2: "Nur ein toter Talib ist ein guter Talib"
- Kriege, Kriegsverbrechen und Propaganda
- "Nur ein toter Talib ist ein guter Talib"
- Doppelstandards und der Wert menschlichen Lebens
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An der Logik des Krieges und der Logik der Militärs hat sich bis heute nichts geändert. Mit Drohnenanschlägen in Pakistan werden nie "Menschen" getötet. Es sind immer "Militante". In Afghanistan ist es nicht anders. Das NATO-Wording für jedweden Widerständigen ist Taliban. Auch wenn die Getöteten nichts mit den Taliban zu tun hatten. Ein ehemaliger US-Offizier stellte 2009 resigniert fest, dass es in Afghanistan gar nicht gegen einen einheitlichen Feind ging, wie es immer kolportiert wird, sondern: "I thought it was more nationalistic. But it's localism. I would call it valley-ism."
Manche Gruppen würden nicht einmal Verbindungen zu Gruppierungen unterhalten, die nur wenige Kilometer entfernt seien. Von den "hunderten, vielleicht tausenden" dieser Gruppen in ganz Afghanistan, gibt es seiner Anschauung nach nur wenige, die "ideologische Verbindungen" zu den Taliban hätten.
"..aber warum und wozu?"
Vltcheck schließt aus der krassen Diskrepanz zwischen tatsächlichem Geschehen, der Deutung der Geschehen aus westlicher Perspektive und der medialen (Nicht-)Berichterstattung:
Im Allgemeinen halte ich die Menschen im Westen, besonders Europäer, für extrem indoktriniert und von einem Gefühl ihrer Einzigartigkeit besessen. Sie durchlaufen eine einseitige Erziehung und verlassen sich auf ihre Medien, und infolgedessen sehen sich viele als Auserwählte und suchen nicht nach alternativen Informationsquellen.
Chomsky und Vltcheck
Ausgehend von dem Diktum Niklas Luhmanns - "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien."13 - lässt sich konstatieren, dass wir über die Kriege des Westens so gut wie nichts wissen. Oder besser: über aktuelle Kriege. Die USA werden einen "Fehler" wie in Vietnam nicht wiederholen. Die Kriegsberichterstattung findet nur noch "embedded" statt. Bei der amerikanischen Armee ebenso wie bei der deutschen. Am Beispiel Jonathan Schnitts "Foxtrott 4. Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan" wird überdeutlich, dass es künftig gar keiner Journalisten mehr bedarf. Was Schnitt, sowohl physisch wie psychisch vollkommen "eingebettet", als Journalist abliefert, unterscheidet sich nicht im Geringsten von den Beschreibungen der Pressestellen der Bundeswehr. Dazu ist Journalismus unnötig. Was für ein Berufsverständnis muss ein Journalist haben, der Folgendes schreibt:
Die Strategie der ISAF in Afghanistan beruht letztlich auf einem ziemlich klugen Buch von General David H. Petraeus und Lt. General James F. Amos. 2006 gaben die beiden amerikanischen Generäle ein Handbuch für Aufstandsbekämpfung mit dem Titel "Counterinsurgency Field Manual" heraus, das Anfang 2007 bei der Besetzung Iraks erfolgreich angewandt wurde.
Jonathan Schnitt
Besonders erfolgreich war vermutlich Phase 2 "Clear" (Säuberung). Bei der die feindlichen Kräfte aus dem Zielgebiet "vertrieben" werden. Wer das Wording militärischer Propagandaabteilungen übernimmt, hat sich als Teil der sogenannten vierten Gewalt verabschiedet. Mit Kontrolle und Überwachung der Exekutive hat das nichts zu tun. Zu den Tätern der physischen Tat, gesellen sich Täter der psychischen Tat. Selbst der Spiegel musste konstatieren, dass das "Field Manual 3-24" problematisch sei.
Hinter verschlossenen Türen machten Petraeus und seine Leute deutlich, was mit "Säuberung" gemeint war. Deutsche Politiker erinnern sich an einen Satz von Michael T. Flynn, damals Isaf-Geheimdienstchef in Afghanistan. "Nur ein toter Talib ist ein guter Talib", erklärte der Offizier den Besuchern bei einem Briefing.
Aber der Spiegel wäre nicht der Spiegel, würde er jeglichen Ansatz von Kritik nicht sogleich relativieren: "Im Krieg gelten andere Regeln als bei der Verbrechensbekämpfung in Friedenszeiten." Krieg ist Krieg. Und so zwängt der Spiegel das kritische Denken sofort in das Korsett militärischer Logik. Warum ein demokratischer Rechtsstaat, der für Menschenrechte einsteht, sich diesem Totalitarismus unterwerfen sollte, weiß man beim Spiegel sicherlich auch nicht. Natürlich wollen Militärs ihrer eigenen Logik folgen: Sieg um jeden Preis. Koste es, was es wolle. Aber es gehört zur Demokratie, diesen Willen zur Macht gesellschaftlich zu diskutieren und gegebenenfalls zu begrenzen oder gar ganz zu verhindern.
Propaganda und Medien
Journalisten, die die Angaben von Militär und Geheimdiensten ungeprüft übernehmen, sind nichts anderes als PR-Agenten. Ramsey Clark, ehemaliger Justizminister der USA, hat in seinem überaus wichtigen Buch "Wüstensturm. US-Kriegsverbrechen am Golf." zahlreiche Medienmanipulationen, Selbstzensur, Desinformationen und Fälle von Propaganda beschrieben.
Von den 88.500 Tonnen Sprengmaterial, die auf den Irak herabregneten, waren nur 6.250 Tonnen von genauen Zielvorrichtungen gesteuert. Fast 93 Prozent der Bomben waren ungesteuert - sie fielen aus großer Höhe herab und waren nicht zielgenauer als die Bomben des Zweiten Weltkriegs. […] Eine der großen Mythen, die das Pentagon und die gesteuerten Medien verbreiten, war der von der chirurgischen Präzision der US-Waffen, die angeblich zum Schutz von Menschenleben beitrug. Mit diesem Argument hatten die USA schon früher Gewaltakte gegen ihre Feinde gerechtfertigt.
Ramsey Clark
Es ist die identische Argumentation, mit der der Drohnenterror gerechtfertigt wird. Entweder übernehmen Medien schlichtweg die Pressemeldungen des Militärs und verschleiern damit die Realität oder sie verschweigen die Wahrheit gleich ganz.
Die US-Divisionen, die Saddam Husseins Abwehrlinie durchbrach, setzte auf Panzern montierte Pflüge und für den Kampfeinsatz konstruierte Erdbewegungsfahrzeuge ein, um Tausende irakische Soldaten - manche noch lebend und aus ihren Waffen feuernd - in ihren mehr als 70 Meilen langen Gräben zu verschütten, so die US-Militärs. […] Dieses beispiellose Vorgehen wurde vor der Öffentlichkeit verborgen…
Ramsey Clark
Einigen Journalisten wurde vom Pentagon ein Video von tatsächlichen Kampfeinsätzen gezeigt. Man wollte ermitteln, wie die Medienvertreter reagieren würden. AP-Reuters schrieb später über das Video, in dem unter anderem gezeigt wurde, wie Menschen durch eine 30mm Schnellfeuerkanone eines Hubschraubers in Stücke zerrissen werden:
Die Kriegsberichterstatter, die das Video sehen durften, erwähnten nicht, wo und wann das Gefecht stattgefunden hatte, und es wurden keine Gefallenenzahlen genannt … die Fernsehzuschauer bekamen die Aufnahmen nicht zu sehen: Nach Ansicht der Zensoren waren sie für das allgemeine Publikum zu brutal.
Ramsey Clark
Politik, Militär, Rüstungsindustrie und Medienvertreter wissen ganz genau: würden die Kriege realistisch gezeigt werden, würde es nirgends Mehrheiten der Bevölkerung für Kampfeinsätze geben. Wenn die Menschen sehen würden, was es bedeutet, wenn ein Körper durch eine Granate zerrissen wird, wenn die Eingeweide aus Schusswunden heraushängen, wenn Phosphor die Haut bis auf die Knochen verbrennt, würde sofort eine Beendigung jeglicher militärischer Gewalt gefordert werden.
Was sind das für Menschen, die Brandbomben zum Einsatz gegen Menschen erfinden? Wie entfremdet und menschenverachtend muss man sein, um das Phosphor mit Kautschuk zu vermischen, damit es zähflüssiger wird und sich besser auf dem gesamten Körper verteilt?
Da Phosphor in Brandbomben jedoch mit einer Kautschukgelatine versetzt wird, bleibt die zähflüssige Masse an der bis dahin noch nicht brennenden Hand haften und wird so weiter verteilt. Weißer Phosphor erzeugt in der Regel drittgradige Verbrennungen, zum Teil bis auf den Knochen. Da diese bei einem Angriff meist großflächig sind, sterben Betroffene langsam an ihren Verbrennungen, sofern sie nicht durch Inhalation der giftigen Dämpfe, Verbrennung der Atemwege oder Intoxikation zu Tode gekommen sind.
Wikipedia
Die großen Medien packen die Bevölkerung des Westens in einen riesigen Wattebausch, der die Wirklichkeit verdrängt und ein wohliges Gefühl von Demokratie und Rechtstaatlichkeit erschafft. Solange alle Bürger weiter konsumieren, bleibt der Anschein der den Menschenrechten verpflichteten Demokratie aufrechterhalten. Und während der Westen sich in seiner Parallelwelt über den Export seiner besten Ware "Demokratie" selbst feiert, vernichtet der Militärapparat des Westens Unmengen an Menschenleben.
Aber wen kümmern schon Unpersonen?
Eine wahrhaftige, unzensierte, realitätsnahe Schilderung des Krieges zerstört unweigerlich die Moral der Heimatfront, dann jedenfalls, wenn der Krieg sich länger hinzieht. Um erfolgreich Krieg zu führen, so hat schon Clausewitz erkannt, bedarf es einer engen Allianz von Armee und Volk. Diese Allianz zerbricht, wenn die Gesellschaft über einen längeren Zeitraum hinweg die grausame Wirklichkeit des Krieges täglich miterlebt und miterleidet. Die Vereinigten Staaten haben den Vietnamkrieg ohne Sieg beenden müssen, nachdem ein wesentlicher Teil der Bevölkerung ihrer Armee die Unterstützung entzogen hatte. Mit einer freien und unzensierten Presse ist kein Krieg von Dauer zu gewinnen.
WinFried Scharlau
Was sagt das über die deutschen Medien angesichts von 13 Jahren Afghanistankrieg aus? Während wir nicht annähernd realistisch über die Kriege der Gegenwart informiert werden, fordert der Bundespräsident eine selbstbewusste Debatte über Deutschlands neue Rolle in der Welt. Manchmal müsse man eben auch zu den Waffen greifen. Schließlich stehe Deutschland nun für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit: "Es steht an der Seite der Unterdrückten. Es kämpft für Menschenrechte."
Angesichts der Millionen Toten, die der Kampf für Menschenrechte und die Verbreitung der Demokratie, die doch nur die Verbreitung von Absatzmärkten und Sicherung von Ressourcen meint, fordert, fällt es schwer, auch nur ansatzweise echte Empathie mit den Opfern von Kriegen beim Bundespräsidenten herauszuhören. Die Freiheit, die Gauck permanent verteidigt und verbreitet sehen will, ist die Freiheit zu konsumieren. Es ist die Freiheit, auf der Autobahn schnell zu fahren, und es ist die Freiheit, bei Menschheitsverbrechen so lange wegzuschauen, bis irgendwann einmal "deutsche Interessen", also wieder Profitinteressen, berührt werden.