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Kritik an Corona-Regeln in Altenheimen: Kein würdiges Leben mit dem Virus

Neuer Regeln zwingen Heimbewohner zum Tragen von Masken. Experten: Keine nachhaltigen Lösungen zum Schutz dieser Gruppe. Vertreter sprechen von "unzumutbaren Belastungen".

Die Regeln des neuen Infektionsschutzgesetzes sorgen für anhaltende Debatten. Vor allem die nun wieder geltende Maskenpflicht in Einrichtungen der Altenpflege lässt aus Sicht von Fachleuten humane und effiziente Corona-Strategien missen. Eine entsprechende Kritik kam etwas von der Deutschen Stiftung Patientenschutz.

Pflegebedürftige Menschen außerhalb ihres Zimmers zum Tragen einer FFP2-Maske zu verpflichten, sei eine "unangemessene Zwangsmaßnahme", sagte etwa der Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch, laut der Deutschen Presse-Agentur

So ist der schon jetzt sprunghafte Anstieg der Infektionszahlen in der stationären Altenpflege nicht zu stoppen. Es fehlen externe Task Forces, die bei einer Ketteninfektion sofort pflegerisch unterstützen.

Eugen Brysch

Brysch kritisierte weiterhin, es gebe oft keine Ausweichräume, um infizierte und nichtinfizierte Bewohner von Pflegeheimen zu trennen. Statt dreimal wöchentlich Schnelltests brauche es verbindliche Regeln für die verlässlicheren PCR-Tests: "Doch die Bundesregierung und Karl Lauterbach zeigen keine Initiative, den Pflegebedürftigen ein würdiges Leben mit dem Virus zu ermöglichen."

Vor diesem Hintergrund haben auch Pflegeheimbetreiber, Interessenvertreter von Heimbewohnern und Spitzenverbände die verschärfte Maskenpflicht in Alten- und Pflegeheimen kritisiert. Sie ist am 1. Oktober in Kraft getreten und verpflichtet die Bewohner, in allen Gemeinschaftsräumen eine FFP2-Maske zu tragen.

"Menschen mit Behinderungen oder hohem Pflegebedarf werden hier unzumutbaren Belastungen ausgesetzt", sagte etwa Marcel Kabel dem MDR [1]. Der Vize-Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Sachsen-Anhalt ist nur einer von vielen Kritikern der Neuregelung, die bis zum April kommenden Jahres gelten soll.

In Baden-Württemberg kritisieren der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Sozialverband VdK, Pflege- und Behinderteneinrichtungen in einer gemeinsamen Stellungnahme die verschärften Corona-Regelungen scharf [2] und fordern die sofortige Aufhebung.

Recht auf Selbstbestimmung und soziale Teilhabe

"Die Maskenpflicht ist ein massiver Verstoß gegen das Recht auf Selbstbestimmung und soziale Teilhabe der betroffenen Menschen", heißt es. Die Testpflicht für Betreuungs- und Pflegepersonal sei zudem ein Misstrauensvotum gegen die gesamte Branche.

Menschen in besonderen Wohnformen, etwa Senioren und Behinderte, müssten ab Oktober bis zu sechzehn Stunden pro Tag eine FFP2-Maske tragen. "Das ist diskriminierend, menschenunwürdig und ein massiver Eingriff in das Selbstbestimmungs- und Teilhaberecht der Betroffenen", sagt Ursel Wolfgramm vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in Baden-Württemberg.

Auch Tobias Braun von der Karl-Schubert-Gemeinschaft e.V. (KSG) in Filderstadt hält die Regelungen für untragbar und nicht umsetzbar. Die KSG betreibt Werkstätten und Wohngruppen für Behinderte. Braun erläutert: "Die permanente FFP2-Maskenpflicht in Behindertenwerkstätten ist für die Beschäftigten unzumutbar und schon allein unter Arbeitsschutzaspekten wie Tragepausen gar nicht umsetzbar."

Gegenüber dem SWR sagte die Pressesprecherin der Caritas in Baden-Württemberg [3], Eva-Maria Bolay, dass insbesondere für Demenzerkrankte die Maskenpflicht oft nicht nachvollziehbar und auch nicht durchsetzbar sei.

"Was soll das Pflegepersonal denn tun, wenn eine demenzkranke Person die Maske immer wieder entfernt?", fragt sie. Ähnliche Kritik üben Pflegeheimbetreiber aus Krefeld. "Insbesondere für Menschen mit kognitiven Einschränkungen hängt das Verstehen oder Nicht-Verstehen der Dinge, die um einen herum geschehen, in hohem Maße von den Möglichkeiten ab, Mimik, Gestik und Nähe zu erleben", sagte Jörg Schmidt, Geschäftsführer der Städtischen Seniorenheime Krefeld der Westdeutschen Zeitung [4].

"Diese Aspekte werden jedoch bei solch pauschalen Maßnahmen ebenso ignoriert, wie auch die sich daraus wahrscheinlich ergebenen negativen Konsequenzen für die betroffenen Menschen."

Die Zeitung schreibt allerdings, dass das Landesgesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen den Bund um Klärung zum Thema Maskenpflicht gebeten habe. Es gehe darum, wo die Maskenpflicht nun genau gelten soll.

So könnten solche Gemeinschaftsräume ausgeschlossen sein, in denen das tägliche Leben neben dem eigenen Zimmer stattfindet – in denen also gegessen, gespielt und miteinander kommuniziert wird. Wenn dort keine Maske getragen wird, würden die Behörden zumindest vorerst nicht dagegen vorgehen, schreibt die Zeitung.

Hälfte der Bundesländer kontrollieren einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht

Kritik gibt es weiterhin ebenfalls an der sogenannten "einrichtungsbezogenen Impfpflicht", die nach derzeitigem Stand noch bis Ende des Jahres gilt. Zunächst ist sie zum 1. Oktober verschärft worden. Als vollständig geimpft gilt nur noch, wer drei Impfungen nachweisen kann. Dies wollen allerdings nach einer Umfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland [5] die Hälfte der Bundesländer nicht umsetzen.

Die anderen acht – Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und das Saarland – wollen die dritte Impfung der Beschäftigten im Gesundheitswesen überprüfen. In den Bundesländern und Landkreisen wird das Gesetz unterschiedlich umgesetzt, viele ungeimpfte Mitarbeiter durften weiterarbeiten.

Das Parlament der Thüringer Ärzteschaft möchte die Pflicht zum Nachweis einer Impfung ganz aufheben. Ziel ist es, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Neben der besonderen Belastung der Beschäftigten begründet die Landesärztekammer ihre Forderung wie folgt:

"Angesichts dessen, dass die Impfung nicht vor Übertragung des Virus in der jetzigen Variante schützt, ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht mehr sinnvoll." Die Impfung selbst empfiehlt die Kammer weiterhin jedem Bürger, da sie vor schweren Krankheitsverläufen schütze.

Der Gesundheitsausschuss des Bundestages befasst sich am kommenden Mittwoch (12. Oktober) mit dem Thema [6]. Die AfD möchte die Verhältnismäßigkeit der Regelung vor dem Hintergrund der aktuellen Situation neu abwägen. In der Bundesregierung werde eine mögliche Verlängerung noch geprüft, heißt es in einer aktuellen Antwort auf eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion [7].

Diese Meldung erscheint in Kooperation mit den Magazin hintergrund.de [8]


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https://www.heise.de/-7286148

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/corona-maskenpflicht-pflegeheim-bewohner-100.html
[2] https://paritaet-bw.de/presseportal/pressemitteilungen/maskenpflicht-muss-weg
[3] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/kritik-an-maskenpflicht-in-pflege-100.html
[4] https://www.wz.de/nrw/krefeld/krefeld-kritik-an-einer-maskenpflicht-fuer-heimbewohner_aid-77805039
[5] https://www.rnd.de/politik/corona-teil-impfpflicht-diese-laender-wollen-verschaerfung-nicht-vollstaendig-umsetzen-MSVTVJ5QZFGOBKUJM7A5SCC4Q4.html
[6] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw41-pa-gesundheit-impfpflicht-912304
[7] https://dserver.bundestag.de/btd/20/035/2003561.pdf
[8] https://www.hintergrund.de/kurzmeldung/unzumutbare-belastung-fuer-heimbewohner-durch-neue-maskenpflicht/