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Künstliche Intelligenz: Weder Fluch noch Segen

Björn Hendrig

Die neue Technik wirft wieder die Frage nach gut oder schlecht auf. Dabei geht es eher darum: Wer stellt KI mit welchem Zweck her, wem nützt und schadet sie? (Teil 1)

Mittlerweile ist es eine Art Volkssport geworden: Fragen wir doch mal die künstliche Intelligenz ChatGPT oder stellen ihr eine Aufgabe. Mal sehen, ob ihre Antwort so gut ausfällt wie von einem Experten oder sogar besser! Also dann: Ist KI (englisch: AI oder Artificial Intelligence) eher Fluch oder Segen?

Als AI-Assistent kann ich sagen, dass künstliche Intelligenz sowohl ein Fluch als auch ein Segen sein kann. Auf der einen Seite kann KI dazu beitragen, komplexe Probleme zu lösen, die menschliche Fähigkeiten übersteigen, und uns in vielen Bereichen des täglichen Lebens unterstützen. Auf der anderen Seite gibt es auch Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen von KI auf Arbeitsplätze, Datenschutz und Sicherheit. Es ist wichtig, dass wir uns bewusst mit diesen Fragen auseinandersetzen und verantwortungsvoll mit der Entwicklung und Anwendung von KI umgehen.

Chat GPT 3.5 Turbo von OpenAI: Basis Datensatz September 2021

Das hat ChatGPT doch gut gemacht! Die KI fasst halt das zusammen, was zu dem Thema im ihr vorliegenden Datenmaterial zu finden war – vor beinahe zwei Jahren. Das trägt sie in einer mehr oder weniger eleganten Formulierung vor. Kunststück, basiert sie doch auf den entsprechenden vorgefundenen Diskussionen und den mit einem ungeheuren Rechenaufwand ermittelten statistischen Wahrscheinlichkeiten, wie diesbezügliche Worte und Sätze wohl von Menschen geäußert würden.

Entsprechend schlicht fällt die Antwort aus, was auch an der Frage liegt. Da entwickeln einige Unternehmen eine neue Technik. Sie versprechen sich davon einen wirtschaftlichen Vorteil – nämlich insofern, als diese Technik für andere Unternehmen wie auch staatliche Institutionen sehr nützlich ist und diese dafür eine Menge Geld springen lassen. Dieser Zusammenhang ist weder geheim noch sonderlich schwer zu erkennen.

Dennoch sind die Leitartikel und Feuilletons voll mit der – vorsichtig ausgedrückt – irreführenden Frage nach "Fluch oder Segen". Als wenn KI auf einmal, von wo und wem auch immer, in der Welt ist und nun alle Welt sich fragt: Was machen "wir" jetzt damit? Um das vorwegzunehmen: "Wir" schon mal gar nicht. Sondern manche können mit KI eine Menge anfangen, für andere hingegen wird es ungemütlich.

Tote singen länger und Schüler müssen nicht mehr abschreiben

Nun: Worum handelt es sich bei den zitierten "komplexen Problemen", zu deren Lösung KI beiträgt? Im aktuellen Hype um die neue Technik kristallisieren sich zwei Abteilungen heraus: Die eine kennzeichnet das ungläubige Staunen darüber, was KI alles schon kann, verbunden mit nahezu kindischer Begeisterung. Die andere hingegen ist härter: Hier zeigt sich der nächste Schritt in der Konkurrenz zwischen Unternehmen und zwischen Staaten.

Beginnen wir mit dem scheinbar unterhaltsameren Teil. Da werden unvollendete Sinfonien mit Hilfe von KI zu Ende komponiert, etwa die von Mahler oder Beethoven. Das haben zwar bereits menschliche Komponisten erledigt, aber dass das eine Maschine auch kann!? Das ist ja beeindruckend! Wenngleich es das Ergebnis weit weniger ist.

Nach dem Motto "Tote singen länger" erwachen verstorbene Popmusiker zum Leben. KI schafft es mit ihren Algorithmen, aus den von ihnen vorliegenden tausenden Tonspuren Material für neue Songs zu errechnen. Dass das geht, Wahnsinn! Wie sich das anhört? Na ja ...

Die Debatte, ob Kunstwerke, die mithilfe von Computern entstanden sind, auch sich Kunstwerke nennen können und damit sowohl in Museen hängen dürfen als auch stattliche Preise erzielen, ist nicht neu. KI verschärft sie allerdings, eröffnet noch mehr Möglichkeiten für zweifelhafte Originale – und gleichfalls für perfekte Kopien. Ist das noch Kunst oder kann das weg? Faszinierend!

Ebenso beeindruckend, aber gleichermaßen besorgniserregend: Schüler und Studenten können KI einsetzen, damit sie Aufsätze oder Bachelor-Arbeiten schreibt. Ein Problem, das nun einmal verdammt viele haben, und bei dem KI eine echte Hilfe sein kann! An die Lehrkräfte ergeht damit die undankbare Aufgabe, von echten Menschen verfasste Texte von denen durch ChatGPT generierte zu unterscheiden.

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband plädiert deshalb dafür, wir müssten "künftig die Prozesse beurteilen und nicht das Ergebnis" (dpa, 30. Mai 2023). Das ändert zwar nichts am üblichen Aussortieren der jungen Leute, für welche Berufswege sie zugelassen werden und für welche nicht. Aber wenigstens wird so auch der KI das Leben schwer gemacht.

In die Kategorie "Was KI schon alles kann", das Menschen können, aber nicht so schnell und billig, fallen die Jobs einiger Berufsgruppen: unter anderem Anwälte, Kaufleute, Steuerberater und, ja, auch Journalisten. Diesen Leuten vergeht verständlicherweise die kindische Begeisterung für die neue Technik. Sie müssen um ihre berufliche Existenz fürchten.

Offenbar liegt bei diesen Berufen in Teilen eine derartige geistige Fließbandarbeit vor, dass sie durch KI ersetzt werden kann. Aber auch Kreative, wie Autoren von Drehbüchern, fürchten, zumindest teilweise überflüssig zu werden.

Wenn sich die zehnte Staffel der Serie "von selbst" schreibt

Denn KI löst vielleicht in Zukunft Probleme von Studios: Keine Idee mehr für die zehnte Staffel der Erfolgsserie? Einfach die vorigen Staffeln durch den Super-Rechner jagen, und siehe, die nächste schreibt sich von selbst! Wofür braucht man dann noch kreative Drehbuch-Autoren? Die Sorge um ihren Job schwingt beim aktuellen Streik der US-amerikanischen Schreiber für mehr Honorar mit:

Bei den Verhandlungen geht es auch um die Frage, ob Künstliche Intelligenz auch bald Skripte schreiben könnte, und welche Regeln dazu aufgestellt werden. Schauspieler Mandy Patinkin, den man zum Beispiel als bärtigen CIA-Agenten aus der Serie Homeland kennt, nennt KI "ein anderes Wort für Unsinn": "Es hat nichts mit Geschichtenerzählen zu tun, das es seit Beginn der Menschheitsgeschichte gibt!"

Tagesschau [1]

Was zu beweisen wäre: ChatGPT verfügt bereits über einige Features, das Storytelling durchaus maßgeblich zu unterstützen:

Sogenannte Prompts sind Fragen oder Aufforderungen, die Sie im Chat mit der KI stellen oder geben können. Stellen Sie die Prompts gut durchdacht, um der KI die bestmöglichen Antworten zu entlocken, denn diese kann auch komplizierte Anforderungen lösen. Im Training von ChatGPT wurde die KI mit einer großen Menge an Texten und Geschichten konfrontiert, die analysiert und nachgeahmt werden sollten, um die Fähigkeiten im Schreiben von Geschichten zu verbessern. Folgende Beispiel-Prompts können Ihnen dabei helfen, einzigartige Geschichten zu schreiben:

• Du bist ein Autor für Kinderbücher. Schreib mir eine Geschichte, die das Thema Freundschaft behandelt. Zudem soll sie von Füchsen handeln.
• Schreibe eine gruselige Kurzgeschichte. Orientier dich am Stil von Stephen King.
• Erzähle mir eine Geschichte aus dem Fantasy-Genre. Die Geschichte soll mindestens ein Lied und ein Gedicht enthalten.
(Es folgen noch vier weitere "Prompts" – B.H.)

Chip [2]

Streamingdienste, Fernsehsender und Kinoproduzenten könnten glatt auf die Idee kommen, ihre Serien, Shows und Filme mit deutlich weniger Aufwand herzustellen. Viel Geld für die Schreiber könnten sie sich sparen, wenn deren Arbeit ganz oder zumindest teilweise durch KI ersetzt würde. Wie realistisch dieses Szenario ist, bleibt im Moment offen.

Zur Konkurrenz der Autoren untereinander, die die Honorare drückt, gesellt sich auf jeden Fall eine weitere: die zur potenziellen Alternative KI. Und wie das im Kapitalismus mit dem Wettbewerb zwischen abhängig Beschäftigten und Maschinen nun einmal läuft: Wenn die Leistung vergleichbar ausfällt, entscheidet der Preis.

Da kann es sogar passieren, dass die menschliche Arbeitskraft den Vorzug erhält. Weil sie billiger ist als die Maschine. In der Regel läuft die Sache aber umgekehrt. Schließlich sollen die Apparate menschliche Arbeitskraft in der Leistung und damit Produktivität übertreffen. Entsprechend kann das anwendende Unternehmen mehr herstellen mit weniger Beschäftigten, bekannt unter dem beschönigenden Begriff "Rationalisierung".

Das Problem, das hier KI lösen können soll, lautet demnach: Wie schaffe ich es als Unterhaltungsunternehmen, mit weniger Kosten zu produzieren? Menschliche Fähigkeiten übersteigt diese Aufgabe zwar sicher nicht, denn das beherrscht das Denken jedes aufrechten Managers Tag für Tag.

Aber mit KI wird eventuell schlagartig einiges günstiger zu bekommen sein und schneller. Da die Konkurrenz bekanntlich nicht schläft, muss jeder Entertainment-Unternehmer sich mit dieser Möglichkeit auseinandersetzen – und sie am besten eher und effizienter einsetzen als die Wettbewerber.

Marketing wird noch "schlauer" – und verschärft den Wettbewerb

Ein wichtiges Kampfmittel in diesem Wettbewerb ist das Marketing. Daten sammeln, um zu wissen, wie die Kunden, und solche, die es werden sollen, leben, lieben und welche Wünsche, Sorgen, Probleme und Ziele sie beschäftigen – das geben die Sozialen Medien von Facebook bis TikTok her. Algorithmen analysieren das Verhalten der Internet-Nutzer, schneiden auf sie Informationen und vor allem Werbung zu.

Künstliche Intelligenz optimiert dieses Verfahren:

KI-Technologien können dabei helfen, Trends und Entwicklungen in sozialen Medien frühzeitig zu erkennen und zu analysieren. Unternehmen können diese Informationen nutzen, um ihre Marketingstrategien anzupassen und auf Veränderungen im Markt oder im Nutzerverhalten rechtzeitig zu reagieren. Durch den Einsatz von KI-gestützten Analysewerkzeugen können Unternehmen ihre Marktforschung optimieren und wertvolle Erkenntnisse über ihre Zielgruppen gewinnen." capinio [3]

Mit Chatbots sparen sich Unternehmen die Bereitstellung von menschlichen Ansprechpartnern für Kundenfragen. KI im Chatbot simuliert Kundennähe und antwortet in ganzen und meist normal klingenden Sätzen. Natürlich werden die Gespräche ausgewertet und auf weitere Chancen geprüft, die Beziehung zum Fragenden zu verstärken zum Beispiel in Richtung weiterer Käufe oder zumindest der Bestellung eines Newsletters.

Mit den maschinell unterstützten Erkenntnissen treffsicher genau die Leute erreichen, die für das jeweilige Angebot ansprechbar sind, im Idealfall sie sogar zu Fans machen, per Dialog erfahren, wie das Produkt noch besser gemacht werden kann, die Werbung in den richtigen Kanälen in der richtigen Tonlage ausspielen usw.: All das schaffen die Super-Rechner von wenigen Konzernen, die ihre Leistung den interessierten Unternehmen für ihren täglichen Kampf um die Gunst der Kunden und damit um Gewinn zur Verfügung stellen.

KI löst also das Problem von Unternehmen, noch mehr über die Käuferschaft zu erfahren, um noch mehr Kaufkraft auf sich zu ziehen – gegen die Konkurrenz. Und dafür erwarten die Problemlöser der KI-Anbieter von OpenAI & Co einen ordentlichen Anteil am Erlös.

Jobs werden entwertet oder überflüssig gemacht

Für viele weitere Probleme von Firmen entfaltet die KI Lösungspotenziale. Zum Beispiel den Aufwand für die Buchhaltung zu verringern wie gleichfalls für die gesamte Verwaltung und die Logistik. So berichtete Telepolis [4] Anfang Mai:

Wie nun bekannt wurde, will der US-Konzern IBM künftig Tausende Jobs von Maschinen erledigen lassen. Frei werdende Stellen in den Verwaltungsbereichen sollen nicht mehr oder nur verlangsamt neu besetzt werden, erklärte IBM-Chef Arvind Krishna gegenüber dem Finanzdienst Bloomberg. In den betroffenen Bereichen arbeiten bislang etwa 26.000 Menschen. "Ich könnte mir gut vorstellen, dass 30 Prozent von ihnen in einem Zeitraum von fünf Jahren durch KI und Automatisierung ersetzt werden", so Krishna. Insgesamt könnte das den Verlust von etwa 7.800 Arbeitsplätzen bedeuten.

Laut dem Konzernchef sollen hauptsächlich alltägliche Aufgaben, wie das Erstellen von Arbeitsnachweisen, vollständig automatisiert werden. KI könnte auch zum Einsatz kommen, wenn Mitarbeiter in andere Abteilungen des Unternehmens wechseln. Einige Funktionen im Personalbereich, wie Arbeits- und Produktivitätsplanung, könnten wohl vorerst nicht von Maschinen übernommen werden. Krishna geht davon aus, dass es im Laufe des kommenden Jahrzehnts wohl nicht möglich sein wird.

Bernd Müller

Die bei zahlreichen Berufen zu findenden geistigen Fließbandarbeiten erlauben es, sie durch eine Rechenmaschine zu ersetzen. Natürlich nur dann, wenn es sich nach kapitalistischem Maßstab lohnt, also die Leistung der Maschine die des Menschen übersteigt.

Bei IBM soll KI die Personalkosten senken, da sie unter anderem das stupide Ausfüllen von Arbeitsnachweisen übernehmen kann. Dass die so von dieser Fron befreiten Beschäftigten eine spannendere und womöglich nicht so verdummende Tätigkeit stattdessen erhalten, darf tunlichst bezweifelt werden. Sie dürften sich eher nach einem neuen Job umsehen müssen.

Welche Talente KI im Laufe ihrer weiteren Perfektionierung noch entwickelt, um in der kapitalistischen Produktion für steigenden Ertrag bei weniger Kosten zu sorgen, ist derzeit für die interessierte Unternehmerschaft sehr spannend. Alle Bereiche werden durchforstet, wo die neue Technik ihre segensreiche Wirkung entfalten könnte.

Einerseits will man nicht gegenüber dem Wettbewerb abgehängt werden, andererseits auch nicht als Experimentierfeld für Künstliche Intelligenz dienen, mit dem Risiko teuren Scheiterns.

Für die betroffenen Beschäftigten verheißt all dies nichts Gutes. Durch KI werden sie nicht weniger arbeiten müssen, geschweige denn mehr Geld verdienen. Vielmehr werden sie in der Ausbildung und Umschulung den Umgang mit der neuen Technik zu erlernen haben und hoffen dürfen, weiter beschäftigt zu werden. Auf dass sie noch produktiver arbeiten – oder, weil auf sie verzichtet werden kann, die Personalkosten ihres Unternehmens senken. So wird KI – wie jede Technik im Kapitalismus – angewendet: als Hebel für Erfolg in der Konkurrenz, für mehr Gewinn.

Die Frage nach "Fluch oder Segen" von künstlicher Intelligenz, nach dem "einerseits" und "andererseits" der neuen Technik, ignoriert die maßgeblichen Akteure und macht alle mit ihr Arbeitenden und von ihr Betroffenen gleich.

Doch den einen bieten sich handfeste Vorteile, den anderen droht erheblicher Schaden. Vom Himmel auf diese verschiedenen Gruppen herab regnende "Flüche" beziehungsweise "Segen" gibt es nicht. Die Rede davon genügt aber: Sie lenkt von den Zielen der Entwickler und Anwender ab und blendet den Rest mit der Vision einer schönen neuen Welt.

Teil 2: Künstliche Intelligenz: Über Risiken und Nebenwirkungen [5]


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/hollywood-drehbuchautoren-100.html
[2] https://praxistipps.chip.de/chatgpt-prompts-fuers-geschichten-schreiben-beispiele-infos_155686
[3] https://www.capinio.de/social-media-kuenstliche-intelligenz/
[4] https://www.telepolis.de/features/Kuenstliche-Intelligenz-Wenn-Maschinen-Jobs-uebernehmen-und-Arbeiter-ueberwachen-8985077.html
[5] https://www.heise.de/tp/article/Kuenstliche-Intelligenz-Ueber-Risiken-und-Nebenwirkungen-9199767.html