La Grande Nation gegen die Pornokratie

Eine pornologische Anmerkung

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Pornografie ist ein indiskretes Objekt der Begierde, das mit der öffentlichen Meinung auch kopuliert, um die moralische Lust an der Entrüstung zu entladen. Für die einen ist es also der klebrige Abschaum kurz vor dem überfälligen Untergang des Abendlands, für die anderen Kunst, zumindest in den schriftstellerischen Exzessen von Aretino, de Sade, Apollinaire, Miller und ungezählten Grenzgängern des Obszönen. Dieser Ambivalenz verdankt Pornografie die vorzügliche Eignung, moralische, ästhetische und eben feuchte Erregungen zu stimulieren und Freunde wie Feinde in den immer wieder aufflammenden Widerstreit zu schicken, wie viel feiles Fleisch denn einer konsumfreudigen Gesellschaft noch bekömmlich ist. Ob in den Archivschränken der Strafjustiz oder in den Verliesen des Vatikans, Pornografie wird inkriminiert, indiziert oder gleich verbrannt, aber in eben dem Maße auch gelesen, angestiert und megabytemäßig bis -unmäßig heruntergeladen.

In Frankreich, das mit dem göttlichen Marquis den Giftschrank um die härtesten Kapitel der Weltliteratur bereicherte, ist nun der Kampf um die Lusthoheit im Fernsehen entbrannt. Und nicht nur im TV. Frankreich hat den Pornodiskurs um galante Darstellerinnen bereichert, die zwar knallhart pornografisch agieren, aber die fleischlichen Exzesse als Ereignis der Hochkultur feiern.

Nach dem berüchtigten Filmprojekt "Baise-moi" der Schriftstellerin Virginie Despentes (Ein Eroto-Porno-Grafischer Stunt) mit den früheren Pornoaktricen Coralie Trinh Thi, Karen Bach und Raffaela Anderson, hatte letztere mit "Hard" ihr literarisches Coming-out. Angeführt von "La vie sexuelle de Catherine M." der profilierten Kunstkritikerin Catherine Millet präsentiert sich inzwischen die Bekenntnisliteratur der "nouvelle pornographie" fast inflationär. Catherine Breillat räsonniert über "Pornocratie" und Nelly Arcan reagiert praxisnah mit "Putain" über käufliche Liebesdienste. Der literarische Hochglans-Porno als biopolitische Maßnahme gegen die verlogene Gesellschaft? Verlegen oder schamrot werden die FleischbeschauerInnen bei der intellektuellen Verteidigung ihrer gewagten Stellungen keineswegs.

Zumindest mit der TV-Schmuddelware soll nun aber endgültig Schluss sein: Der französische Rundfunkrat CSA empfahl "die Abschaffung aller pornografischen Programme im französischen Fernsehen", was immerhin 950 gefühlsechten Filmen pro Monat den Garaus machen würde. Auch die decodierten Kabelsender sollen sich dem beugen, weil offensichtlich die technische Schutz- und Schammaßnahme Jugendliche nicht von der Ausübung ihrer voyeuristischen Lust abhält.

Familienminister Christian Jacob ist besorgt, dass der leichte Zugang zur heißen Ware, Jugendliche dazu animieren könnte, auch kriminelle Lüste zu verfolgen. Baut Pornografie gefährliche Regungen potenzieller Vergewaltiger ab oder provoziert sie den Dammbruch, ungezügelt kriminelle Triebe sprießen zu lassen? Reduzieren Pornos Frauen auf Lustobjekte oder sind sie der feministische Befreiungsschlag gegen die Phallokraten, die so erst richtig dekonstruiert werden? Wenn bereits die Kategorien so windelweich sind wie die Statistiken schwammig, werden eben die üblichen Schlammschlachten zum Mediendiskurs hochgefahren, der parasitär an der Aufmerksamkeit teilnimmt, die doch der heißen Ware gilt. Die Zeitschrift Madeleine die mit reichem Anschauungsmaterial die Pornokratie "analysierte", soll denn gleich auch die höchste Auflage seit Bestehen verzeichnet haben.

Por-No immer dann, wenn es um Pädophilie geht, wenn es die Zwangsprostitution von Menschen vor der Kamera fördert, wenn Menschen, insbesondere Kinder, unfreiwillig mit der heißen Ware überschüttet werden. Aber sonst? Ein Verbot ist ordnungspolitisch ungefähr so sinnvoll, wie den ältesten Beruf der Welt zu verbieten. Solange die psychogenen Normalgesellschaften Pornos brauchen, werden die Lustsurrogate, die kostengünstigen Fetische zum ein-samen Sofortverzehr noch jede Bücherverbrennung überleben, von Betroffenheitsdiskursen ganz zu schweigen, die alles verlogen unter die Ladentheken und ins Nachtkino verräumen wollen, weil dann bei Hempels über dem Sofa wenigstens alles sauber ist.

Der Streit um die Pornos ist sinnlos, solange weder ihr Begriff geklärt ist noch ihre Wirkung, von der physiologischen mal abgesehen. Auf ihren wahren Begriff wird Pornografie erst dann gebracht, wenn auch die getöteten, geschundenen und verhungerten Körper gezeigt würden, weil dann die moralische Gesellschaft erst einen echten Begriff davon entwickeln könnte, wie sie sich in fremdes Fleisch einschreibt. Wirklich pornografisch ist die Wirklichkeit, aber auch die hat ihre Urheber, eben solche, die auf keinem index librorum prohibitorum verzeichnet sind. Pornografie bestünde darin, mit den Bildern der Opfer die Steckbriefe der Täter auszustellen. Aber davor schützt uns ja die Gewissheit, dass wir das alles längst wissen und doch nichts daran ändern.