Langbeinige sind schneller
Die invasive Aga-Kröte sorgt in Australien für eine beschleunigte Evolution
Sie sind die meistgehassten Tiere Australiens, die Aga-Kröten, die sich als fremde Art unaufhaltsam über den Kontinent ausbreiten. Bis zu 25 cm groß und 2,5 Kilo schwer sind die Tierchen: Riesig, hässlich, voller Warzen und dazu auch noch giftig. Einst wurden sie nach Australien gebracht, um einer Käferplage Herr zu werden, aber längst sind sie selbst zur Plage geworden und die Regierung versucht mit allen Mitteln sie aufzuhalten. Bisher ohne durchschlagenden Erfolg.
Eine neue Studie zeigt jetzt, dass die Aga-Kröten schneller vorankommen, als bisher angenommen. Und die langbeinigen Exemplare haben dabei evolutionäre Vorteile: sie kommen schneller von Ort zu Ort und besiedeln neue Landstriche.
Bufo marinus heißt im Englischen cane toad und wird deshalb auf Deutsch manchmal auch Zuckerrohr-Kröte genannt. Sie wanderte nicht von selbst nach Australien, sondern wurde als biologischer Schädlingsbekämpfer importiert, als 1935 in Queensland auf den Zuckerrohrplantagen eine Käferplage herrschte. Aus den 100 eingeführten Kröten wurden bis heute geschätzt 100 Millionen, die sich bereits einen Lebensraum von mehr als einer Million Quadratkilometer des Kontinents erschlossen haben. Und sie kommen auf ihrem Eroberungsfeldzug täglich weiter voran.
Die nachtaktiven Allesfresser, auf deren Speiseplan hauptsächlich Insekten, aber auch Mäuse, Schnecken, kleine Beuteltiere und Amphibien stehen, hat in Australien kaum natürliche Feinde, denn sie ist giftig; ihre Haut ist von einem Schleim aus toxischen Substanzen bedeckt. Die aus Südamerika stammende Aga-Kröte kann dieses Gift aber auch bis zu zwei Meter verspritzen, wenn sie sich angegriffen fühlt. Kein Wunder, dass diese Monsterkröte von den meisten Australiern zutiefst verabscheut wird.
Es gibt aber auch Exzentriker, die sich diese riesigen Froschlurche als Haustiere halten. Der Regisseur Mark Lewis drehte 1988 den Dokumentarfilm Cane Toad, an Unnatural History über die schräge Liebe mancher Australier zu den quakenden Invasoren. Wer den schrägen australischen Humor und wirklich gute Animation schätzt, wird sich aber auch über Cane-Toad von Andrew Silke und David Clayton freuen, in dem sich die Aga-Kröte Daz in breitestem Aussie-Slang ausführlich Gedanken darüber macht, wo ihr Kumpel Baz wohl abgeblieben sein könnte (Download).
Das Leben ist gefährlich für Bufo marinus, denn der Mensch trachtet den Froschlurchen tatsächlich systematisch nach dem Leben – inklusive Prämiensystem pro Kadaver. Australische Politiker ließen sich angesichts des unaufhaltsamen Siegeszugs der fetten Kröten auch schon dazu hinreißen, die Bevölkerung aufzufordern, ihre Golfschläger auszupacken, um damit den hüpfenden Quakern (Sounddatei "Hear me croak") den Garaus zu machen.
Nach Angaben der Filmemacher Silke und Clayton hat praktisch jeder Queensländer schon Aga-Kröten erlegt, wobei zu den beliebtesten Tötungsarten das Erschlagen mit Golf- oder Cricketschlägern, das Überfahren mit Auto oder Fahrrad und das Abfackeln mittels Kerosin oder Feuerwerkskörpern gehört.
Australische Forscher versuchen schon seit längerem durch einen Virus oder die Einschleusung eines manipulierten Gens die Fortpflanzung der Amphibien zu unterbinden, bzw. die Population zu dezimieren (Australien erklärt der Aga-Kröte den biologischen Krieg). Ein Weibchen kann auf einmal bis zu 30.000 Eier legen und die Kröten können bis zehn Jahre alt werden. Die Tierschützer empfehlen, die Aga-Kröten in Fallen einzufangen und dann in den Tiefkühlschrank zu stecken – das sei eine schmerzfreie Todesart. Noch besser sei es, so meinen sie, vorher noch Benzocain z.B. in Form von Hämorridensalbe auf die Haut des Tieres aufzutragen, um es leicht zu betäuben (Haemorrhoid cream for cane toads). Danach können die Kadaver zu natürlichem Dünger für Bananen- und Papaya-Plantagen verarbeitet werden (Toads to be juiced).
Nicht jeder Australier hat angesichts von in seinem Swimming-Pool planschenden Riesenkröten Verständnis für diese rücksichtsvolle Haltung. Mancher findet Bufo marinus andererseits gar nicht so übel, verspricht sie doch ganz kostenfrei ordentliche Rauschzustände, z.B. wenn man an ihr leckt oder die getrocknete Haut raucht (Räusche - gespendet von der Kröte).
Die Aga-Kröte hat in „Down Under“ fast keine natürlichen Feinde, denn ihr Gift macht sie für die meisten anderen Tiere ungenießbar, weil tödlich. Inwieweit sie allerdings wirklich die einheimischen Tierwelt gefährdet, weil Beuteltiere oder Schlangen in großer Zahl sterben, nachdem sie sie gefressen haben, ist unter Experten umstritten. Umweltverschmutzung oder andere bisher in ihrem Zusammenspiel nicht völlig verstandene Ursachen könnten ebenso für die starke Dezimierung mancher „echten“ australischen Tierart verantwortlich sein (Der tödliche Biss des tasmanischen Teufels).
Aber Bufo marinus verändert durch den evolutionären Druck, den sie erzeugt, nachweislich andere Tierarten. Wenn Schlangen sie verschlingen, hängt es von ihrer Größe ab, ob sie diese Mahlzeit überleben. Australische Biologen konnten nachweisen, dass zwei Schlangenarten, die Grüne Baumnatter (Dendrelaphis punctulatus) und der Rotbäuchige Schwarzotter (Pseudechis porphyriacus), in den letzten 70 Jahren seit der Invasion der Kröten tatsächlich kleinere Köpfe und längere Körper entwickelt haben. Durch die kleineren Köpfe können sie keine so großen Beutetiere verschlucken, dass die Giftmenge lebensgefährlich werden könnte; mehr Körpermasse hilft bei der Verdauung. Der Selektionsdruck durch die zugewanderte Art hat also in erstaunlich kurzer Zeit dazu geführt, dass die Körperform der Schlangen sich veränderte (Adapting to an invasive species: Toxic cane toads induce morphological change in Australian snakes, Ben L. Phillips und Richard Shine, PNAS | December 7, 2004 | vol. 101 | no. 49 | 17150-17155).
In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature (www.nature.com) veröffentlichen jetzt Benjamin L. Phillips und Kollegen von der University of Sydney ihre Studie über die Migrationsgeschwindigkeit der Aga-Kröten (Invasion and the evolution of speed in toads, Nature Vol 439|16 February 2006|doi:10.1038/439803a). Die Forscher schnappten sich Kröten an der Invasionsfront 60 km östlich von Darwin und verpassten ihnen Funksender, um anschließend ihre Bewegungsmuster aufzeichnen zu können.
Dabei stellten sie fest, dass sich die Migrationsgeschwindigkeit der Froschlurche in den letzten Jahrzehnten enorm beschleunigt hat. Kamen die Tiere in den 40er bis 60er Jahren ungefähr 10 km pro Jahr voran, so erobern sie jetzt 50 km Neuland pro Jahr. Einer der Gründe dafür ist, dass besonders langbeinige Exemplare in vorderster Front marschieren und schlicht schneller sind als ihre kurzbeinigen Verwandten, die in den Gebieten von Queensland leben, wo 1935 alles begann. Die Langbeiner erschließen sich neue Gebiete, in denen es vorher ihre Art nicht gab und das verschafft ihnen einen evolutionären Vorteil. Dem Team um Benjamin Phillips gelang es, zweifelsfrei nachzuweisen, dass die langbeinigen Aga-Kröten für die sich beschleunigende Invasion verantwortlich sind. Einzelne Bufo marinus kamen in der Regenzeit hüpfend mit Rekordgeschwindigkeiten von bis zu 1,8 km in einer Nacht voran. Es ist damit zu rechnen, dass sie künftig sehr viel schneller den gesamten australischen Kontinent besiedeln werden, als bisher angenommen.
Die Wissenschaftler sind der Meinung, dass mit diesen neuen Ergebnissen auf dem Tisch nun auch konservative Biologen die Möglichkeit einer extrem schnellen adaptiven Veränderung von invasiven Arten berücksichtigen müssen. Die Aga-Kröten haben ihre Morphologie, ihre Bewegungs- und Invasionsgeschwindigkeit mit erstaunlicher Schnelligkeit verändert.