Las Vegas - geht der Wüstenmetropole das Wasser aus?
Der Verkauf von Illusionen als Freifahrtsschein für Wasserverschwendung
Das 1905 gegründete Las Vegas gilt einigen Zeitgenossen als Beton, Stahl und Glas gewordene menschliche Fantasie schlechthin, für andere ist sie die Apotheose neo-liberaler Globalisierung. Nicht plötzlicher Reichtum ist hier die größte Illusion von allen, sondern die Vorstellung, dass Wasser in unbegrenztem Ausmaß zur Verfügung stünde.
"Zu viele Menschen am falschen Platz..."
1930 wurden in Las Vegas 5.165 Einwohner gezählt. 1931 legalisierte der Staat Nevada das Glücksspiel. Der Beginn der Bauarbeiten am Hoover-Damm bescherte der Gegend einen Wirtschaftsaufschwung - und das inmitten der Weltwirtschaftskrise. Außerdem wurde das Scheidungsrecht gelockert. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs brachte die Rüstungsindustrie ins Las Vegas Valley. Die abgelegene Lage und die Verfügbarkeit über billige Energie machte das Tal attraktiv für Waffenbauer. Die Rüstungsindustrie ist auch heute noch ein bedeutender Arbeitgeber in der Region.
Mitte der 1980er Jahre begann eine Wachstumsperiode von vorher ungekanntem Ausmaß. Zwischen 1985 und 1995 verdoppelte sich die Bevölkerungszahl von 186.380 auf 368.360. Heute übersteigt die Einwohnerzahl des Las Vegas Valley eine Million, für 2015 wird eine Verdopplung der Bevölkerung erwartet - ohne Berücksichtigung der dem Tourismus geschuldeten Population.
Las Vegas ist seit einigen Jahren das am schnellsten wachsende großstädtische Gebiet in den USA. "Sin City" hat längst seine Balance zwischen vorhandenen natürlichen Ressourcen und deren Nutzung verloren.
In seinem 1995 erschienenen Essay "House of cards - Las Vegas: Too many people in the wrong place, celebrating waste as a way of life" beschrieb Mike Davis die Stadt als seltsames Amalgam aus Boomtown, Welt-Jahrmarkt und Wegelagerei, als Endstation der westlichen Zivilisation. Das fanatische Festhalten an einem sozialen und ökologisch bankrotten System menschlicher Besiedlung führt zum Auftauchen eines apokalyptischen Urbanismus, dem nur noch postmoderne Philosophen etwas abgewinnen mögen.
Seitdem hat sich nicht viel geändert. Las Vegas steht für eine intensive Zersiedlung der Landschaft und ist synonym mit urban sprawl. Das Gebiet um Las Vegas gehört mit 1.775 Einwohnern pro Quadratkilometern zu den zehn am dichtesten besiedelten Gegenden der Vereinigten Staaten.
Der Hoover-Damm führte zu einer Verschiebung der Vorortgrenzen in die anliegenden Inlandbecken hinein; eine grassierende Landspekulation greift um sich. Selbst die Gründung von Vororten in Arizona ist im Gespräch. Das nahe gelegene Laughlin ist mittlerweile das drittgrößte Glücksspielzentrum der Vereinigten Staaten. Das dort gelegene Mojave-Kohlekraftwerk verfeuert Kohle, die im Black-Mesa-Gebiet in Arizona gefördert und mit Trinkwasser aus dem Navajo-Aquifer in Pipelines nach Nevada gepumpt wird (Schlechtes Geschäft für die Hopi- und Diné-Indianer).
Mike Davis sah in Las Vegas die Wiederholung der sieben Todsünden von Los Angeles:
- das Verlassen einer verantwortungsvollen Ethik in der Wassernutzung;
- die Zersplitterung der örtlichen Regierung und deren Unterordnung bei der Planung der privaten Landnutzung;
- kaum Schaffung öffentlicher Räume;
- keine Schaffung von Pufferzonen, um Naturkatastrophen abzufedern und Landschaft zu schützen (die starke Versiegelung des Bodens im Stadtgebiet führte während starker Regenfälle immer wieder zu Sturzfluten, die mitunter dramatische Ausmaße annehmen können - wie z.B. 1992, als nichts ahnende Touristen in der Tiefgarage eines Kasinos ertranken);
- die über einem riesigen Areal verstreute Landnutzung;
- die Akzeptanz der resultierenden Diktatur des Autos, die letztlich zu automobile apartheid führt;
- die Toleranz extremer sozialer und rassischer Ungleichheit ("Mississippi West").
Gegenwärtig verfügbare Wasserressourcen
Dem US-Bundesstaat Nevada sind jährlich 370 Kubikhektometer Colorado-Wasser zugeteilt (1 Kubikhektometer = 1 Million Kubikmeter). Wird weniger gebraucht, geht das zunächst ungenutzte Wasser zur Zwischenspeicherung in einen der drei Grundwasserspeicher der Southern Nevada Water Authority (SNWA) in Arizona, Kalifornien oder Süd- Nevada. Lake Mead ist das Reservoir von mehr als 90% des in Süd- Nevada genutzten Wassers - der Rest des Bedarfs kommt aus kleineren Flüssen und Grundwasserleitern. Das Grundwasser im Las Vegas Valley stammt im Wesentlichen aus drei 100 - 500 Meter tief gelegenen Haupt-Aquiferen.
In der Trockenperiode von 2000-2004 wurde die geringste Wasserführung seit Beginn der Aufzeichnungen vor 100 Jahren registriert. Das Jahr 2005 brachte eine leichte Entspannung der Dürresituation; das Colorado River-Stausystem ist zu 59% gefüllt (1999: 90%). 1922 verabschiedeten die Anlieger- Bundesstaaten den Colorado River Compact, der die Aufteilung des Wassers regelt. Das Lower Colorado River Multi-Species Conservation Program soll den Schutz bedrohter Pflanzen und Tiere auf 650 Fluss-Kilometern gewährleisten und erlaubt gleichzeitig massive zukünftige Wassertransfers zwischen Nevada, Arizona und Kalifornien. Umweltschützer geben zu bedenken, dass dieses Programm eher Bewässerung und Energieerzeugung in den Flussabschnitten unter Schutz stellt als Vögel, Fische oder Bäume. Das größte derzeitige Wasserqualitätsproblem im Colorado River ist sein stromabwärts stark ansteigender Salzgehalt.
"...feiern Verschwendung als Lebensstil"
Der Tourismus und die Unterhaltungsbranche wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zum größten Arbeitgeber im Las Vegas Valley. In den 1960er Jahren erschien mit Howard Hughes ein neues Phänomen in der Stadt: Unternehmen bauten oder kauften Hotel- und Kasinogrundstücke im großen Stil auf, und das enorm profitable Glücksspiel war auf dem Weg, ein Geschäft wie jedes andere zu werden, bis hin zum Börsengang, weg von seiner Anrüchigkeit. 2004 kamen 37 Millionen Gäste in die disneyfizierte Stadt. (Vegas, virtuelle Stadt).
Im 3 Hektar großen Lake Bellagio befinden sich Fontänen, deren Wasserausstoß-Choreographien synchronisiert sind zu Musik, z.B. zu Singin' in the rain - eine Idee von Steve Wynn. Wasserverbrauch des Bellagio: 570 Kubikmeter pro Zimmer pro Jahr. Jährliche Gesamtmenge: über 1,7 Millionen Kubikmeter. (http://www.reviewjournal.com/lvrj_home/2004/Mar-21-Sun-2004/photos/water.jpg ). Der Verbrauch der Top-20-Mega- Ressorts lag 2003 bei einer Gesamtwassermenge von ca. 22 Kubikhektometern.
Die Wassernutzung durch Hotels und Kasinos ist Gegenstand einer anhaltenden Kontroverse. Für Patricia Mulroy, Hauptgeschäftsführerin der Southern Nevada Water Authority, besteht hier wenig Handlungsbedarf, da die Hotelindustrie nur zu 7% an der Wassernutzung der Region Anteil hat - selbst wenn die Hotelgäste durchschnittlich 14% der im Las Vegas Valley lebenden Bevölkerung ausmachen. 80% des Wassers gingen nach Nutzung in die Wiederaufbereitung, 20% verschwänden bei der Rasenpflege und in Kühltürmen. Investitionen in die Wasseraufbereitung und Sparmaßnahmen haben den durchschnittlichen Wasserverbrauch der Hotelketten gesenkt, jedoch gibt es von Fall zu Fall drastische Unterschiede zwischen den Etablissements.
Kirk Kerkorians MGM Grand, das größte Einzelhotel in Las Vegas, verbraucht mehr Wasser als jedes andere Grundstück in Las Vegas, aber nur "bescheidene" 355 Kubikmeter pro Zimmer pro Jahr. Die Hälfte der Außenflächen des MGM Grand und des MGM Mirage wurde mittlerweile in Kiesbetten mit Wüstenbewuchs umgewandelt (Xeriscaping) - eine Landschaft, die nur wenig Wasser bedarf, etwa ein Drittel der Wassermenge, die für das Rasensprengen aufgebracht werden müsste.
In anderen Hotel-Kasinos wurden Wasserfälle entfernt und Regelkreise installiert, die die Wasserverdunstung in Grenzen halten sollen. Die Boyd Gaming Corporation hat die Wasserspiele-Dekorationen im Sam's Town und im Stardust abgestellt. Vorbei scheinen da fast die Zeiten, in denen Steve Wynn, bekannt für seinen Wasser-Fetischismus, die Fremont Street in einen pseudo-venezianischen Canale Grande mit darauf herumschippernden Gondolieri umwandeln wollte. Doch auch im unlängst neu eröffneten Wynn Las Vegas rauschen die Wasserfälle (Massentourismus exklusiv).
Die SNWA ist sich der ökonomischen Bedeutung von Hotels und Kasinos für das Las Vegas Valley sehr bewusst - sie ist häufig Wegweiser bei anstehenden Entscheidungen. Die Tourismusindustrie verkauft eine Flucht vor der Realität und will ihre Gäste nicht dadurch verschrecken, dass die wirkliche Welt nun plötzlich in Form von Wasserproblemen in ihre Illusionen hineinplatzt. Die Behörde denkt eher an eine symbolische Wasserspar- Rolle für die Hotels-Kasinos: ein bisschen mehr Xeriscaping hier, ein bisschen weniger Wasserdekoration dort.
Kritisch sieht die SNWA hingegen die Wassernutzung von Privathaushalten - 70% des Wassers verschwinden hier außerhalb der Häuser in Rasenflächen und bei der Autowäsche. Der tägliche Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei 720 Litern Wasser, der Wasserpreis gehört zu den niedrigsten im US-amerikanischen Westen. Die anhaltende Dürre hatte zur Folge, dass verschiedene Wassersparmaßnahmen verabschiedet wurden, die Chancen haben, nun permanent rechtskräftig zu bleiben. Diese Maßnahmen beinhalten saisonale Nutzungsbeschränkungen, streng kontrollierte Wasser-Budgets von Golfplätzen, Begrenzungen der Autowäsche, keine Genehmigung für Swimmingpool-Neubauten, Verbot von neuen Rasenflächen in Vorgärten und finanzielle Anreize für einen Rückbau der Rasenflächen (das 1999 gestartete "Cash for Grass"-Programm).
Las Vegas braucht mehr Wasser - das der Nachbarn
Mitte November 2005 hat die SNWA eine Liste mit 22 Empfehlungen zur Lösung des Wasserproblems vorgelegt. Eine Mischung aus Einsparungen, besserem Management des vorhandenen Wasserangebots sowie der Erschließung neuer Ressourcen soll in den nächsten 30 Jahren mit dem steigenden Wasserbedarf Schritt halten.
Kernstück ist die umstrittene Pipeline in die Counties Clark, Lincoln und White Pine. Mit dem Zwei-Milliarden-Dollar-Projekt sollen jährlich mehr als 170 Kubikhektometer Grundwasser aus diesen ländlichen Gebieten Nevadas nach Las Vegas gepumpt werden. Zur selben Zeit ist es Farmern vor Ort nicht möglich, mehr Wasser für ihre Anwesen zu beziehen - vor 15 Jahren hatte sich die SNWA die Rechte für fast alle damals noch nicht veräußerten Grundwasservorkommen in Clark, Lincoln, Nye und White Pine gesichert. Das erste Wasser soll 2008 Richtung Las Vegas fließen. Aus den Becken um Indian Springs sollen jährlich etwa 10 Kubikhektometer Wasser abgezapft werden. Noch wird auf grünes Licht von Umweltbehörden des Bundes und der Nevada Division of Water Resources gewartet.
Das Wasser soll die Versorgung Süd-Nevadas sicherstellen und die Abhängigkeit vom Colorado River reduzieren, dessen Wasser 90% des Trinkwassers in der Region ausmacht. Farmer vor Ort jedoch sind skeptisch und ohne Lobby - einige fühlen sich an "Chinatown" erinnert. Die Handlung des Films basiert auf der ersten großen und bis heute umstrittenen Wasserumleitung in den USA - aus einer abgelegenen ländlichen Gegend (Owens Valley) in eine Großstadt (Los Angeles) und ins benachbarte San Fernando Valley. Das Wasser wurde mit dem Los-Angeles- Aquädukt, dem seinerzeit größten Wasserbauwerk gleich nach dem Panamakanal, in die Stadt gebracht. Das einst üppige Owens Valley, die "Schweiz Kaliforniens", wurde zur Alkali- Wüste. Bei Gary D. Libecap, einem Ökonomen, für den die Fließrichtung von Wasser allein durch die Gesetze des Marktes bestimmt wird, liest sich die Geschichte rund um Insider-Informationen, Bestechung und Diebstahl so.
Andere Wassertransferquellen sollen der Virgin River und die Meerwasserentsalzung sein, außerdem die Grundwasserspeicher der SNWA in Arizona, Kalifornien und dem Las Vegas Valley als Überbrückungslösung. Ohne die Erschließung neuer Quellen wird der Wasserbedarf im Las Vegas Valley voraussichtlich innerhalb der nächsten fünf Jahre die zur Verfügung stehende Wassermenge übersteigen. 2035 soll der erwartete Bedarf das gegenwärtige Angebot um 550 Kubikhektometer Wasser übertreffen. Sparmaßnahmen sollen den Pro-Kopf-Verbrauch in den nächsten 30 Jahren um 10% senken - so sollen jährlich 60 Kubikhektometer Wasser eingespart werden.
Kritiker befürchten, dass all die gegenwärtigen Aktivitäten zum Anzapfen neuer Wasserquellen und der Erweiterung des Wasser- Portfolios von Las Vegas in spätestens 30 Jahren nichts mehr wert sein werden - wenn der Bedarf der Stadt ein weiteres Mal die verfügbaren Ressourcen übersteigt. Vereinzelte Stimmen fordern, man solle sich lieber endlich um das Wachsen der Stadt selber kümmern - und um die Konsequenzen. Und dass man sich endlich bewusst werde, dass man hier nicht nur in einer Trockenperiode lebt, sondern in der Wüste. Patricia Mulroy von der SNWA sieht jedenfalls noch keinen Grund, Wasser als limitierenden Wachstumsfaktor anzuerkennen - solange man es von irgendwo anders herbeipumpen kann. Das Wachstum diene schließlich dem Interesse der Allgemeinheit.
Im Jahr 2003 sagte Bürgermeister Oscar Goodman, ebenfalls Mitglied im SNWA-Ausschuss, dass er sich keine Sorgen um die Zukunft Las Vegas mache, wenn es um Wasser geht, da man in der Lage sei, sich eine Lösung des Problems zu kaufen. Dean Baker jedoch, White Pine- Farmer und Mitglied des Integrated Water Planning Advisory Committee, ist vom geplanten Pipeline-Bau wenig begeistert. Das Ganze erscheint ihm, als würde der Nachbar fragen:
Kann ich meinen 700-Pfund-Gorilla im Zimmer eures kleinen Jungen unterbringen? Ich weiß nicht, wo ich ihn sonst hinstecken soll.
Das US-Ministerium des Inneren hat Gebiete im amerikanischen Westen identifiziert, in denen es in den nächsten 25 Jahren wahrscheinlich zu Konflikten um Wasser kommen wird.