Last Exit: Stadion

Sportarenen zwischen Pyongyang und München als Medien der Sicherheitsdebatte

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In asiatischen Länder ist die Sicherheits-Debatte auch im Vorfeld der WM 2002 omni-präsent. Entfesselte Diskussionen finden in der Öffentlichkeit darüber statt, wie in den Stadien für Ruhe und Ordnung zu sorgen sei. Im Gespräch sind bizarre Crowd Control Mittel und Crowd Monitoring mit Telematic Imaging und Communication Assistance. Während diese ausgefallenen Instrumente zur Massenkontrolle das öffentliche Augenmerk auf technologische Fragestellungen lenken, haben sich Sicherheitsphantasmen längst im Stadionbau niedergeschlagen.

Spätestens seit dem 1965 in Houston erbauten Astrodome ist es nicht unüblich, das Stadion als Sphäre zu konzipieren: Ein geschlossener Innenraum, der nicht nur vor Unwetter geschützt ist, sondern den BesucherInnen auch durch das Design ein Gefühl der Sicherheit gibt. Und so ist die Sphäre, die nach Sloterdijk embryonale Emotionen wie Wärme und Geborgenheit stimuliert, ein wiederkehrendes Stilmerkmal in der zeitgenössischen Stadionarchitektur: von der Globe Arena (1989) in der schwedischen Hauptstadt bis hin zum Izumo Dome (1992) in Japan.

Doch weil die Statik dieser Konstruktion früh als architektur-ökonomisches Manko gehandelt wurde, kamen bald einziehbare Dächer zum Einsatz. Mit ihrer Einführung haben es Architekten gemeinhin verstanden, das Spektrum der Sicherheitssemiotik sogar noch zu erweitern. Ein herausragendes Beispiel dafür ist das Big Eye (2001) in Oita, Japan.

Unterirdisches Auge

Erbaut wurde das Big Eye-Stadion von Kisho Kurokawa, einem japanischen Architekten, der zu den Metabolisten der ersten Stunde zählt und auf internationaler Ebene mittlerweile zum Pop-Star avanciert ist. In seiner Architekturtheorie spielt das Konzept der Transience eine wichtige Rolle. Es begreift das Gebäude als interaktiven, mit seiner Umgebung in Kommunikation tretenden Körper. Das Big Eye-Stadion tut das auf sprichwörtliche Weise. Die Innenarchitektur ist modular und lässt das Stadion nicht zu letzt dadurch wie ein Lebewesen erscheinen.

Das Big Eye-Stadion in Oita

Von 43.000 Sitzen lassen sich 9.000 automatisch versenken, das einziehbare Dach ist wie eine Blickvorrichtung gestaltet. Aus der Vogelperspektive wirkt es wie ein gigantisches Auge - die einziehbaren Dachelemente bringen es sogar zum Zwinkern. Wie der Architekt zu verstehen gibt, sah das Konzept ursprünglich "eine gigantische, im Erdboden vergrabene Sphäre vor, von der lediglich deren oberster Rand zum Vorschein kommt." Von Innen betrachtet, sitzt man also unterirdisch in einem Hohlraum, der je nach Bedarf die Atmosphäre eines Planetariums oder der kuppelförmigen Bauten des BNDs vermittelt.

Willkommen zu Hause

Mit wiederum ganz anderen Mitteln vermittelt das AOL-Stadion in Hamburg das Gefühl von Sicherheit. In erster Linie kommt es über das AOL-Image zu Stande. Mit dem weltweit größten Internetprovider, der gemeinhin ein familienfreundliches Heim-Image pflegt und jetzt auch mobiles Internet in Aussicht gestellt hat, ist man neuerdings "überall im Netz zu Hause". Also warum nicht auch in einem Stadion? Komplementär dazu kommunizierte der Hamburger Sport Verein (HSV) sein Wesen bislang über eine magnetisierende Stadionatmosphäre. Diese besondere Stimmung mischt sich nun mit AOLs digitalem Wohnzimmer-Glanz.

Die AOL-Arena in Hamburg

Zumindest erwecken Bilder, die man sich auch unter www.aol-arena.de im Internet anschauen kann, diesen Eindruck. Wie eine von Innen beleuchtete Seifendose strahlt die AOL-Arena in den Vereinsfarben des HSV und erinnert damit nicht zuletzt an SFX-Design aus Hollywood-Filmen wie "Abyss" oder "Begegnung der dritten Art". Dementsprechend wirkt das in blaues Swimmingpoollicht getauchte Stadion wie eine immaterielle Energieform. Unter Hochspannung gestellt, die allerdings immer, im Sinne der New-Age-Bewegung, positiv geladen bleibt, dient es den mobilen Fans als Zufluchtsstätte: "Willkommen zu Hause" lautet der Werbeslogan des neuen Super-Dome.

Auch im Stadion versichert?

Bemerkenswert an dem AOL-Stadion ist freilich, dass der Cyber-Komplex auf architektonische Dimensionen projiziert wird. In der physisch gebauten Realität spiegeln sich also unvermittelt Diskurse um Infowar und Cyberkriminalität wieder. Ängste, die uns normalerweise nur im Zusammenhang mit Datensicherheit begegnen, werden idealtypisch durch die Stadionatmosphäre kompensiert.

Ein vergleichbarer Vorstoß ist bei dem Bau des Allianz-Domes (2006) in München absehbar. Ganze 9 Millionen Euro lässt sich die Münchener Versicherungsgesellschaft die Investition kosten. Für 15 Jahre hat man sich damit die Namensrechte gesichert und Bayern München mit dieser Finanzspritze beim Bau des neuen Stadions geholfen.

Allianz-Arena in München

Wie auf der offiziellen Homepage von Bayern München zu sehen ist, wurde der Entwurf des Hamburger Architekturbüros Gerkan, Marg und Partner zugunsten des Vorschlags von Jaques Herzog und Pierre de Meuron fallen gelassen. Die Schweizer Architekten haben eine Anlage nach dem Modell amerikanischer Bowl-Stadien entwickelt, mit futuristisch glänzender Glashaut und geschlossen ovalisierender Kontur. Spötter sprechen von der Tupper-Dose, doch Franz Beckenbauer schwärmt vonm "modernen, zukunftsträchtigen Wesen" des Baseler Entwurfs.

Isolierte Welten

Stadien sind mehr als Sportstätten, sie vermitteln letzten Endes Weltentwürfe. Entsprechend werden sie als eigene Welten konzipiert. Während der eingangs erwähnte Astrodome dafür das typologische Musterbeispiel ist, handelt es sich beim SkyDome (1989) in Toronto dagegen um ein für diesen Ansatz beispielhaftes Exemplar in Sachen Funktionlität. Der SkyDome vermag nicht nur so unterschiedliche Sportarten wie kanadischen Football, Baseball, Rugby und Fußball zu beheimaten, sondern ebenso Gäste, die die Stadion-Atmosphäre auch unter der Woche schick finden. Für sie wurden Restaurants und ein Vier-Sterne-Hotel mit Blick auf das Spielfeld integriert. Frei nach dem Motto "Überlegen Sie gut, welche Bücher Sie auf diese einsame Insel mitnehmen!" deckt das Mehrzweckstadion alle Bedürfnisse ab.

May Day Stadion in Pyongang

Weniger multifunktional, aber dafür um so gigantischer ist das May Day Stadion (1989) in Pyongyang. Auf einer Insel mitten im Zentrum der Nord-Koreanischen Hauptstadt gebaut, ist das Dach wie eine auf dem Teich gleitende Blume konstruiert und vermittelt so den Eindruck einer dynamischen Struktur. Mit einer Kapazität von 150.000 Sitzen und einer Grundfläche von 207.000 Quadratmetern ist die 60 Meter hohe Sportarena die größte in der Welt: Sie hat zahlreiche Trainingshallen, Erholungsräume, einen Indoor-Swimmingpool, Betten, Esszimmer, Sende- und Kontrollräume, Telex-Boxen und eine mehrere hundert Meter lange Rennbahn aus Gummi, die sich im sechsten Stockwerk befindet.

Während das May Day Stadion ein Relikt des Kalten Krieges ist, gibt es derzeit neue Stadionbaupläne in Pyongyang. Der Neubau soll die Verständigung mit dem kapitalistischen Nachbarland auf symbolischer Ebene fördern und wird von Süd-Korea sogar massgeblich mit-finanziert. In welcher Form sich darin Sicherheitsphantasmen wiederspiegeln werden, bleibt abzuwarten.