Lawrence v. Texas

Eine historische Entscheidung, ein Sieg: Die Bestrafung von Homosexualität ist in den USA für verfassungswidrig erklärt worden

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Das Ereignis ist heute der Aufmacher praktisch aller US-amerikanischen Zeitungen: das Oberste Bundesgericht der USA hat gestern - in überraschend radikaler und eindeutiger Weise - ein texanisches Gesetz für verfassungswidrig erklärt, welches Oral- und Analsex zwischen Homosexuellen unter Strafe stellt.

Mit sechs von neun Stimmen hoben die Richter nun ein Urteil von 1986 auf, wonach die einzelnen US-Staaten Homosexualität mit einer Höchststrafe von 500 Dollar belangen dürfen, selbst wenn sie in privaten Räumen stattfindet. Zuvor war das Gesetz noch von einem texanischen Berufungsgericht besiegelt worden, da es "ein legitimes Interesse des Staates, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Moral" verfolge. Mit dem neuen Urteil werden ähnliche Gesetze in 13 US-Staaten ungültig.

Jeder hat, auch wenn er homosexuell ist, ein konstitutionelles Recht auf sexuelle "Privacy", so die Entscheidung, die wahrscheinlich weitreichende Folgen für schwule Männer und lesbische Frauen haben wird. Endlich. "Moralische Bedenken" bei Vormundschaftsverhandlungen, Adoptionsverfahren und Diskriminierungen am Arbeitsplatz werden nicht mehr so einfach vorgebracht werden können. Auch das Verbot des Militärberufes für Homosexuelle, bei dem man sich gerne auf das Urteil von 1986 berief, wird nicht mehr so leicht aufrechtzuerhalten sein. Schlimm genug, dass immer noch drei der Stimmberechtigten für das mittelalterlich anmutende Verbot waren; einer davon, Antonin Scalia, warf seinen Kollegen vor, Partei im "culture war" zu ergreifen und faselte, das Gericht habe sich mit seiner Entscheidung der "so genannten homosexuellen Agenda" verschrieben. Das sei das Ende aller Gesetzgebung, die mit dem Begriff Moral arbeite. Die Absegnung der gleichgeschlechtlichen Ehe stehe unmittelbar bevor. Juristen, die in den Zeitungen zu Wort kamen, stimmten Scalia in diesem letzten Punkt zu. Nicht wenige kommentierten, das neue Gesetz gehe zu weit, da es implizit auch Bigamie, Prostitution, Inzest, Pädophilie gestatte und ein direkter Angriff auf die Institution der Ehe sei. Die Rechte von Schwulen und Lesben seien mit dem Urteil in einem Maße gestärkt worden, das man noch gar nicht absehen könne. Konservative und religiöse Gruppen, reagierten mit Enttäuschung und Missfallen.

Ganz offensichtlich gibt es immer noch zu viele Menschen, die es in Ordnung finden, wenn die Polizei in eine Privatwohnung eindringt, um zwei Männer, die dort Analsex haben, zu einer Nacht im Gefängnis und je 200 Dollar Geldstrafe zu verdonnern. Denn dies ist, was 1998 geschah und zu der nun in letzter Instanz stattgegebenen Klage geführt hat.

In einer Geste der Dankbarkeit hissten Schwulenaktivisten in San Francisco die amerikanische Flagge; Grund zu feiern gibt es auch in Deutschland: Morgen wird mit dem bekennenden Homosexuellen Klaus Wowereit erstmals ein Regierender Bürgermeister die 25. Christopher Street Day-Parade in Berlin eröffnen.