Leben im Klimawandel: Die Zukunft muss nicht trostlos und ohne Freude sein

Jörg Phil Friedrich

Der Verbrauch von Ressourcen kann so nicht weitergehen. Dennoch sollten wir auf den Verzicht verzichten. Anmerkungen zur Moral in der Epochenwende.

Die Diskussion um die Änderungen unseres alltäglichen Lebens, die für die Abwendung der Klimakatastrophe notwendig seien, wird zumeist unter dem Stichwort des Verzichts geführt. Wir müssten, so heißt es, auf vieles verzichten lernen, damit zukünftige Generationen überhaupt noch leben könnten. Daran ist vieles falsch, allerdings aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Ressourcen sind begrenzt

Das erste Problem ist, dass die Verzichtsdiskussion Teil einer Debatte ist, die als einzige notwendige und sinnvolle Maßnahme für den Umgang mit dem Klimawandel die drastische Reduktion des CO2-Ausstoßes ansieht. Alle Ressourcen, die für das Problem des Überlebens der Zivilisation unter veränderten klimatischen Bedingungen aufgewendet werden, sollen nur dieser einen Aufgabe dienen: den Ausstoß von CO2 zu reduzieren.

Allerdings muss man bedenken, dass die Möglichkeiten und Kapazitäten der Menschheit begrenzt sind, das gilt für die Zahl derer, die an wissenschaftlichen Konzepten forschen, für die Ingenieure, die CO2-arme Technologien entwickeln sollen, aber auch für die Möglichkeiten etwa der Bauindustrie, die notwendigen Anlagen zu errichten oder umzurüsten.

Verzicht – das müsste somit eigentlich auch bedeuten, dass wir auf alle anderen Forschungen, etwa zum autonomen Fahren, zur Künstlichen Intelligenz, zur Raumfahrt, zur Weiterentwicklung der Computer- und Mobilfunktechnik, letztlich auch auf die Gesundheitsforschung und die Medizintechnik und vieles mehr verzichten und alle Kraft ausschließlich in die Entwicklung klimafreundlicher Technologien investieren müssten.

Vor allem aber kann jeder Euro, der in Technologie zur CO2-Einsparung investiert wird, nicht in Techniken investiert werden, die uns ein Leben im Klimawandel erträglicher machen würden, etwa in Deichanlagen gegen Überflutungen, in unwetterfeste Infrastrukturen oder hitzeabweisende Wohnungen, Büros und Fabrikhallen.

Was zukünftige Generationen wollen würden

Mit diesem Problem verbunden ist ein weiteres: wenn argumentiert wird, dass wir all das für künftige Generationen tun, müssen wir uns erst mal eingestehen, dass wir gar nicht wissen, welchen Umgang mit dem Klimawandel unsere Nachfahren bevorzugen würden.

Wenn wir ihnen eine Welt hinterlassen, die von Verzicht geprägt ist, in der nur noch das notwendigste bereitgestellt wird und jeder Überschwang, jede Verschwendung, jeder Genuss, soweit er mit Ressourcen- und Energieverbrauch verbunden ist, verboten ist, in der man nicht mehr in die Ferne reisen, nicht mehr großzügig wohnen und nicht mehr schnell fahren soll, am Ende auch keine Videos mehr Streamen, keine Südfrüchte mehr essen, keine Waren aus fernen Ländern mehr bekommen soll – dann kann es sein, dass diese Nachfahren uns sagen: Wir wären mit dem Klimawandel vielleicht besser zurechtgekommen als in dieser dürftigen Welt, in der es keine Freuden und keinen Genuss, sondern nur noch Verzicht gibt.

Zweierlei muss man nämlich bedenken: Erstens wird die Erde durch den Klimawandel nicht zu einem unbewohnbaren Planeten – auch wenn das manchmal so dargestellt wird. Der Meeresspiegel steigt erst über Jahrhunderte nennenswert. Und wenn man bedenkt, dass die Menschen in der Lage sind, sich in jeder Klimazone dieses Planeten einzurichten, ist klar, dass dies auch unter veränderten klimatischen Bedingungen klappen wird – auch wenn uns schwierige Zeiten bevorstehen.

Allerdings werden wir uns an veränderte klimatische Bedingungen nur einigermaßen gut anpassen können, wenn wir uns darauf vorbereiten und wenn auch dafür Techniken entwickelt und Ressourcen bereitgestellt werden. Da aber, wie zuvor erwähnt, Ressourcen knapp sind, müssen wir gut überlegen, wie wir sie verteilen, gerade wenn wir unseren Nachfahren nicht nur eine karge Klimaschutzwelt des Verzichts hinterlassen wollen, sondern eine Welt, in der es ihnen auch noch Spaß macht, zu leben.

Wann würde CO2-Reduktion wirklich funktionieren?

Dabei muss ein Zweites bedacht werden: Maßnahmen zur CO2-Reduktion werden überhaupt nur wirksam sein, wenn die ganze Menschheit mitmacht. Das bedeutet nicht, dass es sinnlos wäre, wenn etwa ein paar europäische Ländern dabei vorangehen – zumal sie auch die waren, die bei der Entstehung des Problems die Ersten waren. Aber es muss die realistische Chance bestehen, dass die anderen mitmachen. Und danach sieht es gegenwärtig weltweit nicht aus.

Das alles bedeutet nicht, dass es nicht sinnvoll ist, mit Blick auf den Klimawandel das eigene Leben zu ändern. Die Idee des Verzichts ist dafür aber die völlig falsche. Sie eröffnet die Perspektive auf ein trost- und freudloses Leben für die Lebenden und für die, die uns folgen und uns vielleicht gar nicht so dankbar sind für unsere Opferbereitschaft, wie wir jetzt vielleicht meinen.

Besser ist, ernsthaft darüber nachzudenken, was ein wirklich gutes Leben ausmacht. Genuss gehört dazu, Verzicht nicht. Aber was genießen wir am meisten? Was ist das, woran wir uns noch viel später mit glücklichen Gefühlen erinnern? Und warum? Und wie sind wir auf den Gedanken gekommen, dass die Dinge, die wir heute in der Freizeit und im Urlaub machen, irgendwie toll sind?

Woher unsere Bedürfnisse kommen

Viele Vorstellungen von dem, was eine gute Zeit ausmacht, denkt man sich ja nicht selbst aus, sie werden uns von einer Unterhaltungs- und Werbeindustrie präsentiert. Die meisten Bedürfnisse und Sehnsüchte, die wir in unserer freien Zeit und mit unserem verdienten Geld stillen wollen, haben wir uns nicht selbst ausgedacht, sie wurden in uns geweckt von Leuten, die mit unseren Wünschen ihr Geld verdienen wollen.

Man kann sich natürlich die Frage stellen, ob es wirklich meine eigenen Vorstellungen von einem guten, gelungenen Leben sind, für deren Realisierung ich mein Geld ausgebe, Reisen bezahle, Fahrzeuge und Kleidung kaufe usw. Wenn ich merken würde, dass vieles von dem gar keinen echten eigenen Wünschen entspringt, sondern dass ich nur den Vorgaben einer Freizeit-, Urlaubs- und Unterhaltungsindustrie aufgesessen bin, dann wäre es gar kein Verzicht, diese Dinge sein zu lassen, sondern eine Besinnung auf eigene Vorstellungen vom schönen Leben.

Diese eigenen Vorstellungen dürften häufig verschüttet und verbaut sein von den Fassaden der herrschenden Medien- und Massenkultur. Aber es wäre ja einen Versuch wert, dahinter zu schauen und herauszufinden, was einem selbst eigentlich an allem Freude macht, was man sich da aufdrängen lässt.

Vermutlich gäbe es dann ganz andere, einfachere, weniger aufwändige und zugleich tatsächlich ressourcenschonendere Möglichkeiten, die gleiche Freude, den gleichen Genuss zu gewinnen. Dann müsste man auf nichts verzichten, und das Leben würde nicht ärmer oder karger.