Leben in einer "apokalyptischen Komödie"
Über Gefahren, die schon seit den 1970er-Jahren Katastrophenängste hervorriefen - Gespräch mit dem Filmemacher und Erfinder des Science-Thrillers, Rainer Erler über seine Arbeit.
Zukunft lässt sich nicht vorhersagen. Aber im Science-Fiction-Genre oder wie der Autor und Regisseur Rainer Erler es nennt: im "Science Thriller" lassen sich gegenwärtige Entwicklungen in verschiedene Richtungen weiterdenken. Dieses positiv spekulative Moment prägt auch die Filme des Autors, Drehbuchautors, Regisseurs und Produzenten Rainer Erler.
Bekannt wurde er unter anderem durch Werke wie "Das Blaue Palais" oder "Plutonium". Blockbuster-Spektakel ist er hierbei aus dem Weg gegangen, was aber auch mit seinem Stil zu tun hat: dialogreiche Filme, die aber gerade dadurch Spannung erzeugen.
Im Zentrum stehen die Probleme einer zunehmend technologischer werdenden Welt. Immer auch brisant politisch, wenn es um die Auseinandersetzungen im globalen Maßstab ging. Diese und andere Themen waren Inhalt des folgenden Interviews.
Wie geht es Ihnen aktuell? Sie feiern dieses Jahr Ihren 90. Geburtstag. Ein stolzes Alter! Arbeiten Sie noch an Texten oder Filmen?
Rainer Erler: Grüße aus West-Australien (mein Zweitwohnsitz, wo ich corona- und altersbedingt gestrandet bin).
Es wäre unfair den nachfolgenden Generationen gegenüber, wenn ich meinen ursprünglich sehr prominenten Platz in Produktion von Büchern und Filmen weiterhin besetzt halten würde. Als Senior betrachte ich mit großem Interesse, wie die Video-Firma Filmjuwelen meine Filme in neuen Editionen (z.B. Blu-Ray) auf den Markt bringt. Sehr erfreulich, finde ich.
Von den 1960er- bis in die 1980er-Jahre waren Sie sehr aktiv im Fernsehen und Kino. Es entstanden wichtige Filme, die Sie selbst teils als "Science Thriller" bezeichneten. Was macht diese Bezeichnung aus?
Rainer Erler: Den Begriff "Science Thriller" habe ich für meine – inzwischen als "legendär" geadelte – fünfteilige Film-Reihe Das Blaue Palais erfunden. Der Begriff "Science Fiction" erschien mir dafür bereits als zu verbraucht.
Filme von Rainer Erler (7 Bilder)
Nochmals zu dem Begriff "Science Thriller". Wie viel Wissenschaft und wie viel Thrill sollte in den Filmen sein? Wie war das Verhältnis zwischen beiden?
Rainer Erler: So viel Thrill wie nötig, so viel Wissenschaft wie möglich!
In der TV-Serie Das Blaue Palais (1973-1975) stellen Sie den Kontext zwischen Journalismus, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft her. Immer wieder berühren die Folgen ethische Fragen, ob die Wissenschaftler etwa die Suche nach einem "Unsterblichkeits-Gen" fortführen sollen. Oder aber, ob der Wissenschaftler Rechte über seine Ideen besitzt, sobald sich Geldgeber einschalten. Das Blaue Palais ist mit seinen 5 Folgen nach wie vor aktuell. Bestätigt oder verstört Sie das eher?
Rainer Erler: Dass meine akribisch recherchierten Stories mir das Prädikat "prophetisch" einbrachten und die Verantwortung des Wissenschaftlers für sein Tun diskutiert wird, das ehrt mich, wie auch das Prädikat des Internationalen Komitees "Best European SF Screen Writer".
Sie stellten zudem in der Serie die ökonomischen Grundlagen von Grundlagenforschung heraus. Die Freiheit der Wissenschaft ist am Ende des Tages doch von vielen Einschränkungen betroffen. Wie ist überhaupt unter solchen Bedingungen seriöse Wissenschaft möglich?
Rainer Erler: "Das Blaue Palais" als Modell ist ein Vorschlag. Auch die von mir aufgezeigten Grenzen einer Ethik in der Forschung halte ich ganz allgemein für diskussionswürdig.
Welche Quellen hatten Sie für die wissenschaftlichen Hintergründe Ihrer Werke?
Rainer Erler: Ich habe ein ganzes Jahr lang gelernt: Laserstrahlen, Mikrobiologie, Antimaterie, japanische Zen-Rituale, Zen-Malerei, Parapsychologie, etc. Ich mache es mir gern sehr schwer und recherchiere mit Akribie.
Immer ging es in Ihren Werken auch um Zukunft. Teilweise nahmen Sie die Zukunft sogar in den Titel, wie bei dem Film News. Bericht von der Reise in eine strahlende Zukunft (1986), aber auch in der Serie Das Blaue Palais werden Zukunftstechnologien angesprochen. Das Bild, das Sie zeichneten, war meist nicht sehr zuversichtlich.
Rainer Erler: Von dieser Sekunde an findet unser Leben in der Zukunft statt. Ich werde nicht mehr allzu viel davon erleben. Ich werde demnächst 90.
Ich interviewte hier bereits Dieter C. Fleck zu seinen Öko-Thrillern. Er führt häufig Journalisten als Protagonisten in seinen Romanen ein. Die Kombination aus wissenschaftlicher Erkenntnis und journalistischer Recherche prägt auch Ihr Werk. Sind das zwei Seiten einer Medaille?
Rainer Erler: Der Journalist berichtet und bewertet. Einer der absolut wichtigsten Berufe unserer Zeit. In meinen Filmen haben Journalisten eine wichtige Funktion. Zum Beispiel in Die Delegation, in Plutonium und in den Kaltenbach-Papieren.
Kann Journalismus auch wissenschaftlich sein?
Rainer Erler: Journalismus ist ein schweres Gewerbe: berichten und bewerten. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun – oder auch sehr viel!
"Wir verdrängen das mögliche Ende unserer Tage"
Die Apokalypse ist zeitlich nicht festgelegt. Wenn sie passiert, dann geht bekanntlich die Zivilisation unter. Seit Sie Filme drehen, gab es viele Prophezeiungen zum Weltenende. Denken Sie, dass wir bereits in einer post-apokalyptischen Welt leben?
Rainer Erler: Ja, genau das denke ich. Wir stehen – dank Putin – am Abgrund! Wir leben in einer "apokalyptischen Komödie", wie die Kleinbürger in meinem Film Die Halde. Und wir verdrängen das mögliche Ende unserer Tage. Ziemlich tragisch!
Sie bejahen, dass wir bereits in post-apokalyptischen Zeiten leben. Gibt es gar keine Hoffnung mehr? Was könnte uns noch retten?
Rainer Erler: "Ist die Menschheit es noch wert, gerettet zu werden?", fragte ein Philosoph in der Zeit. Mag sein: ja, mag sein: nein. Wir werden sehen …
Sie beschäftigen sich immer wieder mit drohenden technologischen Gefahren, wie dem Atommüll. Diese Technologien sind in Ihren Filmen keineswegs nur Vorwand für eine Story, so mein Eindruck. Die Nukleartechnologie verfolgt uns immer noch; einige Atomkraftwerke sollen in Deutschland reaktiviert werden, da aufgrund des Kriegs in der Ukraine die Energieträger knapp werden.
Rainer Erler: Professor Bölkow, der Rüstungsfabrikant (MBB) und Präsident der Deutschen Energiegesellschaft (deren Mitglied ich war) warnte bereits vor drei Jahrzehnten: "Vorsicht – die Nukleartechnologie ist eine Sackgasse!" Allein schon das ungelöste Problem der Endlagerung. In meinem Film Reise in eine strahlende Zukunft wird das ausführlich diskutiert.
Unterscheiden sich die Freiheiten, die Naturwissenschaften heute haben, von den 1970er- und 1980er-Jahren?
Rainer Erler: Nein.
Ihr Film Die Halde (1975) zeigt ein Szenario, auf das ich wieder in aktuellen Science-Fiction-Romanen stoße: Die Müll-Problematik, die Frage nach Recycling, also: Wiederverwertung und auch soziale Verwahrlosung. Der chinesische Autor Qiufan Chen schildert etwa eine Siedlung, in der die Menschen durch die Müll-Verarbeitung überleben oder die US-amerikanische Autorin Alison Stine schildert in Trashlands eine verlassene Gegend im ländlichen Amerika, dessen Bewohner nach der Katastrophe durch das Sammeln von Plastik und Altpapier über die Runden kommen.
Rainer Erler: In meinem Film Die Halde ist der Müll nur eine Metapher. "Was ist das schon, eine Sintflut aus Müll und aus Schlamm – gegen eine aus Hass und Neid in unseren Köpfen?"
"Fleisch" hat im Jahr 1979 bei vielen Zuschauern für Verunsicherung gesorgt; die Ärzteschaft beschwerte sich, dass der Film Stimmung mache und wilde Vorurteile nähre. Es ging um die Risiken der Transplantationsmedizin. Welche Rolle spielte für Sie das Gleichgewicht zwischen Fakten und Fiktion? Wie spekulativ sollte ein Film sein?
Rainer Erler: Fleisch war mein Plädoyer für die Organspende. Nach der Sendung schrieb der Gesundheits-Senator aus Bremen: Die Nachfrage nach Spender-Ausweisen ist sprunghaft angestiegen. Gut so!
Die Proteste gegen den Film fanden vorher statt – nicht hinterher! Von Ärzteverbänden, von denen niemand den Film kannte. Nur auf Gerüchte und Vermutungen hin. Obwohl mein Roman "Fleisch" bereits ein halbes Jahr vor dem Film im Handel war, und jeder nachlesen konnte: "How much is anyone worth…? Wie viel ist der Mensch wert? Seine Organe … unendlich viel! Die Liste des Brauchbaren ist lang! Und das alles wird nach dem Tod eingegraben oder verbrannt."
Wie wurden Ihre Filme zur jeweiligen Entstehungszeit wahrgenommen? Als notwendige Warnung, nervende Schwarzmalerei, unerträglicher Realismus oder zukünftige Vision?
Rainer Erler: Als das "Highlight" des Monats! Und höchste Einschaltquoten! Der Programmdirektor Heinz Ungureit schrieb mir: "Für das ZDF sind Sie ein Solitaire". Der Intendant des ZDF, Dr. h.c. Dieter Stolte, schrieb mir: Er äußere sich normalerweise nie zu einzelnen Beiträgen des Programms – aber er bedankte sich bei mir ausdrücklich für Plutonium und andere meiner Werke.
Verfolgen Sie weiterhin den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Status quo? Würde Sie z.B. das Thema "Künstliche Intelligenz" für eine filmische Umsetzung reizen?
Rainer Erler: Verfolgen: ja. Umsetzung: nein.
Sind Ihre Filme auch Übungen in Resilienz? Wie behalte ich angesichts der Katastrophen und des groben Unrechts einen kühlen Kopf?
Rainer Erler: Ich halte Abstand! Bemühe mich wenigstens. Wie schrieb Goethe: "Was kümmert’s uns, wenn fern in der Türkei die Völker aufeinander schlagen …?" Goethe kannte kein Fernsehen, kein Internet….
Haben Sie ausnahmslos eigene Texte verfilmt? War Ihnen diese Freiheit wichtig?
Rainer Erler: Zu Beginn meiner Karriere verfilmte ich auch besondere Skripte von Kollegen. Dann wurde ich sogenannter "Autorenfilmer". Alles aus einer Hand: Buch, Regie, Produktion.
Sie sagen, Sie wären zum "Autorenfilmer" geworden. War Ihnen dieses eigene Schreiben für die Filme wichtig?
Rainer Erler: Mit 16 Jahren habe ich beschlossen, später engagierte Filme zu produzieren – nach eigenen Stories. Ein Film beginnt bei mir mit intensiver Recherche und mit Schreiben.
Hängt die Aussagekraft von Science-Fiction-Filmen vom Stil und der jeweiligen Zeit ab?
Rainer Erler: Ich orientiere mich weder an Stil noch an Zeit. Ich bin nur mir selbst verantwortlich – und war immer unabhängig!
Würden Sie aus heutiger Sicht an Ihren Filmen von damals etwas ändern wollen? Stellen Sie sich vor, Sie könnten zeitreisen ….
Rainer Erler: Nein.
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