Leck in Nord-Stream-Pipelines: Wer sprengte die Gasleitungen?
Drei von vier Leitungen in der Ostsee wurden durch Explosionen beschädigt. Kein Zufall, sagen Experten. Spekulationen über die möglichen Saboteure schießen ins Kraut.
Die Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 sind in der Nacht von Montag zu Dienstag explodiert oder gesprengt worden. Daran gebe es keinen Zweifel, sagte der Seismologe Björn Lund vom Schwedischen Seismologischen Netzwerk (SNSN) am Dienstag dem schwedischen Rundfunksender SVT.
Die Seismologen hatten zwei deutliche Detonationen in dem Gebiet registriert – eine in der Nacht um 2.03 Uhr und eine zweite um 19.04 Uhr am Abend. Anne Strømmen Lycke, Chefin des norwegischen Forschungsinstituts Norsar, hatte gegenüber t-online gesagt, man habe am Montagabend ein Ereignis der Stärke 2,2 registriert.
Wir sind sehr sicher, dass es eine Explosion war und dass es sich dort ereignet hat, wo die dänischen Behörden den Gasaustritt festgestellt haben.
Anne Strømmen Lycke
Drei von vier Rohrleitungen der Ostsee-Pipelines erlitten dadurch Lecks auf großer Länge. Was die Ursache dafür sein könnte, ist nach wie vor nicht geklärt und bis zu einer Klärung wird wahrscheinlich noch einige Zeit benötigt.
Die Bundesregierung rechnete schnell mit gezielten Anschlägen auf die Leitungen, berichtete der Tagesspiegel und berief sich dabei auf "Sicherheitskreise". Der zeitliche Ablauf und dass es in drei Leitungen starke Druckabfälle gegeben habe, ließen demnach auf Sabotage schließen.
"Unsere Fantasie gibt kein Szenario mehr her, das kein gezielter Anschlag ist", sagte demnach eine durch die Bundesregierung eingeweihte Person. Alles spreche gegen einen Zufall, hieß es weiter.
Nicht unüblich: Die Russen werden als Erstes verdächtigt
Noch bevor Details zum Geschehen bekannt waren, begannen die Spekulationen darüber, wer als möglicher Saboteur ein Motiv haben könnte. In einer britischen Zeitung hieß es umgehend: Es sei ein russischer Angriff gewesen. Aber auch deutsche Medien beeilten sich, dieses Narrativ zu bedienen.
Der Tagesspiegel fragte am Dienstag in einem Newsletter, wer für die Sabotage der drei hochstabilen Rohre auf dem Meeresboden verantwortlich sein könnte; wem der "Energieterror nützen könnte". Der vermeintlich Schuldige wurde gleich mitgeliefert: "Bekannt ist, wem Verunsicherung generell in die Karten spielt: Wladimir Putin".
In die gleiche Kerbe schlägt die polnische Regierung und glaubt, eine russische Provokation hinter den Lecks in den Pipelines erkennen zu können. "Leider verfolgt unser östlicher Nachbar eine aggressive Politik", sagte Polens Vizeaußenminister Marcin Przydacz Wenn er in der Ukraine dazu fähig sei, "ist es offensichtlich, dass keine Provokationen ausgeschlossen werden können, auch nicht in den Abschnitten, die in Westeuropa liegen".
Hinter solchen Aussagen wollten auch manche deutschen Politiker nicht zurückstehen. Der Vize-Vorsitzende des Geheimdienstgremiums im Bundestag, Roderich Kiesewetter (CDU), brachte ebenfalls Russland als Urheber der festgestellten Lecks ins Spiel.
Gegenüber dem Handelsblatt sagte er: Ein gezielter Sabotageakt "würde durchaus in die von Staatsterrorismus geprägte und hybride Vorgehensweise Russlands passen". Es könnte demnach ein Versuch gewesen sein, Europa zu spalten, die Bevölkerung zu verunsichern und auf diesem Wege die Unterstützung der Ukraine zu schwächen. Beweise legte Kiesewetter nicht vor.
Der Vorsitzende des Geheimdienstgremiums, Konstantin von Notz (Grüne), mahnte zu Vorsicht mit solchen Unterstellungen. Mit einer Deutung des Geschehens sollte man maximal vorsichtig sein, sagte er ebenfalls dem Handelsblatt. "Motive für eine solche Tat haben viele und man sollte abwarten, bis die Sicherheitsbehörden klare Belege vorlegen."
Welche möglichen Täter noch gehandelt werden
Die russische Seite schließt Sabotage ebenfalls nicht aus. "Jetzt kann keine Variante ausgeschlossen werden", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Er sagte allerdings nichts dazu, ob die russische Regierung einen entsprechenden Verdacht hegt.
Der deutsche Ableger des Senders Russia Today hatte weniger Hemmungen. Die Ukraine könnte dafür verantwortlich sein, heißt es dort. In dem Bericht wird auf eine Meldung der Nachrichtenagentur RIA verwiesen.
Demnach hatte der russische Geheimdienst FSB kürzlich einen Anschlag auf eine Pipeline vereitelt, welche die Türkei und Südeuropa mit Erdgas versorgt. Hinter dieser vermeintlichen Sabotage habe der ukrainische Geheimdienst SBU gestanden, der mehrere Bürger Russlands für die Ausführung rekrutiert habe.
Überprüfen lässt sich diese Geschichte nicht. Selbst wenn sie stimmen sollte, wäre ein Anschlag auf die beiden Ostsee-Pipelines eine ganz andere Hausnummer. Die Lecks befinden sich immerhin in etwa 70 Metern Tiefe. Die dänische Marine hatte dazu erklärt, angesichts des technischen Aufwands käme nur ein staatlicher Akteur infrage.
Auch die Bundesregierung hatte gegenüber dem Tagesspiegel erklärt, ein Anschlag auf dem Meeresboden sei alles andere als trivial. Er müsste mit Spezialkräften ausgeführt werden oder mit einem U-Boot.
Die Nachdenkseiten brachten am Dienstag noch einen weiteren potenziellen Täter ins Spiel: Die USA. Diese hätten ein großes Interesse daran, russische Rohstofflieferungen nach Deutschland langfristig zu verhindern. Einmal um selbst Flüssiggas nach Europa liefern zu können und dann auch um die Energiepreise in Europa auf einem hohen Niveau zu halten; denn so würden deutsche Unternehmen ihre Produktion zunehmend in die USA verlagern.
Diese Argumentation hat eine gewisse Substanz – zumindest, wenn es um das Motiv geht. Denn die US-Regierung könnte versucht gewesen sein, die antirussische Phalanx stabil zu halten.
Und Deutschland könnte als Schwachstelle gegolten haben. Die Bundesregierung steht unter Druck, weil aufgrund der hohen Energiepreise wirtschaftliche Verwerfungen drohen. Zudem gingen bereits in verschiedenen Städten tausende Menschen auf die Straße – gegen hohe Energiepreise und für die Öffnung von Nord Stream 2.
Auch wenn das alles nur Spekulationen sind – wenn den Russen solche Taten zugetraut werden, muss man sie wohl auch der US-Regierung zutrauen. Schließlich hatte US-Präsident Biden im Februar damit gedroht, die Pipeline auch gegen den Willen der Deutschen stillzulegen. "Ich verspreche Ihnen, dass wir in der Lage sind, dies zu tun", hatte er auf eine Frage von Journalisten gesagt.
Eine US-Verantwortung hatte der US-amerikanische Außenminister Anthony Blinken verneint. Man könne noch nicht bestätigen, dass die Lecks das Ergebnis eines Angriffs oder von Sabotage seien. "Aber wenn sie bestätigt werden, ist dies offensichtlich nicht im Interesse von irgendjemandem", sagte er laut RIA gegenüber Reportern.
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