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"Lex Corona" im Freistaat

Claudia Wangerin

Bayerische Kommunalpolitiker klagen gegen Ausgrenzung durch "Ferien- und SonderausschĂŒsse". AnwĂ€ltin: Opposition im Landtag hat "schlechten Job gemacht"

In Bayern regt sich Widerstand gegen eine Änderung des Kommunalrechts, die am 4. MĂ€rz im Landtag beschlossen wurde und am Mittwoch in Kraft getreten ist - begrĂŒndet wurde sie als Maßnahme zur EindĂ€mmung der Corona-Pandemie. AuffĂ€llig ist aber, dass sich die Neuregelung in der Gemeindeordnung perfekt zur Ausgrenzung unliebsamer Kleinparteien eignet, die auf kommunaler Ebene nicht an einer FĂŒnf-Prozent-HĂŒrde scheitern.

Aber auch die Mitbestimmungsrechte von Fraktionsmitgliedern grĂ¶ĂŸerer Parteien in Stadt- und GemeinderĂ€ten werden damit in Frage gestellt: Bis zum 31. Dezember dieses Jahres können demnach beschlussfĂ€hige Gremien nach dem Muster von FerienausschĂŒssen gebildet werden [1], was faktisch den Ausschluss von zwei Dritteln der GewĂ€hlten ermöglicht [2].

Digitale Möglichkeiten, Mitbestimmung zu gewĂ€hrleisten, sollen dabei offensichtlich von der Gnade der Mehrheitsfraktionen abhĂ€ngen: "Gemeinderatsmitglieder können an den Sitzungen des Gemeinderats mittels Ton-Bild-Übertragung teilnehmen, soweit der Gemeinderat dies in der GeschĂ€ftsordnung zugelassen hat. Der Beschluss bedarf einer Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Mitglieder des Gemeinderats", heißt es in dem Gesetzestext. Auch in der Bezirks- und Landkreisordnung ist dies nun vorerst so geregelt.

Die CSU, die seit 1957 ohne Unterbrechung den bayerischen MinisterprĂ€sidenten stellt, und ihr aktueller Juniorpartner, die Freien WĂ€hler, hatten die GesetzesĂ€nderung im Landtag auf den Weg gebracht - und erstaunlicher Weise auch den grĂ¶ĂŸten Teil der Opposition dafĂŒr gewonnen. Beide Regierungsfraktionen hatten im Februar erklĂ€rt, es gehe fĂŒr die Dauer der Pandemie um eine "rechtssichere Möglichkeit" [3], Entscheidungen in kleineren Gremien zu treffen, damit "die Kommunen verlĂ€sslich handlungsfĂ€hig bleiben". Auch die Fraktionen von SPD und FDP stimmten im Landtag dafĂŒr, die GrĂŒnen enthielten sich.

Der bayerische Landesverband der Partei Die Linke, die nicht im Landtag vertreten ist, aber auf kommunaler Ebene einige MandatstrÀger stellt, will sich das nicht gefallen lassen. Mit knapp 30 betroffenen Stadt-, Kreis-, Bezirks-, und GemeinderÀten klagt sie dagegen [4] vor dem bayerischen Verfassungsgerichtshof.

Ausformuliert wurde die am Mittwoch eingereichte Popularklage von einer ehemaligen SPD-Politikerin: RechtsanwĂ€ltin Adelheid Rupp, die von 2003 bis 2013 selbst Mitglied des Bayerischen Landtags war. Sie hĂ€tte diese Klage auch ĂŒbernommen, wenn sie noch SPD-Mitglied wĂ€re, stellte Rupp am Donnerstag gegenĂŒber Telepolis klar. Abgesehen davon, dass die AnwaltstĂ€tigkeit vom Parteibuch zu trennen sei, sollten sich Sozialdemokraten "schon fĂŒr Grundrechte einsetzen", sagte die Juristin. Die SPD habe in diesem Fall "eine extrem schwache Figur abgegeben" und die Opposition im Landtag insgesamt "einen schlechten Job gemacht".

Wenn Fußball wichtiger genommen wird als Demokratie

Es sei "eine seltsame Nummer", dass auch SPD und FDP das Vorhaben abgesegnet und die GrĂŒnen sich trotz deutlicher Kritik nur enthalten hĂ€tten, sagt Max Steininger, LandesgeschĂ€ftsfĂŒhrer der Partei Die Linke in Bayern.

Deren Landessprecher Ates GĂŒrpinar weist darauf hin, dass MandatstrĂ€gerinnen und MandatstrĂ€ger nun stĂ€rker eingeschrĂ€nkt wĂŒrden als Fußballprofis: "Wenn die Regierung und Parlamente selbst demokratische Entscheidungen dem Profifußball unterordnen, dann haben wir ein Problem", erklĂ€rte er am Mittwoch. Solange Bundesligaspiele nicht auf der Playstation oder in der FĂŒnf-gegen-fĂŒnf-Variante ausgetragen wĂŒrden, "solange darf mit demokratischen EntscheidungstrĂ€gern so nicht umgegangen werden", betonte er. Und: "Solange Homeoffice nicht auf Verlangen der BeschĂ€ftigten durchgesetzt wird, solange mĂŒssen Entscheidungsgremien mit Abstand, Maske, gern hybrid tagen dĂŒrfen."

Von "Laptop und Lederhose" keine Spur

Da rein virtuelle Sitzungen laut Gesetzestext nicht zulĂ€ssig sind, wird unter "Hybridsitzung" eine Mischform aus PrĂ€senz- und Online-Sitzung verstanden. Vom Credo "Laptop und Lederhose", das fĂŒr ein zumindest digital modernes Bayern steht, bleibt hier aber bei den Regierungsfraktionen keine Spur: Auch Hybridsitzungen sind nach Meinung von CSU und Freien WĂ€hlern nicht jederzeit möglich, da nicht sichergestellt werden könne, ob Gemeinderatsmitglieder zum Beispiel die technischen Voraussetzungen dafĂŒr hĂ€tten. Angesichts der Anforderungen, die an Familien mit schulpflichtigen Kindern gestellt werden, sei dieses Argument "geradezu absurd", erklĂ€rt RechtsanwĂ€ltin Rupp in der Klageschrift, die Telepolis vorliegt.

Linke-Landessprecherin Kathrin Flach Gomez macht in diesem Zusammenhang auf eine weitere Dimension der Ausgrenzung aufmerksam: "Besonders problematisch an der Installation von Sonder- oder FerienausschĂŒssen ist, dass damit in vielen Kommunen fast ausschließlich MĂ€nner vertreten sind. In NĂŒrnberg sinkt der Frauenanteil von 42 Prozent im Stadtrat auf 25 Prozent im Ferienausschuss", betonte sie am Mittwoch. Das liege am hohen MĂ€nneranteil in Ältestenrat und Finanzausschuss, die den Ferienausschuss bilden. Dabei seien Frauen in der Corona-Krise die Hauptleidtragenden, so Flach Gomez. Denjenigen, die mit "Care-Arbeit und Homeoffice" eine Mehrfachbelastung zu stemmen haben, werde so auch noch die Stimme in den Kommunen genommen.


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https://www.heise.de/-5992151

Links in diesem Artikel:
[1] http://www1.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP18/Drucksachen/Folgedrucksachen/0000010000/0000010240.pdf
[2] https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayGO-32
[3] https://www.presseportal.de/pm/53955/4834110
[4] https://www.die-linke-bayern.de/nc/aktuell/presse/detail/news/die-linke-bayern-reicht-klage-gegen-die-novelle-des-kommunalrechts-ein/