Libanon-Krieg: Die Medien erteilen Israel erneut Freifahrtschein zur Gewalt und Eskalation
Israels Angriff auf den Libanon ist kein Verteidigungsakt. Westliche Presse erzeugt diesen Eindruck. Über die Fabrikation eines humanen Kriegs. Eine Einordnung.
Nachdem am Wochenende bekannt wurde, dass der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, bei dem Großangriff auf den Hauptsitz der libanesischen Partei, Bewegung und Miliz in Beirut durch das israelische Militär getötet wurde, titelte die Süddeutsche Zeitung am Montag: "Stolz und Genugtuung".
In der Unterzeile des Artikels heißt es: "Israel freut sich über Nasrallahs Tod. Premier Netanjahu kann die Erfolge vor dem Jahrestag des Hamas-Massakers am 7. Oktober gut gebrauchen."
Die Pager-Operation
Der SZ-Beitrag ist wie ein Pressetext der israelischen Regierung verfasst, angefüllt mit Zitaten vom israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu. Man habe eine "Rechnung beglichen", "der Schwung" sei auf "Israels Seite", man habe "Großartiges erreicht", aber die nächsten Tage kämen noch "bedeutende Herausforderungen" auf die israelischen Bürger zu. Abgerundet wird der Beitrag mit den Worten von US-Präsident Joe Biden, der von einer "Maßnahme der Gerechtigkeit" sprach.
Seit die israelische Führung vor zwei Wochen mit der Eskalation ihrer Aggression im Libanon begonnen hat, haben die deutschen, wie die US-amerikanischen und europäischen Medien insgesamt, erneut damit begonnen, die israelische Gewalt zu rechtfertigen und die nun stattfindende Bodenoffensive vorzubereiten, indem sie sie wahlweise als Reaktion, Vergeltung, Anti-Terrormaßnahme, Selbstverteidigung und Kampf um die Existenz des jüdischen Staats dargestellt haben.
Und das begann schon mit der ersten Eskalationsstufe Israels. Am 17. und 18. September explodierten tausende Pager und Walkie-Talkies im Libanon. Die Explosionen ereigneten sich in überfüllten Supermärkten, auf belebten Straßen sowie in Wohnhäusern, Schulen und Krankenhäusern.
Bei den Anschlägen wurden rund 3.500 Menschen verletzt und 42 getötet, darunter auch Kinder. Wie sich schnell herausstellte, obwohl offiziell nicht bestätigt, handelte es sich um eine Operation des israelischen Geheimdienstes Mossad.
Gesichter "präzise" explodieren lassen
Autos und Wohnungen wurden in Brand gesteckt, und die Krankenhäuser waren mit Tausenden von Opfern überfüllt. Da die Sprengsätze vor ihrer Explosion wiederholt zu piepsen begannen, hielten viele Opfer die Sprengsätze nahe an ihr Gesicht, als sie detonierten, was zu schweren Verletzungen führte.
So zum Beispiel erging es der elfjährigen Fatima. Sie war in der Küche, als ein Pager, der auf einem Tisch lag, zu piepen begann. Sie hob das Gerät auf, um es ihrem Vater zu bringen. Auf dem Weg dorthin explodierte es.
Fatimas Gesicht wurde sofort zerfetzt. Der Raum war mit dem Blut der Schülerin getränkt – ein Beleg für die tödliche Kraft der improvisierten Bombe. Das elfjährige Mädchen erlag ihren Verletzungen.
Ein Großteil der westlichen Mainstreammedien hat sich über die "Präzision" und "Raffinesse" der Anschläge gewundert und sie als eine Operation dargestellt, die nur auf Mitglieder der Hisbollah abzielte. Das ist offenkundig falsch, da zahlreiche Zivilisten verletzt und getötet wurden.
Akte des Terrors
Die Explosionen ereigneten sich größtenteils in Wohngebieten, auf Gemüsemärkten, im Supermarkt und im Straßenverkehr, Umstehende wurden verstümmelt. Da die Hisbollah auch mehrere große zivile Einrichtungen betreibt, wurden medizinisches Personal und Beschäftigte im Gesundheitswesen durch die Detonationen von Pagern und Walkie-Talkies getötet, verletzt, während Körperteile weggesprengt wurden.
Es war letztlich ein Angriff, der unterschiedslos die libanesische Bevölkerung traf und ihr das Gefühl gab, dass jeder jederzeit und überall im Land zum Ziel werden kann.
Israel schürte mit den Sprengfallen und Explosionen von zivilen Nutzgeräten sehr bewusst Angst und Massenpanik im Libanon. Beim zweiten Angriff am Mittwoch fanden während der Beerdigung von vier am Vortag getöteten Menschen ebenfalls Detonationen statt. In ganz Libanon fürchten sich die Menschen seitdem davor, elektronische Geräte zu benutzen.
In anderen Zusammenhängen, bei einem anderen Akteur, würden wir von Terrorismus sprechen. Doch in diesem Fall heißt es in den westlichen Medien, dass Israel erfolgreich Schläge gegen die "Terrormiliz" im Libanon verübt hat.
"Liebesgrüße aus Tel Aviv"
Die Normalisierung des Schreckens funktioniert dabei auch über eine Art Fiktionalisierung. So verweist Arno Frank auf Spiegel Online in seinem Artikel "Liebesgrüße aus Tel Aviv" auf Filme wie James Bond oder "The Big Lebowski". Nahost-Korrespondent und Kriegsreporter Thomas Avenarius von der Süddeutschen Zeitung kommt ebenso ins ästhetische Schwärmen über die Operation:
Hätte ein zweitklassiger Drehbuchautor sich das Szenario ausgedacht, hätten seine Produzenten gelacht – und mehr Lebensnähe verlangt. Zu absurd, zu wild, zu unrealistisch. Ob Kino oder Netflix, das glaubt keiner. Tausende kleine Geräte, die vom Geheimdienst mit Sprengstoff gefüllt und auf ein Funksignal am Dienstag und Mittwoch alle gleichzeitig in den Hosentaschen der Feinde explodieren, den Kommandeuren und Schildträgern einer Terrorgruppe Finger und Hände abreißen, ihre Augen blenden, sie an Bauch und Unterleib schwer verletzen.
Fatimas Tod hatte für die vielen westlichen Journalisten und "Sicherheitsexperten", die sich über die Komplexität von Israels verdecktem "Komplott" zur Infiltrierung der Hisbollah in solch "kolossalem" Ausmaß "wunderten", keine oder nur geringe Bedeutung. Und wenn die unangenehme Realität einmal durchscheinen darf, wird sie gleich mit Hinweis auf die Brutalität des Gegners beerdigt.
Ja, bei dem Angriff sind auch Unschuldige zu Schaden gekommen. Unter anderem ist ein kleines Mädchen ums Leben gekommen. Aber sich über die Infamität der Pager-Attacke zu erregen, ist vertane Zeit. Die Spielregeln in diesem Krieg sind frei von jeder Menschlichkeit – ob bei der Hamas, der Hisbollah oder bei den israelischen Diensten. Und die große Mehrzahl der Opfer sind zweifellos Hisbollah-Männer.
Ohne Empirie
So Avenarius. Man beachte, dass die Süddeutsche Zeitung bei der Legitimierung tausendfacher Pager-Explosion und der blutigen Folgen nicht mal von Hisbollah-Kämpfern und Terroristen spricht, wie es in anderen Berichten Standard ist, um die Operation als defensiven Kriegsakt der Netanjahu-Regierung erscheinen zu lassen.
Die "Hisbollah"-Nennung scheint bereits zu reichen, um Libanesen unterschiedslos als legitime Ziele zu markieren, die Israel eliminieren darf. Einschließlich der bedauernswerten, aber nicht intendierten Kollateralschäden, die Kommentatoren hierzulande aber für gering und daher für akzeptabel einschätzen.
Das Erstaunliche ist, dass Journalisten im Westen bereit sind, flächendeckende Tötungs- und Verstümmlungsakte Israels durch die Manipulation und Fernsteuerung elektronischer Geräte von Menschen in einem anderen Land zu legitimieren, obwohl sie gar nicht wissen, wer von den tausenden Explosionen getroffen wurde. Wer ist denn genau verletzt und getötet worden?
Waren die elektronischen Geräte alle in den Händen von aktiv an ablaufenden Angriffsakten gegen Israel beteiligten Kämpfern – eine Voraussetzung, die das Völkerrecht fordert, das Gewalt in internationalen Beziehungen verbietet und nur bei imminenten Verteidigungsakten gestattet. Wie stellte die israelische Führung sicher, dass nur aktiv Kämpfende getroffen wurden? Was sind die unabhängigen Belege dafür?
Medien im moralischen Nirwana
Die Wahrheit ist: Niemand interessiert das im Westen (jedenfalls was die veröffentlichte Meinung angeht) – weil jeder die Antwort darauf kennt. Denn es waren keine Krieger in Kriegseinsätzen, die von den Explosionen getroffen wurden, es waren keine Verteidigungsakte nach internationalem Recht.
Die Netanjahu-Regierung hat die Operation nicht einmal öffentlich eingestanden – und die Medien tun ihr den Gefallen, nicht weiterzufragen oder auf die völkerrechtlichen, geschweige denn moralischen Prinzipien zu verweisen, um die Handlungen daran zu messen. Vielmehr zitieren sie eine Reihe von Politikwissenschaftlern, die der Meinung sind, dass die tausendfachen Sprengfallen-Pager-Explosionen okay seien.
Aber wenn die "Spielregeln in diesem Krieg" "frei von jeder Menschlichkeit" sind (und das Brutalitäten jeder Art erlaubt), dürfen dann Israels Gegner ebenfalls "in Verteidigung" tun und lassen, was sie wollen, genauer gesagt, das tun, was die israelische Führung im Gazastreifen und nun auch im Libanon veranstaltet?
Das Argument geht in beide Richtungen und kann nicht nur gelten, weil Israel gerade am Gewaltdrücker ist – und die Aggression akzeptabel gemacht werden muss, weil Israel der Partner der USA und des Westens ist.
Das Opfer-Monopol
Auch wird die Eskalation von den Medien nicht oder sehr unzureichend, und wenn, dann verzerrend, in die realen Abläufe und historischen Kontexte eingebettet. Die dominierende Erzählung ist, dass Israel Opfer ist und von Gegnern umzingelt ist, gegen die es sich wehrt. So titelte die Bildzeitung am 24. September in Reaktion auf eine Ansprache Netanjahus an die libanesische Bevölkerung: "Verteidigungs-Krieg: Israel im Ausnahmezustand".
Es stimmt, es hat seit dem 8. Oktober 2023 immer wieder Schlagabtausche zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon gegeben, die auf beiden Seiten der gemeinsamen Grenze viele Menschen vertrieben haben. Der Grund dafür ist der Gaza-Krieg Israels in Reaktion auf den Hamas-Überfall. Aus Solidarität für die Palästinenser begann die Hisbollah mit Angriffen.
Der Auslöser und tiefere Grund der erneuten Eskalation wird von den Medien jedoch keine Aufmerksamkeit bei der Einordnung der Geschehnisse geschenkt.
Zur Erinnerung: Der Krieg gegen den Gazastreifen hat in den letzten elf Monaten bisher über 41.000 Palästinenser getötet, davon sind rund 70 Prozent Kinder und Frauen, 10.000 Menschen werden noch vermisst, knapp 100.000 sind verletzt worden. Der größte Teil von Gazas Gebäuden, darunter Schulen, Krankenhäuser, UN-Einrichtungen und Kirchen, ist zerstört. Im Prinzip existiert Gaza nicht mehr.
Ach ja, der Gaza-Krieg
Die Situation im Gazastreifen ist katastrophal, inklusive Hungersnot und der Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten, weil Israel die humanitäre Versorgung unterbindet. Die Verheerungen, die, dokumentiert in Menschenrechtsberichten, weitergehen und sogar schlimmer werden (auch was das Westjordanland betrifft, wo israelische Soldaten und Siedler seit dem 7. Oktober 2023 nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums 719 Palästinenser getötet haben, darunter 160 Kinder, und Berichte Folterungen von Gefangenen, darunter auch Ärzte, schildern), auch wenn die westlichen Medien praktisch nicht mehr darüber berichten.
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag, auch UN-Weltgerichtshof genannt, hat in einem richterlichen Beschluss von "plausiblem Genozid" gesprochen, den Israel in Gaza begehe, und das Land aufgefordert, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu ergreifen, dem die Netanjahu-Regierung bis heute nicht nachgekommen ist.
Die Hisbollah, die 1982 gegründet wurde, um die israelische Invasion und Besetzung des Südlibanon zu bekämpfen, hat klargestellt, dass sie mit den Feindseligkeiten sofort aufhört, sobald Israel den von einer Mehrheit der Staaten und vielen UN- und anderen Organisationen geforderten Waffenstillstand in Gaza umsetzt. Ihr Chef Nasrallah, der von Israel nun getötet wurde, sagte, die Gruppe strebe keinen Krieg an, sei aber bereit, Israels Aggression zu begegnen.
Die israelische Regierung hat sich entschieden, den Gaza-Krieg fortzuführen und nicht auf die Forderung der Weltgemeinschaft einzugehen, die Gewalt zu stoppen. Im Gegenteil eskaliert die Netanjahu-Regierung weiter, jetzt auch im Libanon.
Eskalation in Zahlen
Israel, die Hisbollah und andere libanesische Gruppen haben zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 20. September 2024 mehr als 10.200 Angriffe ausgeführt. Israel hat dabei fast viermal so viele Angriffe auf den Libanon verübt wie die libanesische Gruppe gegenüber Israel (über 80 Prozent aller Angriffe), was insgesamt mehr als 8.300 Angriffe entlang der 120 Kilometer langen Grenze sind.
Das israelische Militär tötete dabei mindestens 752 Menschen im Libanon. Die Hisbollah und andere bewaffnete Gruppen waren für 1.901 Anschläge verantwortlich, bei denen mindestens 33 Israelis getötet wurden.
Seit dem Pager-Terror hat das israelische Militär die Angriffe massiv ausgeweitet. Vor einer Woche, am 23. September, erklärte die israelische Armee, dass man mehr als 650 Angriffe auf rund 1.600 Hisbollah-Ziele im Libanon durchgeführt hat. Sie reichen nun bis in den Norden hinauf.
Israel hat bei seinen Luftangriffen im Libanon allein zwischen dem 23. und 27. September mehr als 700 Menschen getötet, darunter 50 Kinder und 94 Frauen. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums wurden bei den Angriffen mindestens 1.835 Libanesen verletzt.
Nur gegen die Hisbollah?
Daraufhin feuerte die Hisbollah eine Raketensalve auf israelische Luftwaffenstützpunkte ab. Unterdessen drängen die Staats- und Regierungschefs der Welt und die Vereinten Nationen auf eine Deeskalation der Gewalt, die an einem einzigen Tag mehr libanesische Todesopfer gefordert hat als jemals zuvor seit dem libanesischen Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990.
Die Zivilbevölkerung ist gezwungen, auf der Suche nach Sicherheit aus dem Süd- und Ostlibanon zu fliehen. Rund eine halbe Million Menschen mussten ihre Heimat hinter sich lassen, 100.000 sind nach Syrien geflohen, während die israelischen Angriffe weitergingen und eine Invasion Israels mit Bodentruppen gestartet wurde.
Selbst die libanesische Hauptstadt wird von Israel erstmals wieder beschossen. In den westlichen Medien übernimmt man dabei die Sprache der israelischen Armee, Tel Aviv attackiere die "Hisbollah-Hochburg" im Süden Beiruts, Dahieh.
Mit der Erzählung von der "Hochburg" rechtfertigen Israel und mit ihr die westlichen Medien nun die Zerstörung von Wohnhäusern und ziviler Infrastruktur.
Die Dahieh-Doktrin
Die Gewalt wird dabei als präventive Maßnahme gegen zukünftige Angriffe von der "militärischen Hochburg" aus präsentiert. So erscheint die Hisbollah als eigentlich schuldig an den Toten, die die Israelis mit ihren Angriffen zu verantworten haben, wie Séamus Malekafzali auf The Intercept feststellt.
Dafür gebe es auch einen Namen: die Dahieh-Methode. In dem Beiruter Viertel geschahen in den 1980er-Jahren Massaker, begangen von libanesische-christlichen Paramilitärs, die von Israel unterstützt wurden und mit denen man kooperierte.
Eines dieser schrecklichen Massaker, das von Sabra und Schatila mit bis zu 3.500 getöteten Palästinensern in einem Flüchtlingscamp, wurde dabei international bekannt, weil Journalisten vor Ort waren und darüber berichteten. Auch während der israelischen Invasion 2006 war das Beiruter Quartier das Ziel massiver israelischer Bombardements, was die Hisbollah in dem Viertel populär machte.
Nach dem Krieg 2006 entwickelte das israelische Militär aus den Libanon-Erfahrungen die sogenannte Dahieh-Doktrin. In einem Interview aus dem Jahr 2008 stellte der israelische General Gadi Eisenkot, der an der Formulierung der Doktrin beteiligt war, klar, dass unverhältnismäßige Angriffe auf die zivile Infrastruktur einer Strategie folgten und nicht eine unbeabsichtigte Folge seien.
Was 2006 im Dahieh-Viertel von Beirut geschah, wird in jedem Dorf passieren, aus dem Israel beschossen wird. Wir werden unverhältnismäßige Gewalt auf [das Dorf] anwenden und dort großen Schaden und Zerstörung anrichten. Aus unserer Sicht handelt es sich nicht um zivile Dörfer, sondern um Militärbasen. Dies ist keine Empfehlung. Das ist ein Plan. Und er ist genehmigt worden.
Hisbollarisierung: Die Totalisierung legitimer Ziele
Heute wird diese Strategie wiederbelebt, zuerst exerziert gegen die Palästinenser im Gazastreifen, nun im Libanon. Die Logik ist: Alles, was mit der Hisbollah in Berührung kommt, wird automatisch zu einem militärischen Ziel, und zwar in der größtmöglichen Ausdehnung.
Da die Hisbollah eine politische Partei mit einem militärischen und einem zivilen Flügel ist, eine Organisation bildet, die mit den staatlichen Institutionen zusammenarbeitet und an Wahlen teilnimmt, wie jede andere politische Partei im Libanon auch, wird per definitionem jetzt alles zu einem legitimen Ziel.
Die westlichen Medien machen in der Berichterstattung diese absurde "Hisbollarisierung" von allem mit, (wie sie auch die "Hamasierung" in Gaza von allem Palästinensischem durchgewinkt haben) – wohl wissend, dass niemand diesen Maßstab auf israelische oder westliche Militärs anwenden würde, die auch vielfach in Berührung mit "Zivilem" stehen, was nach der Dahieh-Doktrin dann legitime Ziele von Israels Gegnern wären.
So weist Malekafzali darauf hin, dass die IDF (israelische Streitkräfte) etwa ihr Hauptquartier in der Innenstadt Tel Avivs haben, und fährt fort:
Die IDF ihrerseits reagierten auf einen jemenitischen Drohnenangriff in Tel Aviv mit einer Karte des Gebiets, die die Nähe zu wichtiger ziviler Infrastruktur abbildet, und beklagten die Rücksichtslosigkeit des Angriffs – anscheinend ohne jegliche Ironie darin zu entdecken.
Israels Blockade, mit freundlicher Unterstützung der USA
Neben den Doppelstandards und der absurden Rechtfertigungsargumente gemäß der israelischen Hasbara (PR, Propaganda) vermeiden es Leitmedien in Deutschland oder den USA zudem penibel, den größeren Kontext des Konflikts zu schildern, dessen Lösung Israel mit Unterstützung der Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten blockiert: ein Friedensabkommen mit einem Palästinenserstaat in den international anerkannten Grenzen von 1967, auf 22 Prozent des historischen Palästina.
Israel allein, an der Seite der USA, hat den Schlüssel in der Hand, diesen diplomatischen Weg zur Gewaltminimierung und einem möglichen Ende von Krieg und Konflikt zu gehen, indem man den Palästinensern ihr verbürgtes Recht zur nationalen Selbstbestimmung nicht länger verwehrt. Die israelische Regierung muss dafür lediglich internationalem Recht und der internationalen Staatengemeinschaft folgen.
Aber mit UN-Vetos der USA und Verhandlungsboykotten setzt Tel Aviv weiter auf Besatzung, Expansion und regionale Dominanz statt auf Sicherheit für die israelischen Bürger:innen sowie Frieden in der Region.
Während die Vereinigten Staaten Israel bis an die Zähne weiter bewaffnen, haben diverse Regierungen in Washington seit 1967 sechsundvierzig Resolutionen des UN-Sicherheitsrats mit ihren Vetos blockiert, die entweder Israel zur Einhaltung des Völkerrechts aufforderten, ein Ende der Besatzung bzw. die palästinensische Eigenstaatlichkeit verlangen oder Israel für Kriegsverbrechen und illegalen Siedlungsbau zur Rechenschaft zogen.
Heute erklärt Israel ganz offen, dass es einen Palästinenserstaat nicht mehr zulassen wird.
Über Extremisten und "humanen Krieg"
Doch trotz der gut dokumentierten Verweigerungspolitik Israels seit Jahrzehnten verbreiteten Medien, auch wenn sie Israels Strategie gelegentlich kritisieren, weiter den Mythos, dass die "Extremisten" bei den Palästinensern den "Friedensprozess immer wieder bombardiert" haben, was nachweislich falsch ist. Die Hamas zum Beispiel hat immer wieder erklärt, dass man eine Zweistaatenlösung anvisiert. Tatsächlich ist es Israel, das diese Lösung blockiert.
Statt sich mit der politischen Realität auseinanderzusetzen, präferieren es Leitartikler:innen in Deutschland und anderen westlichen Ländern, sich über die Spirale der Gewalt zu beschweren, auf das Selbstverteidigungsrecht Israels zu pochen (wobei ein derartiges Recht auf Gewalt Palästinensern und sonstigen Empfängern von "Liebesgrüßen aus Tel Aviv" per definitionem nicht zugesprochen wird) und über einen "humanen Krieg" zu philosophieren, wie Spiegel-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit:
Die Funkattacken auf Mitglieder der Terrororganisation Hisbollah im Libanon kommen hingegen einem Ideal vom Kriege nahe, genauso der Luftschlag gegen Kommandeure in Beirut: Wenn es schon sein muss, und manchmal muss es sein, dann sollten Krieger gegen Krieger kämpfen, Achill gegen Hektor vor Troja, das preußische Heer gegen das habsburgische auf freiem Feld. Allerdings wurden in diesen Kriegerkriegen ebenfalls Zivilisten in Mitleidenschaft gezogen, Landstriche verheert. Auch im Libanon trafen die Explosionen Unbeteiligte, aber vergleichsweise wenige. Ist das deshalb humane Kriegsführung? Die Kombination dieser beiden Begriffe erscheint widersinnig, ist jedoch sinnvoll. Um klarzumachen, dass Krieg nicht gleich Krieg ist. Wer die Zahl der Opfer kleinhält und nur Krieger ins Visier nimmt, handelt human in der großen Inhumanität Krieg.
Es traf also auch "Unbeteiligte, aber vergleichsweise wenige": Daran erkennt man, dass Kurbjuweit der israelischen Dahieh-Doktrin treu folgt, wie Heerscharen von anderen westlichen Kommentatoren, abseits der Empirie, abseits des internationalen Rechts und elementarer Wertmaßstäbe.
Denn: Diese Doktrin würde selbstverständlich nicht gelten, sollten Netanjahu und Co. einmal von ihren Gegnern ins Visier genommen werden, selbst wenn dabei gar keine "Unbeteiligten" getroffen würden.
So ist das mit den humanen Kriegen.