Libyen-Konferenz: Mit deutscher Fleißarbeit zur Ordnung im Chaos?
"Es kann in Libyen keine militärische Lösung geben", sagt Merkel. Kritiker halten der Regierung vor, dass sie in einer Parallelwelt agiert
"Mehr Verantwortung für Deutschland", das hat man in den letzten Wochen und Monaten oft gehört. Die Libyen-Konferenz gestern in Berlin sollte dokumentieren, dass die Regierung den Anspruch auch einlösen will. Im Übereifer hatte die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer zuvor noch erklärt, dass auch die Bundeswehr bereitstehe. Die Folge ihrer Aussage wie die des spanischen EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, der für eine "robuste Grundierung" einer Libyen-Lösung eintrat, waren dann Schlagzeilen am Wochenende, in denen über einen Militäreinsatz in Libyen spekuliert wurde.
Tatsächlich übersetzt sich die gewachsene Verantwortung erstmal in eine deutsche Grundtugend: Fleiß. Es gab wochenlange Vorbereitungen und man gab sich Mühe mit den Einladungen: alle einflussreichen Player waren versammelt. Nur die politischen Spitzen in Griechenland und Tunesien waren empört, weil sie nicht auf der Gästeliste standen oder zu spät eingeladen wurden. Ausgehandelt wurde ein 55-Punkte-Papier, ebenfalls Ausweis der großen Mühe.
Das hochgesteckte Ziel war es, Grundlagen für eine neue Ordnung im Chaosland Libyen zu schaffen. Auch Ordnung zählt zu den deutschen Besonderheiten; das deutsche Wort tauchte in einigen Twitter-Beiträgen zur Konferenz auf - das kann man als Indiz dafür sehen, dass von der deutschen Regierung doch einiges erwartet wurde.
Obwohl Skeptiker die Konferenz als "Parallelwelt", die einer ganz anderen libyschen Wirklichkeit gegenübersteht, abtaten. Für Deutschlands Glaubwürdigkeit spricht dagegen, dass der damalige Außenminister Guido Westerwelle 2011 klug auf Distanz setzte und bei dem von der UN unterstützten Waffengang gegen Gaddafi nicht mitmachen wollte.
Nicht ganz ein Jahrzehnt später schwingt bei dem neuen Engagement der Deutschen allerdings auch der Eindruck mit, dass sich die deutsche Regierung nun in einer Art "Wiedergutmachung" sieht: Das damalige Fernbleiben soll nun mit Fleiß und Engagement kompensiert werden, damit auch niemand auf den Gedanken komme, die Deutschen wollen sich nur heraushalten - ein Vorwurf gegenüber den Resten einer anti-militaristischen Tendenz in der deutschen WK-II-Nachkriegszeit, den US-Präsident Trump gerne beackert.
"Alle einig, dass wir das Waffenembargo respektieren wollen"
Als Tages-Ergebnis der Konferenz verkündete Merkel: "Wir können feststellen, dass alle einig sind, dass wir das Waffenembargo respektieren wollen." Dazu gab es noch einen Elementarsatz aus der "Berliner Erklärung", den Merkel noch einmal herausstellte:
Es kann in Libyen keine militärische Lösung geben.
Schlussfolgerungen der Berliner Libyen-Konferenz
Ein weiterer Satz Merkels versucht über die Schwäche des Ergebnisses hinwegzugehen: "Wir haben einen sehr verbindlichen Prozess vereinbart".
Einwohner von Tripolis, die gestern im Nachthimmel Granaten und Drohnen gesehen haben, sind da wahrscheinlich noch skeptisch. Und auch bei deutschen Regierungsmitgliedern ist das Gefühl, dass die Konferenz verbindliche Grundlagen für einen politischen Prozess geschaffen hat, nicht wirklich ausgeprägt.
Zu sehen war das an der Verärgerung des Außenministers Maas bei "Anne Will" gegenüber Kritikern, die genau diesen heiklen Punkt ansprachen, die Kluft zwischen den Absichtsäußerungen und dem, was in Libyen passiert. "Lassen Sie uns das doch mal versuchen", sagte Maas.
Glas "halbvoll" oder "halb leer"?
Ist das Glas, das die Konferenz hingestellt hat, "halbvoll" oder "halb leer"? Für manche Kommentatoren ist es schon ein beachtlicher Schritt, dass überhaupt ein Glas hingestellt wurde. Die Regierung spricht von einem Auftakt, nun komme es auf die Folgeschritte an. "Wo sind die Zähne, die dafür sorgen, dass die Vereinbarungen auch eingehalten werden", fragte der Journalist vom Tagesspiegel bei Anne Will.
Immerhin weiß man, wie der nächste Schritt aussehen soll: Aus der Waffenruhe, die beim vorgängigen Treffen zu Libyen in Moskau vereinbart wurde, soll ein verbindlicher Waffenstillstand werden. Den könne man aber doch erst überwachen, wenn er denn tatsächlich vereinbart werde, wandte der verärgerte Maas ein. Eine internationale Truppe, die diese Aufgabe übernehmen soll - die Grundlage der eingangs genannten Spekulationen über einen "Militäreinsatz in Libyen" -, wäre, wenn überhaupt, der übernächste Schritt, sagte der Außenminister.
Maas machte darauf aufmerksam, dass die afrikanischen Länder auf eine weitere militärische Präsenz europäischer Staaten nicht gerade erpicht sind. Zur Konferenz eingeladen waren auch Vertreter der Afrikanischen Union. Wie Maas durchblicken ließ, signalisierten sie an diesem Punkt "kein Willkommen".
Doch wurde über prinzipielle Erklärungen ("alle sind mit der Einhaltung des Waffenembargos einverstanden") hinaus auch eine konkrete Vereinbarung der beiden Widersacher Sarradsch (auch: Sarraj oder Serradsch/Serraj) und Haftar (auch: Hiftar, Hefter oder Hifter - die arabische Konsonantenschrift erlaubt Freiheiten bei der Umschrift) erzielt, was als Erfolg herausgestellt wird:
Wir begrüßen, dass Premierminister Sarraj und Marschall Haftar ihre Vertreter für das militärische 5+5-Kommitee benannt haben, das UNSMIL zur Unterstützung der Operationalisierung in dem Dokument vorgeschlagen hat, das den Annex dieser Schlussfolgerungen bildet. Um substantielle und ernsthafte Gespräche im 5+5-Komitee zu erlauben, erklären alle Teilnehmer der Konferenz, dass sie von jeglicher weiterer militärischer Verstärkung und Operation absehen werden, solange die Waffenruhe respektiert wird.
Schlussfolgerungen der Berliner Libyen-Konferenz
Das 5+5-Kommitee, verschiedentlich auch Militärrat genannt oder Militärkommission, hat zur Aufgabe, die Mechanismen des Waffenstillstands vor Ort in Libyen festzulegen - unter Mitwirkung des UN-Sondergesandten für Libyen Ghassan Salamé.
Ist das alles?
Grundlegende Positionen der Mitspieler im libyschen Chaos, das, soweit herrscht Gewissheit, ganz sicher nicht im Interesse der Bevölkerung liegt und mit brutalen Menschenrechtsverletzungen einhergeht, haben sich nicht verändert.
Die Chancen für einen wirksamen Fortschritt hängen davon ab, wie viel Druck auf die beiden Anführer der gegnerischen Lager ausgeübt werden kann. Sarraj und Haftar sprechen nicht mehr miteinander, in Berlin wurden einzeln mit ihnen verhandelt. In Italien, als man ebenfalls die beiden zu einer Vereinbarung bringen wollte, kam es Anfang Januar zu einem Eklat, da Sarraj gekränkt seinen angekündigten Besuch absagte, nachdem er erfahren hatte, dass vor ihm schon Haftar in Rom war.
In Moskau weigerte sich Haftar vor kurzem, eine Waffenstillstandsvereinbarung zu unterzeichnen. Das wurde von Beobachtern als Zeichen dafür gelesen, dass der Druck auf den "Feldmarschall" Grenzen hat. Kann die Berliner Konferenz und die Folgemaßnahmen, auf deren Bedeutung man besonders hinweist ("Die Konferenz war ja nur ein Auftakt"), erreichen, was die russische Vermittlungspolitik nicht geschafft hat? US-Außenminister Pompeo, der ebenfalls anwesend war, ließ nichts Bedeutendes verlauten.
Würden Russland und die USA gemeinsam Druck auf Haftar ausüben, so hätte dies Auswirkungen auf die Unterstützung des Generals durch die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Ägypten. Bislang gibt es keine deutlichen Zeichen für eine nachlassende Unterstützung dieser Länder, von den Absichtserklärungen zur Konferenz abgesehen.
Die Ziele Haftars haben sich auch nicht geändert. Er will, dass die gegnerischen Milizen aufgelöst werden. Er hat die Waffenstillstandsvereinbarung in Moskau nicht unterschrieben, weil diese Forderung nicht aufgenommen worden war. Informationen von Experten zufolge forderte Haftar, "dass alle bewaffneten Gruppierungen im Land, die nicht in einer militärischen Ausbildungseinrichtung geschult wurden, aufgelöst werden".
Auf seine eigene Milizallianz würde dieses Kriterium nicht zutreffen, schon der Name "Libysche National Armee" verweist auf Haftars Anspruch, dass er Oberbefehlshaber "ordentlicher Streitkräfte" ist. Anzunehmen ist, dass Haftar auch die Berliner Erklärung, wonach die Milizen in Libyen am Ende des Prozesses aufgelöst und entwaffnet sein sollten, auf die gegnerischen Milizen bezieht und dass seine Streitkräfte künftig offiziell in die Armee übernommen werden.
Sein Vorteil gegenüber Sarradsch ist, dass er eine Menge Unterstützer hat - auch unter europäischen Ländern, Italien scheint umzuschwenken, Frankreich unterstützt ihn ganz offen. Auch die Unterstützung in der Bevölkerung spielt eine Rolle. Zudem ist er der starke Mann des Parlaments im Osten Libyens, das im Gegensatz zum Parlament in der Hauptstadt international anerkannt ist.
Die Hoffnungen von Sarradsch
Für seinen Gegenspieler Sarradsch liegt die Hoffnung militärisch bei der Türkei, finanziell bei Katar und politisch bei der Mitwirkung der UN, die ihn erst zum Regierungschef gemacht hat (ob der Berliner Fahrplan tatsächlich zu Neuwahlen führt, wie in der 55-Punkte-Erklärung anvisiert wird, steht noch völlig auf dünnen Boden).
Da die EU und Deutschland sehr darauf aufpassen, dass sie die Türkei nicht verärgern (siehe Die EU bestraft die Türkei? Ganz im Gegenteil: "Die Türkei hat die EU in Syrien und Libyen offen herausgefordert. Doch nun schlägt Brüssel zurück und kürzt Finanzhilfen? Schön wär’s"), kann Sarradsch weiter hoffen, zumal er auch von Russland wenn auch eingeschränkt - "im großen Rahmen" - unterstützt wird. Aus der Bevölkerung kommen wenig Zeichen für eine Unterstützung.
Machtdemonstrationen
Kurz vor der Konferenz zeigten Bilder, dass syrische Milizen in türkischen Flugzeugen nach Libyen gebracht wurden, und es gab die Nachricht, dass Ölhäfen geschlossen wurden und die Produktion in großen Ölfeldern gestoppt wurde.
Aus letzterem entwickelte sich ein Streit zwischen libyschen Beobachtern darüber, inwieweit dies allein auf Haftars Befehlskraft zurückzuführen ist oder auch auf Unzufriedenheiten in Fezzan, der Region im Süden Libyens, deren Stämme nicht unbedingt Anhänger und Befehlsempfänger Haftars sein müssen, aber auf jeden Fall Gegner einer Eimischung von außen.
"Angela Merkel stürmt auf ein neues Spielfeld"
"Wir verpflichten uns, uns nicht in den bewaffneten Konflikt in Libyen und in die inneren Angelegenheiten Libyens einzumischen, und wir rufen alle internationalen Akteure auf, dasselbe zu tun", heißt es in Punkt 9 der Berliner Erklärung.
Angesichts der Interessen der Ölkonzerne, Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Spaniens und Russlands, angesichts der ausländischen Truppen (einschließlich Frankreichs) und Waffen, die schon in Libyen sind, und angesichts der Überwachung, die im Falle eines Waffenstillstands möglicherweise nötig wird, zeigt sich wie abgehoben die Forderung ist.
Aber anscheinend hat sie der Berliner Regierung zu politischem Profil verholfen. Gabor Steingart klingt begeistert: "Angela Merkel legt im Spätherbst ihrer Kanzlerschaft ihren lakonischen Pragmatismus ab und stürmt mit der Libyen-Initiative auf ein neues Spielfeld der Weltpolitik. Man wird sehen, ob ihr Mut sie auch in ein mögliches robustes UN-Mandat mit deutscher Beteiligung führt."