Lieferkettengesetz und Lieferkettenmonitoring: Die verbesserte Globalisierung
Mit dem deutschen Lieferkettengesetz rückt die globale Vernetzung wieder in den Mittelpunkt, nachdem sich gezeigt hat, dass die Unterbrechung von Warenströmen nicht funktioniert. Wie gut ist es?
Auch wenn derzeit immer mal wieder versucht wird, das Ende der Globalisierung einzuläuten und eine kleinräumigere Wirtschaft zu fordern, wird die globale Arbeitsteilung kaum auszuschalten sein, weil sich die bestehende Vielfalt an Produkten und Dienstleistungen im rein nationalen Umfeld der Einzelstaaten nicht aufrechterhalten lässt.
Wer den Vorteil der Überschaubarkeit der Lieferketten mit der globalen Arbeitsteilung verknüpfen will, muss die Lieferketten so transparent wie möglich gestalten. Dass diese Transparenz durchaus im Widerspruch zum gerne als Betriebsgeheimnis behandelten Know-how bei der Warenbeschaffung steht, ist nicht von der Hand zu weisen.
Die permanente Offenlegung aller Handelsbeziehungen sollte daher auch nicht das vorrangige Ziel sein, sondern die Sicherheit, dass die Arbeitsbedingungen über die gesamte Lieferkette von allen daran Beteiligten kontinuierlich beobachtet und dokumentiert werden und bei jeder Abweichung von den Vorgaben unmittelbar reagiert wird.
Zu teuer, gegen Wettbewerbsfähigkeit?
Wenn hierzulande in der politischen Diskussion um das deutsche Lieferkettengesetz immer wieder angemahnt wird, dass ein kontinuierliches Monitoring der Lieferketten zu teuer sei und nur die Wettbewerbsfähigkeit der Anbieter behindere, gibt es doch bereits Beispiele auch bei größeren Unternehmen, dass ein solches Lieferkettenmonitoring nicht hemmt, sondern es geradezu einen Vorteil darstellt, wenn ein Anbieter immer über seine gesamten Lieferketten informiert bleibt.
Wenn ein Unternehmen beispielsweise frühzeitig darüber informiert wird, dass Stauseen im Einzugsbereich der Flüsse, die an seinen Werksanlagen vorbeiziehen, die Wassermengen kaum mehr halten können, kann es wichtig sein, rechtzeitig die richtigen Maßnahmen einzuleiten.
Welche Bedeutung dies haben kann, zeigte sich vor knapp zehn Jahren beim Hochwasser in Thailand, das zahlreiche Fertigungsstandorte teilweise dauerhaft zur Stilllegung zwang. So wurde ein Chip-Packaging Werk des Sony-Konzerns so stark beschädigt, dass die Fertigung dort nicht mehr aufgenommen werden konnte. Auch der japanische Hersteller Nikon war damals stark betroffen.
So verwundert es wenig, dass der Kamera- und Objektivhersteller Nikon, der neben seinen Hauptwerken in der alten thailändischen Hauptstadt Ayudhaya auch eine Baugruppenfertigung in Savannakhet/ Laos unterhält, ein aktives Lieferkettenmonitoring betreibt und dieses inzwischen auch auf die Einhaltung nicht nur der gesetzlichen Bestimmungen, sondern auch auf die Arbeitsbedingungen bei seinen Zulieferern ausgeweitet hat.
Dabei orientiert er sich an der geplanten deutschen Gesetzgebung und Vorgaben der Nachhaltigkeit, die über die gesamte Lieferkette gelten sollen.
Virtualisierung der Lieferketten
Mit Hilfe digitaler Werkzeuge lässt sich das Lieferkettenmonitoring heute schon für alle Marktteilnehmer organisieren und eine kontinuierliche Dokumentation erstellen, die im Bedarfsfall auch veröffentlicht werden kann, ohne betriebsinterne Daten preiszugeben, die für die Dokumentation nicht benötigt werden.
Dieses Lieferkettenmonitoring ist heute schon deutlich weiter entwickelt als die Virtualisierung der privaten Haushalte, wo sich ein digitaler Zwilling bewegen wird, der bestehende Hindernisse rechtzeitig beiseite räumt.
Welche Risiken entstehen, wenn Lieferketten urplötzlich reißen, konnte man mit Beginn der Coronapandemie in China sehen, als zwar noch Ware in den Containerfrachtern auf dem Weg war, aber der Nachschub zu stocken begann und nicht abschätzbar war, wann diese Krise überwunden sein würde.
Auch wenn viele der damals unterbrochenen Ketten verblüffend schnell wieder intakt waren, gibt es noch heute Folgeprobleme bei der Belieferung von Automobilherstellern mit den benötigten Chips, weil sich die Vorlieferanten nicht auf die Prognosen ihrer Kunde verlassen wollten, sondern andere Informationsquellen gesucht haben, die letztlich in die Irre führten.
Rückblickend hätte ein durchgängiges Lieferkettenmonitoring und ein stabiles Risikomanagement durch rechtzeitige Information so manche Überraschung ersparen können.
Wenn sich die für das Lieferkettenmanagement benötige Datenanalyse automatisieren lässt, hilft sie den Unternehmen dabei, auch im Falle chronisch unbeständiger Lieferketten rechtzeitig zu reagieren und die Auswirkungen von Unterbrechungen zu minimieren.
"50 bis 70 Prozent der Verbraucher sind bereit, mehr für nachhaltige Produkte zu bezahlen"
Dass die vom kommenden deutschen Lieferkettengesetz geforderte Transparenz hinsichtlich der Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards bei den Zulieferern für die Unternehmen letztlich dabei hilft, Kosten einzusparen und damit hilft Wettbewerbsvorteile zu erzielen, zeigt das Beispiel der Tools, die Coupa Software zum Lieferkettenmonitoring schon heute anbietet.
Telepolis hatte die Gelegenheit Matt Tichon, als Vizepräsident der Industriestrategie bei Coupa tätig, zu den schon heute bestehenden Möglichkeiten des Lieferkettenmonitorings zu befragen.
Wie können Unternehmen eine auditierbare Dokumentation ihrer Lieferketten technisch umsetzen?
Matt Tichon: Business Spend Management-Plattformen wie Coupa bieten Unternehmen die Möglichkeit, einen digitalen Zwilling der Lieferkette auf Basis ihres globalen Fußabdrucks zu erstellen. Die jüngste Gesetzgebung in Deutschland wird Unternehmen dazu verpflichten, Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten zu dokumentieren.
Sobald das Gesetz in Kraft tritt, kann die Regierung Lieferanten und Dienstleister dazu verpflichten, Compliance-Zertifikate zur Verfügung zu stellen. Unternehmen, die auf eine Business Spend Management-Software setzen, können Behörden dann mit geringem Aufwand einen Compliance-Nachweis anfertigen.
Wie lässt sich eine Diversifizierung der Lieferketten erreichen, um Abhängigkeiten von einem Lieferanten zu verringern?
Matt Tichon: Das wichtigste Argument für Entscheidungen von Beschaffungs-Verantwortlichen war in den letzten Jahren meist die Kostenminimierung. Dadurch konzentrierten sich die Ausgaben auf relativ wenige oder in vielen Fällen auf einen einzigen Lieferanten. Aktuelle Ereignisse wie globale Handelskriege, der Brexit, strenge Supply-Chain-Gesetze und die Pandemie führen dazu, dass Führungskräfte ihren auf Kostenminimierung ausgerichteten Ansatz überdenken.
Entscheider suchen jetzt nach Möglichkeiten, ihre Agilität und Widerstandsfähigkeit im Hinblick auf weitere unerwartete Entwicklungen zu verbessern. Der erste Schritt zur Erreichung dieses Ziels ist es, in einen Anbieter zu investieren, der auf Community Intelligence setzt.
Unternehmen können dadurch Daten mit einer Gemeinschaft von anderen Unternehmen austauschen. Diese Funktion liefert ihnen datengestützte Empfehlungen für alternative Lieferanten, die Ihren individuellen Auswahlkriterien entsprechen - einschließlich Zertifizierungen, um z.B. die Lieferantendiversität zu fördern.
Welche Wettbewerbsvorteile können Unternehmen realisieren, die früh handeln und weiter gehen, als deutsche Gesetze fordern?
Matt Tichon: Sobald das neue Gesetz verabschiedet ist, müssen Unternehmen jeden Lieferanten oder Dienstleister, der nicht mit dem neuen Gesetz konform ist, bewerten und gegebenenfalls ersetzen. Unternehmen können sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, wenn sie sich jetzt darauf vorbereiten. Denn andere Marktteilnehmer werden ebenfalls versuchen, ihre Lieferantenauswahl anzupassen.
Die Nachfrage nach gesetzeskonformen Lieferanten wird dadurch voraussichtlich größer sein als das Angebot. Unternehmen, die jetzt zögern, haben dadurch Nachteile gegenüber ihren Wettbewerbern. Das wird sich auch auf ihre Marke und ihren Gewinn niederschlagen, denn aktuelle Verbraucherstudien zeigen, dass 50 bis 75 Prozent der Verbraucher bereit sind, mehr für nachhaltige Produkte zu bezahlen.
Was ist mit dem Managen kleiner Einzelprodukt-Lieferanten, die noch nicht digital vernetzt sind? Wie ist es möglich, hier Daten zu verfolgen? Muss das jedes Unternehmen individuell machen?
Matt Tichon: Auch kleinere Lieferanten haben die Möglichkeit, für Compliance- und Audit-Zwecke digital sichtbar zu sein. Plattformen wie Coupa ermöglichen es auch Lieferanten, die nicht digital vernetzt sind, ihre Daten über eine einfache webbasierte Schnittstelle hochzuladen.
Sobald zum Beispiel ein kleiner Lieferant seine Daten auf Coupa hochlädt, kann jedes Unternehmen, das die Plattform nutzt, die Informationen dieses Lieferanten in Echtzeit einsehen, sodass der Lieferant seine Daten nicht für jeden Kunden individuell hochladen muss.
Kurswechsel
Während eine nachgelagerte Ausgestaltung des Lieferkettenmonitorings in der Übergangsphase bis zu seiner grundsätzlichen Implementierung bei allen Produkten verständlicherweise mit Kosten verbunden sein wird, die bei der ursprünglichen Produktentwicklung nicht vorgesehen waren, berücksichtigt man das Lieferkettenmonitoring sinnvollerweise schon bei der Produktentwicklung und bei der nachfolgenden Auswahl der Rohstoff-/Komponenten-Lieferanten.
Man kann dabei nicht nur die Einhaltung der Menschenrechte bei seinen Zulieferern unter Kontrolle halten, sondern auch die geltenden und sich dynamisch verändernden gesetzlichen Rahmenbedingungen, die eingehalten werden müssen, wenn man ein Produkt mit der vielfach vorgeschriebenen CE-Kennzeichnung versehen muss, um es in der EU auf den Markt bringen zu dürfen.
Da dies für viele Unternehmen eine steigende Herausforderung darstellt, gibt es inzwischen auch dafür digitale Tools, welche helfen, das Sourcing zu erleichtern und die dabei vorhandenen Risikenbesser abzuschätzen.
Wie ein deutscher Importeursverband auf das Lieferkettengesetz reagiert
Auch wenn nicht alle Industrie- und Handelsverbände vom deutschen Lieferkettengesetz begeistert waren, gibt es hier durchaus Vertreter, die das Thema Lieferkettentransparenz positiv aufnahmen. Zu diesen zählt der Verband der Fertigwarenimporteure/German Importers (vfi), der seine Mitglieder schon frühzeitig über die Chancen und Möglichkeiten einer konsequenten Lieferkettentransparenz unterrichtete.
Der Verband motiviert in der Folge seine Mitglieder nicht nur Anspruchsteller in Bezug auf die künftig gesetzlich geforderte Lieferkettentransparenz zu sein, sondern selbst aktiv zu werden für mehr Nachhaltigkeit in den jeweiligen Transportketten und an den eigenen Standorten.
Bei der vom vfi propagierten Vorgehensweise werden neben anderen Parametern die Informationen für die Brandschutzausstattung in den Fabriken abgefragt. Zusätzlich werden auch ressourcen- und umweltrelevante Daten erhoben, um die sogenannten Fußabdrücke für Energie und Wasser oder den Carbon Footprint zu berechnen und auszuweisen zu können.
Das Chinesische Social Scoring System und seine möglichen Konsequenzen
Nachdem chinesische Unternehmen in der Vergangenheit in Deutschland überwiegend als Käufer deutscher Unternehmen wahrgenommen wurden, treten sie inzwischen, beflügelt durch die Rahmenbedingungen der Corona-Pandemie, hierzulande verstärkt mit eigenen Marken im Markt auf und greifen zunehmend die Nachfrage hiesiger Kundenpotentiale ab.
Dass diese Internationalisierung chinesischer Anbieter eine Internationalisierung des chinesischen Sozialkreditsystems nach sich ziehen dürfte, ist kaum von der Hand zu weisen. Europäische Unternehmen, die sich bei der Dokumentation ihrer Lieferketten und der geforderten Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen auf der Höhe der Entwicklung befinden, werden hier klar im Vorteil sein.
Gerade im Zusammenhang mit China dürfte eine deutsche Vorreiterschaft und Vorbildfunktion beim Lieferkettenmonitoring, wie sie in der Vergangenheit bei den Themen Energieeffizienz und Erneuerbare Energien bestand, für beide Seiten hilfreich sein.