Lindners "Merkposten": Kindergrundsicherung geteilt durch sechs
Haushaltsstreit der Ampel: Finanzministerium veranschlagt für Kindergrundsicherung zwei Milliarden statt zwölf Milliarden. Welche Prioritäten das ifo Institut vorschlägt.
Als "Merkposten" bezeichnet Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) den Betrag, den sein Ressort bisher für die geplante Kindergrundsicherung im Bundeshaushalt veranschlagt hat – ein sattes Sechstel dessen, was das Bundesfamilienministerium für nötig hält: zwei Milliarden Euro statt zwölf Milliarden Euro. Es gebe aber "noch kein Konzept der Bundesregierung und damit keine präzise Kostenschätzung", sagte Lindner dem Handelsblatt.
Hintergrund ist, dass Familien durch die Vereinfachung Rechtsansprüche leichter geltend machen könnten als bisher: Mit der Grundsicherung sollen Leistungen wie Kindergeld, das Kinder-Bürgergeld, Kinderzuschlag und solche aus dem "Bildungs- und Teilhabepaket" zusammengeführt werden. Bisher verhindern zum Teil bürokratische Hürden, dass einkommensarme Familien tatsächlich alle Leistungen beantragen, die ihnen zustehen.
Das Familienministerium unter Lisa Paus (Grüne) verwies am Sonntagabend auf noch andauernde Gespräche zu diesem Thema. Sie würden unter der Leitung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fortgesetzt, betonte eine Sprecherin des Ministeriums laut einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur vom Montagmorgen. "Die Kindergrundsicherung ist ein zentrales sozialpolitisches Projekt der Ampel. Wir sind zuversichtlich, dass wir zu einem guten Gesetz und einer Leistungsverbesserung für armutsgefährdete Kinder kommen werden."
Unterdessen hat Lindner die Ampel-Regierung auf einen langen Sparkurs eingeschworen. Der Streit um die Aufstellung des Bundeshaushalts 2024, der am Mittwoch beschlossen werden soll, dauert jedoch an. Die Grünen-Spitze würde einen weiteren Schub der Entfremdung von ihrer Basis und vor allem der Nachwuchsorganisation Grüne Jugend riskieren, wenn sie die von Lindner angedachte Kröte einfach schlucken würde.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) machte am Sonntag im Online-Format "Frag selbst" des ARD-Hauptstadtstudios deutlich, dass er von einer Einigung in der Ampel-Koalition bis zum Ende der parlamentarischen Sommerpause ausgeht. Lindner sagte dem Handelsblatt: "Im Sommer werden wir uns auf einen Gesetzentwurf verständigen."
Allerdings betonte Lindner, es gebe neben der Kindergrundsicherung noch andere verabredete Vorhaben, die finanziert werden müssten: "Es gibt auch beispielsweise die schon erwähnte Investitionsprämie. Es wäre politisch nicht vertretbar, alle finanziellen Möglichkeiten nur für ein Vorhaben einzusetzen. Über die Proportionen der einzelnen Projekte muss noch politische Einigkeit erzielt werden."
Rüstung statt Soziales – das sagt das ifo Institut
In diese Debatte klinkte sich an diesem Montagmorgen auch gleich das ifo Institut für Wirtschaftsforschung ein – mit dem originellen Vorschlag, mehr Geld für militärische Zwecke bereitzustellen. Rund 78 Prozent der Ökonominnen und Ökonomen sprachen sich demnach beim ifo-Ökonomenpanel mit 177 Teilnehmenden dafür aus, zwei Prozent oder mehr der deutschen Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben.
"Wenn Deutschland die Verpflichtungen gegenüber den Nato-Partnern dauerhaft erfüllen soll, muss die Bundesregierung im Kernhaushalt jetzt schon Freiräume schaffen", sagt ifo-Militärexperte Marcel Schlepper.
Bei anderen Ministerien spricht sich die ifo-Bubble dagegen für Kürzungen aus – etwa beim Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium (40 Prozent) sowie beim Arbeits- und Sozialministerium (38 Prozent). "Im Haushalt sollen Ausgaben für öffentliche Güter bevorzugt werden, von denen alle Bürger etwas haben", argumentiert ifo-Forscher Niklas Potrafke. Abgesehen vom Wehretat sind das laut ifo-Institut vor allem die Bereiche Verkehr und Digitales.
"Ein großer Teil der Ausgaben des Arbeits- und Sozialministeriums wird beispielsweise für Transfers verwendet, von denen nur die Begünstigten profitieren."
Inwiefern alle von der Rüstungsindustrie profitieren? – Auf einem Parteitag der Grünen im Oktober hatte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock Waffenexporte an Saudi-Arabien damit gerechtfertigt, dass ohne sie soziale Projekte wie die Kindergrundsicherung in Deutschland möglicherweise nicht finanzierbar wären.
Die Rüstungsgüter – vor allem Zubehör für Kampfjets – gingen nicht direkt nach Saudi-Arabien, sondern in andere europäische Staaten, in denen die Flugzeuge als Gemeinschaftsprojekt zusammengebaut werden.
Baerbock sprach seinerzeit von einer schwierigen Abwägung: Auf der einen Seite stünden die eigenen Werte, auf der anderen der Wunsch nach mehr europäischer Rüstungskooperation. Durch Synergie-Effekte, so der Plan der Koalition, sollten die Kosten der Produktion und somit der Aufrüstung der Bundeswehr begrenzt werden. "Ansonsten reichen die 100 Milliarden nie aus, und ich will nicht, dass wir noch mehr im sozialen Bereich sparen", sagte Baerbock seinerzeit.
Nun muss scheinbar trotzdem im sozialen Bereich gespart werden.