Linke Kritik(un)fähigkeit und patriarchaler Rollback

Über die Parole "Wir impfen euch alle!" und andere Ausdrücke des politischen Versagens

Ausgerechnet in der Corona-Krise, in der autoritäre Herrschaft und Profitwirtschaft deutlich sichtbar werden, scheint die gesellschaftliche Linke nichts Besseres zu tun zu haben, als sich in Grabenkämpfen genüsslich selbst zu zerlegen und die Kritik an Staat und Kapital der gesellschaftlichen Rechten zu überlassen. Die Parole "Wir impfen euch alle!", voller Hass gegen demonstrierende Corona-Maßnahmekritiker:innen gebrüllt, ist für mich zum Symbol dieses Versagens geworden.

Im Folgenden versuche ich, zu verstehen und aus feministischer Perspektive einzuordnen, was in dieser Corona-Krise passiert ist und immer noch passiert. Nicht als umfassende Analyse, sondern mit einem subjektiven Blick, vor allem auf Aspekte der Kommunikation. Dabei spreche ich nur für mich und beanspruche keine allgemeingültige Definitionsmacht.

Wenn ich Begriffe wie "patriarchal" oder "feministisch" verwende, dann beziehe ich mich damit auf das Patriarchat als hierarchische Form sozialer Organisation. Es ist älter als der Kapitalismus, aber die Strukturen der historischen Männerherrschaft bestehen bis heute.

Sie sind nicht unbedingt vom biologischen Geschlecht abhängig, Frauenbewegungen haben viele Rechte erkämpft, aber auch heute bekleiden überdurchschnittlich oft Männer machtvolle Positionen, und es sind meist Männer, die Gewalt- und Gräueltaten begehen, unter denen Frauen und Transpersonen leiden und gleichzeitig die Verantwortung aufgeladen bekommen, die Folgen auszuputzen.


Dieser Artikel erschien im Herbst 2021 in:

Gerhard Hanloser, Peter Nowak, Anne Seeck (Hg): Corona und linke Kritik(un)fähigkeit. Kritisch-solidarische Perspektiven "von unten" gegen die Alternativlosigkeit "von oben".

AG SPAK Bücher, Neu-Ulm 2021, 240 Seiten, 19 Euro.


Eine Kanzlerin Merkel macht noch keinen Feminismus, relevanter finde ich den Ansatz der Stadtregierung in Barcelona, wo die Basisbewegung "Barcelona en Comú" mit der Bürgermeisterin Ada Colau für eine Feminisierung von Politik angetreten ist.

Gewalt ist patriarchal

Die Gesellschaft ist nicht freundlicher geworden in diesen pandemischen Zeiten. Eine Mischung aus Angst und Empörung ist das Grundgefühl, Härte und Rücksichtslosigkeit lassen sich von allen Seiten beobachten. Zu Recht fragten im Oktober 2020 Vertreterinnen des Kollektivs "Feministischer Lookdown" im Züricher Radio LoRa1:

Warum waren wir - Frauen aus der feministischen Bewegung und andere Menschen, die sich links oder kritisch oder feministisch verstehen - so rasch bereit, die Definition darüber, was uns heute geschieht, an männliche Expertengremien - und damit auch an den Staat - abzugeben?

Das Schüren von Angst – der Angst vor dem Ersticken und der Angst davor, diesen qualvollen Tod Angehöriger verschuldet zu haben – war bereits im Frühjahr 2020 vom Innenministerium im Strategiepapier "Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen" erwogen worden, das in Auftrag gegeben wurde, um "‚weitere Maßnahmen präventiver und repressiver Natur‘ planen zu können", wie die Welt im Februar 2021 berichtete.2 Eine Strategie des Ministeriums, dessen Minister Horst Seehofer sich an seinem 69. Geburtstag freute, dass 69 Menschen abgeschoben wurden.

Das Online-Spiel "Corona-World" – öffentlich-rechtlich betrieben von ARD und ZDF – lädt ein: "Werde zum Helden der Corona-Krise". Zu "Helden" assoziiere ich: männlich, kriegerisch und selbstgewiss, weil von höheren (eben heldenhaften) Motiven angetrieben. Einzelkämpfer (selten Kämpferinnen), die wissen, wo es lang geht. Die nicht fragen, sondern anpacken.

Das Spiel hetzt zu Gewalt (wenngleich nur am Computer) auf3:

Schlüpfe in die Rolle einer Krankenschwester, die nach einem harten Arbeitstag einfach nur im Supermarkt einkaufen will. Aber Vorsicht! Überall lauern Infektionsgefahren. Nimm dich in Acht vor Joggern, Party People, Preppern und hochansteckenden Kindern. Schlage zurück, indem du deine Gegner desinfizierst. Hast du das Zeug, um Corona ein für alle Mal zu besiegen?

Während die Bundesregierung das Virus schnell zum Feind erklärt hatte, gegen den Krieg geführt werden müsse – was von links mit der Ausrottungsfantasie von Zero Covid aufgegriffen wurde – wird die Seuchenabwehr hier individualisiert.

Aber auch von maßnahmenkritischer Seite gibt es Übergriffiges, wenn etwa Captain Future und seine Leute von der Freedom Parade ohne Masken durch einen Supermarkt oder einen Zug tanzen.

Unabhängig von der Einschätzung der Sinnhaftigkeit von Masken ist es rücksichtslos und gewalttätig, in der Corona-Situation andere in Angst und Schrecken zu versetzen und ihnen grenzüberschreitend die eigene Körperlichkeit und den eigenen Atem aufzudrängen.

All dies verstehe ich als Ausdruck patriarchaler Haltungen von Dominanz und Rechthaberei. Auch die vorgeblichen Schutzmaßnahmen verströmen nur zu oft den kalten Hauch von Autoritarismus und Ausgrenzung. Am meisten haben mich jedoch die verbalen Gewalttätigkeiten von Linken erschrocken.