Links und für Krieg und Kapitalismus?
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Wie sich eine Szene-Wochenzeitung mit Blick auf das Desaster am Hindukusch selbst vorführt – und doch einem Plan folgt
Die Wochenzeitung Jungle World widmet sich seit ihrer Gründung 1997 "antideutschen" Theoremen und Aktionen. Ihren Höhepunkt hatte sie nach dem 11. September 2001, als nicht nur die Zwillingstürme in New York zum Einsturz gebracht wurden, sondern auch bisher geglaubte Selbstverständlichkeiten.
Dazu gehörte, keinem imperialistischen Krieg zuzustimmen, auch wenn er noch so selbstlos verpackt wird. Dass dazu auch der Krieg gegen Afghanistan 2001 gehörte, ist eigentlich eine Banalität.
Doch das "antideutsche" Spektrum folgte einem (deutschen) Sonderweg. Es unterstützte diesen Krieg, vom sicheren Zuhause aus, und lachte sich über die Weicheier tot, die Krieg aus grundsätzlichen oder ganz praktischen Gründen ablehnten.
"Das Schreckliche, das jetzt Richtige" feiert seinen 30. Geburtstag
Warum dieser imperialistische Krieg 2001 ein anderer als alle anderen ist, erklärten uns die "Antideutschen" so: Jetzt gehe es darum, den Kapitalismus gegen die Vor-Moderne, also den Islamismus zu verteidigen.
Diese Denkfigur geht auf den ehemaligen Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza zurück, der das "Schreckliche" für das "jetzt Richtige" (Konkret 3/1991) ausgab, um so dem US-alliierten Krieg gegen den Irak 1991 seine Zustimmung zu geben.
Man kann es auch so zusammenfassen: Seit 1991 gibt es für einen Teil der Linken jenseits des Kapitalismus (im eigenen Land) nur noch Schlimmeres.
Das muss man in aller Kürze vorausschicken, um das Folgende auch nur halbwegs erfassen zu können.
In einem Jungle World-Artikel mit der Überschrift: "Vormalige Linke schließen sich den 'Querdenkern' an. Verquere Leute von links" vom 26.08.2021 versucht man sich in einer Analyse.
Man muss dem Beitrag zugutehalten, dass er die Querdenker-Bewegung nicht von vorneherein zu Nazis, Halb- und Viertel-Nazis erklärte, sondern zumindest die Studie aus der Schweiz zitierte, um danach darüber hinwegzugehen:
Die "Querdenker" seien eine Bewegung, "die eher von links kommt, aber stärker nach rechts geht", schrieben die Soziologin Nadine Frei und die Soziologen Oliver Nachtwey und Robert Schäfer, nachdem sie die Antworten von mehr als 1 150 Anhängerinnen und Anhängern ausgewertet hatten. Viele von diesen hätten früher Linkspartei und Grüne gewählt. Publikationen aus der Szene und das Bild ihrer Aufzüge bestätigen den Befund: Zwar bewegen sich Neonazis unter den "Querdenkern" wie die Fische im Wasser, aber Linke, Esoterikerinnen und Hippies sind stilbildend. Wenn auf "Querdenker"-Demonstrationen die Hippie-Hymne "Age of Aquarius" angestimmt wird, erleben die Kameraden vermutlich einen clash of cultures.
Dann macht sich der Jungle World-Redakteur an die Feinanalyse, pirscht ganz nahe ans Beobachtungsobjekt heran und stellt fest, dass "Halb- und Bauchlinke ins Lager des Irrationalismus" überlaufen seien. Ein bisschen Kriegsfeeling, bei dem man entweder nur auf Linie bleiben kann oder eben "überlaufen".
Dann will er es ganz genau wissen und teilt die "Bauch- und Halblinken" ein:
Dabei lassen sich zwei Varianten beschreiben: Die einen vertreten die "Querdenker"-Ideologie im Gesamtpaket, die anderen mimen zwar Distanz zu Nazis und Coronaleugnerinnen und -leugnern, teilen aber die zentrale Annahme vom "Coronakomplott". Daneben gibt es noch populistische Kümmerer wie Sahra Wagenknecht, die Verständnis für Sorgen und Nöte fordert, oder Oskar Lafontaine, der sich vermeintlich für die "einfachen Menschen" gegen einen Klüngel aus Politikerinnen und Pharmalobbyisten einsetzt.
Ich habe Glück gehabt, falle aus der Zwei-Fronten-Bildung heraus und bilde "nur" einen Brückenkopf:
Die Übergänge sind jedenfalls fließend. So bezeichnete Wolf Wetzel, der früher zur autonomen Lupus-Gruppe gehörte, die Angst vor dem Virus als berechtigt und forderte linken Protest, der eine "rechte Vereinnahmung" ausschließt. Allerdings behauptete er, kritische Stimmen würden aus der öffentlichen Debatte ausgeschaltet, und entwickelte eine Zwei-Lager-Theorie: Eine Allparteienkoalition von der AfD bis zur Linkspartei, die den autoritären Ausnahme- zum Dauerzustand machen wolle, stünde gegen all jene, die die Maßnahmen für unverhältnismäßig hielten. Der Antifa warf Wetzel vor, sich von der Polizei instrumentalisieren zu lassen, um "Hygienedemos" zu verhindern, obwohl es doch darum gehen müsse, "gemeinsam zu begreifen, wie man die Coronazeiten zu fassen bekommt". Unlängst rubrizierte er auf den Nachdenkseiten die "Querdenker"-Aufmärsche als "Sommer der Freiheit", der verboten worden sei.
Ich muss ehrlich sagen, meine politischen Aussagen wurden schon schlimmer verstümmelt und entstellt.
Interessant und bezeichnend finde ich, dass der Jungle Word-Redakteur von einer Behauptung spricht, "kritische Stimmen würden aus der öffentlichen Debatte ausgeschaltet". Das hätte auch der Pressesprecher der Bundesregierung so formulieren können, um durchscheinen zu lassen, dass das absoluter Blödsinn ist.
Dass die Jungle World mich nicht mit Querdenkern eins setzen kann, hindert den Redakteur natürlich nicht daran, einen "Hinweis" zu platzieren, dass ich doch irgendwie dorthin gehöre: "Unlängst rubrizierte er auf den Nachdenkseiten die 'Querdenker'-Aufmärsche als 'Sommer der Freiheit', der verboten worden sei."
Natürlich weiß der Redakteur ganz genau, dass nicht ich die Querdenker-Demonstrationen als "Sommer der Freiheit" deklariert habe, sondern dass das dies das Motto der Querdenker war. Was ich an den Querdenker-Positionen schwammig bis falsch finde, findet sich ebenfalls in vielen Beiträgen.
Dass ich in fast jedem Beitrag betone, dass man es als Linke einfach nur besser machen kann und darf, findet sich ebenfalls dort, ohne Fußnoten zu durchstöbern.
Und macht es zum Beispiel Jungle World besser? Messen wir sie doch an ihren eigenen Ansprüchen und Maßstäben, die auf die Irrationalität der "Querdenker" wie ein Platzregen niedergehen:
Die Coronakrise fördert zutage, was in der Weltsicht mancher Linker immer schon oberflächlich, schräg, nach rechts tendierend oder antisemitisch war, Ausdruck notorisch verweigerter Reflexion über Nation, Staat und Kapital, sich erschöpfend in Gejammer über Lobbyisten, Neoliberalismus und Globalisierung, die Herrschaft von Heuschrecken und fremden Mächten.
Der Autor traut sich eine profunde Analyse zu, deren Kernthema wir uns vornehmen können: die notorisch verweigerte Reflektion über Nation, Staat und Kapital. In der Tat, ich vermisse nicht erst in Corona-Zeiten eine genaue Analyse, die die Nation, den Staat und die Kapitalverhältnisse betreffen.
Verändert sich der Staat im Zuge dieser Corona-Ausnahmegesetze? Geht das Kapital gestärkt aus der Krise hervor (wie in der Finanzkrise nach 2007)? Was hat es mit viel besagten und von allen Seiten beschworenen Solidarität auf sich? Ist die Gesundheit ein staatliches Herzensanliegen oder ein Reproduktionsfaktor im Kapitalverhältnis?
Geht es nur um einen eigenen, "besseren" Kapitalismus?
Wer wie Jungle World mit solchen wichtigen Begriffen herumwirft wie mit Knallerbsen, dem fallen ganz viele Fragen ein, die danach gestellt und beantwortet werden können.
Was bedeutet dies für eine Opposition, die sich nicht "erschöpfend in Gejammer über Lobbyisten, Neoliberalismus und Globalisierung, die Herrschaft von Heuschrecken und fremden Mächten" ausdrückt?
Mir ist nichts, gar nichts aus diesem Spektrum bekannt, das dem "Gejammer" eine unerschrockene Praxis entgegengestellt hat.
Kann es also sein, dass dieses antideutsche Spektrum in der Tat, also im wirklichen Leben das Motto "Den Kapitalismus gegen die Vormoderne verteidigen" nun halbherzig umsetzt und den Kapitalismus gegen schlechtere Formen dieses Systems – von Bolsonaro bis Orban – verteidigt?
Um dieser Frage nachgehen, muss man nur bei dieser Jungle World-Ausgabe bleiben, um Antworten zu finden: In derselben Ausgabe erscheint ein Kriegsbericht von Matthias Küntzel: "Die Niederlage des Westens".
Küntzel gehört zu den Ideologen und Theoretikern antideutscher Weltbilder der ersten Stunde. Er bedauert also die "Niederlage des Westens" und meint damit Afghanistan, das die US-alliierten Truppen nach 20 Jahren verlassen haben. Wenn Küntzel das Oberkommando in Afghanistan gehabt hätte, wäre alles ganz anders gelaufen:
Der Fehler der Nato-Alliierten bestand nicht darin, gleichzeitig al-Qaida und die Taliban zu bekämpfen. Ihr Fehler war, dass sie dies weder konsequent noch zielgenau taten.
Ein Mann, der einen auf Ledernacken macht, den man gerne dorthin schicken möchte. Ein Mann, der noch zwanzig Jahre später einen Krieg mit einem Argument begründet, mit dem (auch) Europa in Schutt und Asche gelegt werden könnte:
Die zu dieser Zeit den größten Teil Afghanistans beherrschenden Taliban weigerten sich, die für dieses Inferno verantwortlichen al-Qaida-Führer auszuliefern. Deshalb begannen Großbritannien und die USA im Oktober 2001 ihre erste Militäroperation in Afghanistan und verjagten die Islamisten aus Kabul.
Ist diesem Mann in den ganzen zwanzig Jahren nicht gesagt worden, dass man (selbst) bei der Ablehnung eines Auslieferungsantrages nicht Krieg gegen ein Land führen kann? Wie viele Terroristen, terroristische Gruppierungen, wie viele Gottes-Krieger und Söldner haben in Europa und den USA ihre Basis?
Es lohnt sich wirklich nicht, in die Details dieser Kriegsbegründung zu gehen. Was den Querdenkern nicht erlaubt ist, darf dieser Mann: jammern:
Und drittens ist der Vertrauensverlust immens: Der Westen verrät derzeit all diejenigen, die an seine Versprechen geglaubt und sich in Afghanistan für Freiheit und Menschenrechte eingesetzt haben.
Findet er also auch, dass mit dem Ende des Vietnamkrieges all jene verraten wurden, die an die Versprechen der US-Regierung geglaubt hatten, sich für Freiheit und Menschenrechte einzusetzen?
Machen wir es kurz:
Jungle World will ganz genau wissen, was für eine verquere Mixtur bei den Querdenkern unterwegs ist. Aber was ist das für eine Mixtur in Jungle World?
Eine Seite tritt man großspurig auf und verlangt zu Recht eine "Reflektion über Nation, Staat und Kapital". Schlägt man die Seite um, kommt Küntzel zu Wort, der dermaßen rechts, reaktionär und imperialistisch sein darf, dass man sich motiviert sehen soll, jedweden Pazifismus über Bord zu werfen. Naivität ist das nicht.
Die Querdenker:innen gibt es seit einem Jahr. Niemand stellt sie ein, niemand bestimmt, wer dazugehört. Das ist nicht irre, sondern eine Grundvoraussetzung für eine Bewegung. Dass darin Prozesse stattfinden, stattfinden müssen, macht die Dynamik einer Bewegung aus und hängt ganz stark davon ab, wer sich dort einmischt, mit welchem Erfolg, mit welcher Ausdauer.
Die Jungle World ist jetzt etwa 20 Jahre alt. Man stolpert dort nicht rein, sondern wird ausgesucht. Küntzel gehört zu den "Gründungsvätern" dieser Zeitung.
Wenn ein solch erfahrener Mann einen Angriffskrieg bis heute verteidigt, also ein Kriegsverbrechen befürwortet und dabei die US-Generalität rechts überholt, dann ist die Jungle World nicht "rechtsoffen", sondern reaktionär – nicht an ihrem Rand, sondern im Kern.
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