Lob mich oder schweig!
In der Ukraine werden Medien zunehmend unter Zensurdruck gestellt, ein Journalist wurde bereits ermordet
Als Viktor Janukowitsch, der nächste Woche Deutschland besuchen wird, im Februar dieses Jahres die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine gewann, war der Westen nicht unbedingt glücklich. Ausgerechnet der pro-russische Janukowitsch, der sich 2004 durch Wahlfälschung in das Präsidentenamt hieven wollte, löste die einstigen Hoffnungsträger Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko ab. Da man aber auch im Westen die Ergebnisse deren Regierungszeit sah, war man zwischen Berlin und Washington von der Wahlniederlage nicht überrascht. Gleichzeitig glaubte man nicht, dass Janukowitsch die demokratischen Reformen in der Ukraine zurückdrehen würde und verwies dabei auf die ukrainische Presse, deren Freiheit wohl die größte Errungenschaft der Orangenen Revolution war. Doch mittlerweile sind es die ukrainischen Medien, die über Zensur und Verfolgung durch die Regierung und einflussreiche Oligarchen klagen.
Eigentlich weiß die Partei der Regionen des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch ihre Kontakte zu dem Kiewer Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung zu schätzen. In der Vergangenheit organisierte die Stiftung des Öfteren Treffen zwischen Politikern der Partei der Regionen und der CDU, zu der die Konrad-Adenauer-Stiftung bekanntlich einen seht guten Draht hat. Und auch bei den Vorbereitungen für den anstehenden Berlin-Besuch von Viktor Janukowitsch, der sich bei den im Februar stattgefundenen Präsidentschaftswahlen gegen seine Widersacherin Julia Timoschenko durchsetzte, soll das Kiewer Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung eine nicht unwichtige Rolle spielen.
Dass die regierende Partei der Regionen gegenüber ihren Partnern aber auch andere Töne anschlagen kann, erfuhr die Konrad-Adenauer-Stiftung am 26. Juni. Bei der Rückkehr von einer Dienstreise nach Paris verweigerte der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU Nico Lange die Einreise in das Land. Erst durch die Intervention mehrerer Institutionen, darunter dem Präsidium des Europäischen Parlaments, der deutschen Botschaft und des Bundeskanzleramtes, durfte der Leiter des Kiewer KAS-Büros offiziell ukrainisches Staatsterritorium betreten. Als Missverständnis nennt die offizielle Sprachregelung zwischen Berlin und Kiew den Zwischenfall, der in der Ukraine für mehr Aufmerksamkeit gesorgt hat als hierzulande, doch dies ist anscheinend weit untertrieben. Denn angeblich wollte der neue SBU-Chef Valerij Choroschkowskij erst gar nicht über den Fall verhandeln und stellte die Deutschen vor eine Wahl: Lange könne entweder sofort abreisen oder er werde wegen Spionage, Passfälschung und illegaler Parteienfinanzierung verhaftet.
Wie es zu dem angeblichen Missverständnis kommen konnte, hat der SBU bis heute nicht erklärt. Doch einiges deutet daraufhin, dass Langes Tätigkeit in der Ukraine den Wunsch in der neuen Staatsführung groß werden ließ, den Deutschen loszuwerden. In den letzten Monaten versuchte Lange das zerstrittene Orangene Lager an einen Tisch zu bringen. Da sowohl der Block Julia Timoschenko als auch die Volksunion Unsere Ukraine des ehemaligen Staatspräsidenten Viktor Juschtschenko bei der Europäischen Volkspartei (EVP) Beobachterstatus genießen, ein einigermaßen erklärliches Unterfangen.
Die Ukraine als zweites Russland
Noch schwerwiegender dürfte jedoch seine Kritik an der bisherigen Amtszeit von Präsident Viktor Janukowitsch gewesen sein. So warnte Lange, der auch nicht gerade zimperlich mit dem Orangenen Lager umging, als es noch die Regierungsverantwortung hatte, in einer Analyse für die Konrad-Adenauer-Stiftung vor einem Abbau der Demokratie. "Das Tandem Janukowitsch und Asarow (Anm.: Ministerpräsident der Ukraine) steht insgesamt für eine wieder stärker autoritäre Gangart und einen typisch postsowjetischen administrativen Politikstil", schrieb Lange in dem im Mai veröffentlichten Bericht, der sich mit den ersten 100 Tagen des Präsidenten Janukowitsch befasst.
Mit der Meinung steht Lange nicht alleine da. Der Schriftsteller Jurij Andruchowytsch, der hierzulande durch die Romane "Zwölf Ringe" und "Moscoviada" bekannt wurde, schrieb beispielsweise in einem kürzlich erschienen Essay von einem "Russland 2", das Janukowitsch' und seine Leute durch ihre aktuellen "Reformen" in der Ukraine schaffen. Nur mit dem Unterschied, dass die Kopie "lahmer, rückständiger und noch weniger attraktiv" ist als das Original. Ihre Aussagen begründen Lange und Andruchowitsch mit der Schaffung einer parlamentarischen Mehrheit durch Überläufer, dazu notwendigen Verfassungsänderungen und der Einflussnahme auf die Justiz.
Pressefreiheit bedroht
Ein anderer und wichtiger Kritikpunkt ist bei Nico Lange und Jurij Andruchowitsch der immer größer werdende Druck auf die ukrainischen Massenmedien. Neben der neuerlichen politischen und wirtschaftlichen Annäherung an Russland, ist das für das Ausland auch die sichtbarste Veränderung, die momentan zwischen Lemberg und Donezk stattfindet.
Erste Klagen ukrainischer Journalisten über Einschränkungen ihrer Arbeit gab es bereits einen Monat, nachdem in der Werchowna Rada die Regierung von Julia Timoschenko gestürzt wurde. Ende April prangerte der Verband ukrainischer Journalisten das Innenministerium, die Nationale Expertenkommission für Fragen der Verteidigung der öffentlichen Moral, Parlamentsabgeordnete, Richter und Oblast-Gouverneure an, Vertreter der Massenmedien bei ihrer Arbeit zu behindern. So soll der stellvertretende Pressesprecher des Innenministeriums einem Journalisten mit den Worten gedroht haben, "nicht zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, damit es keine Probleme mit der Miliz gebe."
Kurz darauf veröffentlichten Journalisten des Privatsenders 1+1, den 95 Prozent der Ukrainer empfangen können, einen offenen Brief, in dem sie die Einflussnahme der Senderleitung auf die Hauptnachrichtensendung TSN beklagen. Keine negativen Beiträge über die neue Regierung, lautete die Direktive aus der Geschäftsführung von 1+1. Ebenso wurde der Golodomor, der Hungertod von ca. 3.5 Millionen Menschen, die die Hungersnot von 1932/33 allein in der Ukraine forderte, zu einem Tabuthema bei 1+1, wie der Journalist der Nachrichtensendung TSN, Miroslaw Otkowitsch, in der Internetzeitung Ukrainska Pravda publik machte.
Wie sich kurz darauf zeigte, kein Einzelfall in den ukrainischen Massenmedien. Einen Tag nachdem sich die 1+1-Journalisten öffentlich über die Zensur bei ihrem Sender beschwerten, erhoben auch die Journalisten des Privatsenders STB Zensurvorwürfe gegenüber ihrer Senderleitung. "Nach den Wahlen gab es bei der Berichterstattung über den Bildungsminister Dmytro Tabatschnyk und den Themen UPA (ein in der Ukraine ebenfalls umstrittenes historisches Thema) und Golodomor eine Akzentverschiebung", klagten die Journalisten, die bei STB für die Hauptnachrichtensendung Vikna (dt.: Fenster) verantwortlich sind.
Die neue Staatsführung fühlte sich durch die Zensurvorwürfe der Journalisten anscheinend zum Aktionismus gezwungen. "Ich möchte, dass es im Land einen journalistischen Standard gibt", erklärte Hanna Herman, stellvertretende Leiterin der Präsidialkanzlei, nach einem Treffen mit den Journalisten des Senders 1+1. Doch Beweise für die Zensurvorwürfe fand die Politikerin angeblich nicht.
Fernsesender in der Hand von Oligarchen
Eine nicht unbedingt überraschende Erklärung, wenn man bedenkt, dass beide Fernsehsender einflussreichen Oligarchen gehören. So befindet sich 1+1 im Besitz von Igor Kolomojskij, der 1992 mit der Gründung der Privatbank das Fundament für seinen Reichtum schuf und in den Jahren darauf zu einem einflussreichen Medienunternehmer avancierte. Kolomojskij unterstütze in den letzten Jahren zwar Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko, deren Präsidentschaftswahlkampf er angeblich auch finanziert haben soll, doch der so wie Timoschenko aus Dnjepropetrowsk stammende Kolomojskij verfügt über ausreichend eigene Interessen, um sich den neuen Verhältnissen anzupassen. STB wiederum gehört Kolomojskijs Widersacher Viktor Pintschuk. So wie Kolomojskij und Timoschenko stammt zwar auch Pintschuk aus Dnjepropetrowsk, doch politisch hält es der nach Rinat Achmetow zweitreichste Ukrainer jedoch lieber mit der Konkurrenz. Dies auch aus familiären Gründen: sein Schwiegervater ist der ehemalige Präsident Leonid Kutschma.
Ein weiterer einflussreicher Medienunternehmer ist kein geringerer als der aktuelle SBU-Chef Valerij Choroschkowskij. Seit 1997 ist der studierte Ökonom in der Politik aktiv und dabei von Anfang an in hohen Positionen. Zwischen 1997 bis 1998 war er Berater des Ministerpräsidenten Valerij Pustowojtenko und begann darauf den Gang durch die Institutionen. Gleichzeitig forcierte Choroschkowskij seine Karriere in der Wirtschaft. Immer wieder hatte er gut bezahlte Managerposten, darunter auch bei dem russischen Stahlgiganten Evraz, mit dessen Gründer und Besitzer Alexander Abramow er seit den 90er Jahren befreundet ist. 2005 wagte Choroschkowskij den Sprung in die Medienbrache und kaufte für 250 Millionen Dollar die Mehrheit an Inter TV, einem der größten privaten Fernsehsender der Ukraine.
Aus dieser Mehrheit wurde mit der U.A. Inter Media Group Limited ein einflussreicher Medienkonzern, nachdem Choroschkowskij im Jahr 2007 von dem Oligarchen Dimitrij Firtasch weitere TV-Sender erwarb. Bis heute wird jedoch vermutet, dass Choroschkowskij die TV-Sender für den Gasmilliardär Firtasch, der nach dem Wahlsieg Janukowitsch' zum einflussreichsten Oligarchen des Landes avancierte, nur "verwaltet". Da Choroschkowskij 2007 von dem damaligen Präsidenten Viktor Juschtschenko zum Chef der ukrainischen Zollbehörde ernannt wurde, übernahm seine Ehefrau offiziell die Leitung des Medienunternehmens, dessen Hauptsender Inter wegen subjektiver Berichterstattung von Julia Timoschenko ab 2009 boykottiert wurde.
Doch an der wirtschaftlichen Entwicklung des Medienkonzerns zeigt sich Choroschkowskij immer noch sehr interessiert und ist dabei auch bereit, sein Staatsamt zum Wohle des Unternehmens zu nutzen. "Hinter ihrem Rücken versucht der amtierende Chef des ukrainischen Geheimdienstes, Mitglied des Obersten Justizrates und bekannte Geschäftsmann Valerij Choroschkowskij, der mit den Sendern der Inter-Gruppe in Verbindung gebracht wird, den 5. Kanal (http://5.ua/) zu vernichten", heißt es in einem offenen Brief (http://5.ua/newsline/184//66570/), den die Mitarbeiter des Nachrichtensenders Anfang Juni an den Staatspräsidenten Janukowitsch gerichtet haben.
Auslöser für diesen dramatischen Appell war die Frequenz- und Lizenzvergabe des Nationalen Rundfunkrats vom 27. Januar dieses Jahres. Von allen sich an der Ausschreibung beteiligten Sendern, haben der 5. Kanal und TVi (http://tvi.ua/), der seit März 2008 auf Programm ist und von 65 Prozent aller ukrainischen Haushalte empfangen werden kann, die meisten Frequenzen ersteigert. Für Choroschkowskij ein Grund, nach seinem Amtsantritt beim ukrainischen Sicherheitsdienst zu handeln. Im April durchsuchten SBU-Beamte die Büros des Senders TVi – wegen angeblicher Regelverstöße bei der Ausschreibung. Wenig verwunderlich war der darauf folgende Schritt. Die zur Inter-Gruppe gehörenden Sender legten beim Kiewer Bezirksverwaltungsgericht Widerspruch gegen die Entscheidung des Nationalen Rundfunkrates und gewannen. Anfang Juni erklärte das Gericht die Frequenz- und Lizenzvergabe vom Januar für nichtig. Wenn man bedenkt, dass Choroschkowskij auch Mitglied des Justizrates ist und so über die Zukunft eines jeden einzelnen Richters entscheiden kann, eine nicht überraschende Gerichtsentscheidung.
Da das Urteil für die betroffenen Sender das wirtschaftliche Aus bedeuten kann, gingen der 5. Kanal, TVi und 14 weitere Sender in die Revision. Zudem appellierten sie gemeinsam an den Präsidenten Janukowitsch und sorgten am 14. Augsut mit einem "Streik" auch im Ausland für sehr viel Aufsehen. "Warnstreik dreier Fernsehsender zur Verteidigung der Meinungsfreiheit in der Ukraine", war zwischen 19 und 20 Uhr die einzige Botschaft, die der 5. Kanal, TVi und der Regionalsender Tschernomorskaja ausstrahlten. Zudem kritisierten auch die Organisationen Reporter ohne Grenzen und das in Wien ansässige International Press Institute die Entwicklung in der Ukraine.
An der misslichen Lage von 5. Kanal und TVi hat sich trotz der Proteste nichts geändert. "In der Ukraine gibt es keine Zensur", erklärte Janukowitsch lediglich in der vergangenen Woche. Denn von einer Pleite der zwei Sender hätten auch Janukowitsch und seine Partei der Regionen etwas. Nach Angaben der unabhängigen Organisation Telekritika waren TVi und der 5. Kanal, der sich im Besitz des ehemaligen Außenministers Petro Peroschenko befindet, in den letzten Monaten die einzigen Sender, die sich um eine objektive politische Berichterstattung bemühten.
Mit dem Amtsantritt von Viktor Janukowitsch haben aber nicht nur die Schikanen gegenüber Massenmedien zugenommen. Auch Gewalt gehört mittlerweile zum Berufsalltag ukrainischer Journalisten, so wie zuletzt unter Leonid Kutschma (Der politisierte Tote). Und den ersten Toten haben die ukrainischen Journalisten auch schon zu beklagen. Wie der Innenminister Anatolij Mohyljow am Donnerstag erklärte, ist der seit dem 11. August vermisste Vasilij Klymentjew aller Wahrscheinlichkeit nach ermordet worden. Wie der Minister einräumte, werden die Täter bei den Charkower Sicherheitsbehörden vermutet. Klymentjew war Chefredakteur der Charkower Tageszeitung Novyj Stil (dt. Neuer Stil), die regelmäßig über Korruption und Vetternwirtschaft bei den lokalen Behörden berichtete.