Lobbyismus for Dummies
Eine Veranstaltung mit Wolfgang Thierse und neue Bücher entschlüsseln die "fünfte Gewalt" und geben Einblicke in die "klandestinen" Seil- und Machenschaften der professionellen "Interessensvertreter"
Der "Fall Gerster" hat nach dem Fall Hunzinger die von Strippenziehern, Think Tanks und "Public Affairs"-Managern mehr schlecht als recht und vor allem teuer beratene Republik wieder in die öffentliche Aufmerksamkeit katapultiert. Doch die Medien und die Bürger wissen nach wie vor viel zu wenig über die "stille Macht", die ein neuer Sammelband im "Dunkelfeld" Lobbyismus sieht. Bei der Vorstellung des Readers mit Bundestagspräsident Wolfgang Thierse traten hinter der Grauzone aber strukturelle Schwächen im "sklerotischen" politischen System zutage, welche den Boden bereiten für die Aushebelung demokratischer Grundsatzregeln.
Ein unseriöses, unfassbares Gespinst hat sich über die Demokratie gelegt und sorgt hinter verschlossenen Türen im konspirativen Dunstkreis für die Entstehen von Gesetzen zum Schaden der Allgemeinheit. Derart lässt sich die gängige Vorstellung von Lobbyismus beim zumindest noch nicht ganz politikverdrossenen Gesellschafspublikum hierzulande zusammenfassen.
Der Begriff Lobbyismus hat in Deutschland etwas Anrüchiges. Denn die Beeinflussung geschieht schon lange nicht mehr in der Wandelhalle. Sie vollzieht sich vielmehr in vielfältigen Kontakten und Beziehungen, über die die Öffentlichkeit nichts mitbekommt.
Leif und Speth in der Einleitung zu "Die stille Macht"
Ein entsprechend alarmierendes Bild zeichnen die Herausgeber des gerade erschienen Sammelbands Die stille Macht. Lobbyismus in Deutschland, die Politikwissenschaftler Thomas Leif und Rudolf Speth. In der Einleitung zu dem Reader warnen sie: "Das Geschäft der Einflussnahme blüht im Verborgenen und die Grenzen sind fließend." Das Buch will zwar die gesamte Bandbreite der "demokratischen Interessensvertretung" abdecken. Doch wie der Titel schon deutlich macht, geht es vor allem um die Missstände des Lobbyismus, über die "illegitime Einflussnahme, die bis hin zu Patronage und Korruption reichen kann", und im "Schatten der Öffentlichkeit" agiert.
Einen prominenten Lobbyisten in eigener Sache fanden die Herausgeber bei der Vorstellung des Bands am Donnerstag in Berlin mit Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Doch der SPD-Politiker, der sich jüngst medientheoretisch betätigt und sich über den mangelnden Wirklichkeitsbezug in den Medien beklagt hatte, machte als erstes eine "unangemessene Moralisierung" in dem fast 400 Seiten dicken Wälzer aus. Einige Passagen seien "nicht ganz frei von Skandalisierung" und die durchschimmernde Personalisierung des Problemfelds verhinderte das doch eigentlich geforderte Nachdenken über die politischen Strukturen.
Legitimer Wunsch nach Teilhabe
"Die organisierte Interessensvertretung ist ein konstitutives Element der Demokratie geworden", setzte Thierse den skizzierten Tendenzen zunächst einmal entgegen. Dass die offizielle Lobbyistenliste des Bundestags inzwischen 1781 Einträge umfasse, könne er "nicht wirklich kritisieren". Denn darin äußere sich der legitime "Wunsch nach Teilhabe am Gesetzgebungsprozess". Es gebe deswegen noch lange keinen "schleichenden Bedeutungsverlust" der Legislative und auch das Parlament verkomme damit nicht zum "Abnickinstrument", wie es in dem Buch zum Ausdruck komme. Die entscheidende Gesetzesarbeit wird nach Thierses Worten nämlich immer noch "in den Ausschüssen" des Bundestags gemacht, wo in - entgegen den Vorwürfen - gar nicht "ritualisierten" Anhörungen eine Vielzahl von Stimmen zu Worte kommt. Relativiert würden offensichtliche partikulare Beeinflussungsinitiativen dabei spätestens durch die verschiedene Ansichten vertretenden Mitglieder der Parteifraktionen.
Das Dilemma ist damit klar: Ohne Lobbyisten kann die parlamentarische Demokratie nicht funktionieren - aber mit ihnen auch nicht. Sollten die Abgeordneten ohne die Interessensvertreter Gesetze begutachten und entwerfen, "bräuchten wir eine Vervielfachung politischer Potenzen", erläuterte Thierse die längst bestehenden Abhängigkeiten.
Auch der Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie der Uni Köln, Karl Lauterbach, erläuterte, dass die Parlamentarier "ohne Unterstützung von außen" praktisch nicht in der Lage seien, Gegenvorschläge zu den meist aus der Ministerialbürokratie kommenden Gesetzesentwürfen zu machen. Das Problem dabei ist, dass die Abgeordneten die wichtigen Referentenpapiere offiziell überhaupt nicht erhalten, wie Anke Martiny von Transparency International klar stellte. Sie müssen sie sich selbst hinter der Hand besorgen - in der Regel eben über Lobbyisten.
Die Verflechtung der beiden "Systeme" ist damit groß - was sich keineswegs immer zum Besten der Gesellschaft auswirkt. So hat sich nach Lauterbach beispielsweise der Einfluss von Lobbyisten bei der Reform des "Gesundheitssystem" als äußerst schädlich erwiesen: der deutsche Ansatz verbinde nun die Nachteile sowohl des Systems staatlicher Kontrolle aus Skandinavien wie auch das des US-amerikanischen Wettbewerbs. Der allseits und auch von Thierse vorgebrachte Ruf nach mehr "Transparenz" in den Beziehungen zwischen den Volks- und den anderweitigen Interessenvertretern reiche da nicht aus. "Die Lobbygruppen im System müssen entmachtet werden", so der Forscher.
Zahlreiche weitere Beispiele für die "Krake" Lobbyismus werden im Buch angesprochen, beispielsweise die lobbyistische Aufbereitung des Börsengangs der Deutschen Telekom, bei dem viele Kleinanleger viel Geld verloren haben. Oder durch die Vermischung von Lobbyismus und PR sowie die Überhandnahme von Kampagnen wie die des "BürgerKonvents" (Die anonymen Anpacker) oder der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", mit denen die Interessen der sie zahlenden Wirtschaft der Anstrich einer Bürgerbewegung verpasst werden soll.
Sklerose im politischen System
Doch nicht die "echten" Lobbyisten sind am auch von Thierse herausgearbeiteten "Bedeutungsverlust des Politischen" schuld. Er schmiere nicht und er ziehe keine Strippen, hielt Wolf-Dieter Zumpfort aus dem Vorstand der TUI ein Plädoyer auf die Ehre der Zunft. "Rufen Sie mich an", warb das Mitglied des nur Konzerne mit eigenen "Hauptstadtrepräsentanzen" vertretenden Lobby-Nobelvereins "Collegium" für die Offenheit seines Tuns.
Einfluss gewinne man allein durch "Vernunft in den Argumenten" und "gute Informationen", sonst sei man sofort "verbrannt". Viel demokratiegefährdender als die offen agierenden Lobbyisten sind seiner Ansicht "Runde Tische", "Hartz-Kommissionen" und andere Ausgeburten des "sklerotischen" politischen Systems in einem föderalistischen Staat.
Wenn man bedenkt, welche Gesetzeswünsche gerade im Telekommunikationsbereich immer wieder aus den Ländern kommen und nur noch einem Ausbau des Überwachungsstaat das Wort reden (Rechtsausschuss für Vorratsdatenspeicherung), und wenn man die These akzeptiert, dass das gegenwärtige politische System auf die Einflussnahme professioneller Berater angewiesen ist, gilt es folglich, den Lobbyismus zum einen stärker zu kontrollieren und die Formen der Interessensvertretung über die wirtschaftlichen Aktivitäten auszudehnen.
Informationsdominanz erzielen
Hilfreich kann dabei ein Blick in das ebenfalls vor kurzem erschienene Handbuch des deutschen Lobbyisten geben. Der Band mit dem leicht nationalistischen Titel stammt aus der Feder von Gunnar Bender, Leiter politische Kommunikation des US-Konzerns Time Warner in Hamburg, und dem langjährigen Bundestagsmitarbeiter Lutz Reulecke, also direkt von Praktikern. Dementsprechend geht es im Gegensatz zum Werk von Leif und Speth nicht um "wissenschaftliche Schnörkel" - und mit einer Argumentation für oder gegen Lobbyismus halten sich die Autoren nach der Eröffnung "eines neuen politischen Schlachtfelds" nach dem Umzug der Regierung nach Berlin erst gar nicht auf. Für sie ist es - geprägt durch amerikanische Erfahrungen - gar keine Frage, dass "die Lobbyarbeit ein akzeptierter Teil der Meinungsbildung" und im Berliner - sowie verstärkt im Brüsseler - Verwaltungsdschungel ein "Must" ist.
Ganz selbstverständlich führt das Handbuch so auch die Non-Profit- und Nichtregierungsorganisationen als wichtige Spieler ins Lobbyistenfeld ein. Aufschlussreich sowohl für Freunde wie Gegner der gesteuerten Interessensvertretung sind die Einführung in die "Arbeitstechnik des Lobbyisten" in einem ganzen Kapitel. Den Verfassern nach geht es dabei vor allem um das Erzielen einer Art Informationsdominanz. Also darum, sensible Themen zu entdecken, auf die politische Agenda zu setzen und letztlich die eigenen Ziele durchzudrücken. Dazu wird anhand von Übersichten auch geklärt, wie und in welchen Gremien Gesetze überhaupt entstehen und an welchen Punkten dabei - etwa auch über das Einspannen der Opposition oder des Bundesrats - Entscheider beeinflusst werden können.
Das "How-to"-Buch ist aber gemäß seines Charakters nicht ganz frei von Allgemeinplätzen wie der "Grundregel" unter dem Stichwort "Lampenfieber", sich doch als Lobbyist bloß "nicht von der exponierten Position des Gegenübers beeindrucken" zu lassen. Dass Lobbyveranstaltungen des zu Time Warner gehörenden Providers AOL als "Beispiel für eine gelungene parlamentarische Mittagsveranstaltung" aufgeführt werden, ist auch nicht ganz frei von einem eigenen "Geschmäckle".
Weitere Ausgeburten der zunehmenden Debatte über Lobbyismus in Deutschland sind die ebenfalls in diesem Jahr herausgekommenen Bücher Lobbying - Strukturen, Akteure, Strategien, von einem Autorenkollektiv aus der Verbändeforschung sowie eine weitere Anleitung zum "perfekten" Lobbying in Form eines Praxishandbuch für Unternehmen von Hans Merkle, dem Ehrenpräsident des Weltverbands der Werbetreibenden in Brüssel.
Von Stefan Krempl ist soeben das Telepolis-Buch Krieg und Internet: Ausweg aus der Propaganda? im Verlag Heinz Heise erschienen. Der Autor hat zu Themen rund um das Buch das Weblog Der Spindoktor eingerichtet.