Lokführerstreik: Alle Räder stehen still
Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) beginnt noch heute mit massiven Arbeitsniederlegungen bei der Deutschen Bahn
Mit einem flächendeckenden, zunächst aber auf 55 Stunden begrenzten Streik will die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) unmissverständlich klarmachen, dass sie nicht gewillt ist, die von der Deutschen Bahn AG geplanten Lohneinbußen, Betriebsrentenkürzungen und Verschlechterungen bei den Schichtdienstplanungen kampflos hinzunehmen. Die erste Streikwelle beginnt bereits am heutigen Dienstag um 19 Uhr mit dem Güterverkehr. Am Mittwochmorgen um zwei Uhr sollen der gesamte Personenfern- und Nahverkehr sowie die Netzinfrastruktur folgen.
Am Freitagmorgen sollen die Züge wieder rollen. "Gemessen an der Stimmung in der Belegschaft könnte der Streik gar nicht lange genug dauern", so der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky. Mit diesem Zeitfenster versuche die GDL jedoch, den Ferien- und Wochenendverkehr nicht zu stark zu beeinträchtigen.
Die Reaktion des Managements entscheide dann darüber, ob, wann und in welcher Intensität weitere Arbeitskämpfe folgen werden. "Scheinangebote" seien aber "nicht verhandelbar". Das betreffe besonders die Nullrunde. Auch akzeptiere man nicht, dass die Betriebsrenten der Eisenbahner gekürzt werden sollen, zum Beispiel nach 30 Berufsjahren von 150 auf 100 Euro, "während sich das Management mit Altersbezügen von bis zu 20.000 Euro pro Monat die Taschen vollstopft".
Auch eine weitere Flexibilisierung der Schichtpläne, womit wieder mehr kurzfristige Einsätze ermöglicht werden sollen, käme für die GDL nicht in Frage. Er warnte zudem vor der "Illusion", dass die GDL wegen vermeintlich fehlenden Rücklagen keinen längeren Arbeitskampf durchhalten könnte: "Wie lange wir das tatsächlich könnten, wenn es notwendig ist, mag sich wohl niemand vorstellen".
95 Prozent der Mitglieder für Streiks
Die Streikankündigung erfolgte unmittelbar nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Urabstimmung am Dienstag vormittag in Frankfurt. 95 Prozent der Mitglieder unterstützen demnach die Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen für die Durchsetzung der Tarifforderungen der Gewerkschaft bei der Deutschen Bahn (DB). Die Wahlbeteiligung lag bei über 70 Prozent.
Die GDL verlangt angelehnt an den Tarifabschluss des Öffentlichen Dienstes eine Einkommenserhöhung von 1,4 Prozent plus eine Corona-Prämie in diesem Jahr sowie weitere 1,8 Prozent im nächsten Jahr. Weselsky wies darauf hin, dass man in den vergangenen Wochen derartige Abschlüsse bereits mit großen privaten Konkurrenten der DB im Güter- und Personenverkehr wie Netinera und Transdev erzielt habe. Der Konzern beharrt aber auf einer Nullrunde für 2021, wie sie auch mit der konkurrierenden, zum DGB gehörenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vereinbart wurde, und lehnt eine Corona-Prämie ab. Weiterer Streitpunkt ist die Laufzeit des neuen Tarifvertrages. Die Tarifverhandlungen waren bereits im Januar für gescheitert erklärt worden, eine anschließende Schlichtung verlief ergebnislos.
Erstmals stellt die GDL ihre Forderungen nicht nur für Lokführer und andere Berufsgruppen des rollenden Personals wie Zugbegleiter und Bordgastronomen auf, sondern auch für Eisenbahner der Fahrzeug- und Fahrweginstandhaltung (Werkstatt und Bahnbau), der Netzinfrastruktur (Fahrdienstleiter, Signalwerkstätten, Bahnhöfe und Energieversorgung) sowie Teilen der Eisenbahnverwaltung.
Für die GDL eine Frage der Existenz
Für die GDL ist laufende Tarifrunde also auch eine Existenzfrage. Sie muss ihren Mitgliedern beweisen, dass sie nach wie vor genug Kampfkraft für die Durchsetzung ihrer tarifpolitischen Ziele hat. Gelingt ihr das, würde auch die vor einigen Monaten gestartete Kampagne zur Gewinnung neuer Mitglieder in bislang nicht von der GDL organisierten Berufsgruppen neuen, zusätzlichen Schwung bekommen. Laut Weselsky hat die GDL in diesem Jahr mehr als 3.000 neue Mitglieder gewonnen. Da die Bahn und die EVG dies mit allen Mitteln verhindern wollen, ist eine Eskalation der Auseinandersetzung unausweichlich.
Der Konzern will in dieser Tarifrunde erstmals das seit 2015 geltende Tarifeinheitsgesetz (TEG) in Anwendung bringen, laut dem die Tarifverträge mit der jeweils mitgliederstärksten Gewerkschaft verbindlich sind. Im Gesamtkonzern ist das unzweifelhaft die EVG, doch in vielen der 71 Bahn-Betriebe, in denen beide Gewerkschaften vertreten sind, ist es nach eigenen Angaben die GDL. Rechtswirksam festgestellt sind die Mehrheitsverhältnisse bislang aber nicht. Eine Sonderregelung zum Verzicht auf die Anwendung des TEG war im Dezember 2020 ausgelaufen. Eine Verlängerung scheiterte am erbitterten Widerstand der EVG.
Weselsky appellierte an den Bund als Eigentümer des DB-Konzerns, das Management "zur Vernunft zu bringen". Das betreffe nicht nur die aktuelle Auseinandersetzung, sondern die gesamte Ausrichtung des Konzerns, der über Jahrzehnte zweistellige Milliardenbeträge in desaströsen, eisenbahnfernen Investments in allen Teilen der Welt versenkt habe, statt das System Schiene in Deutschland zukunftsfest zu machen. Dafür würden die Eisenbahner jetzt nicht mit Reallohnabbau die Zeche zahlen.
Streiks als ermutigendes Signal
DB-Personalchef Martin Seiler bezeichnete die angekündigten Streiks als "Attacke auf das ganze Land" und kündigte die Prüfung juristischer Schritte gegen die Arbeitsniederlegungen an. Dabei gehe es um die "Verhältnismäßigkeit" von Streiks in dieser Situation und möglicherweise "rechtswidrige Forderungen" der GDL.
Alles spricht dafür, dass sich somit eine der härtesten Tarifauseinandersetzungen der vergangenen Jahre anbahnt. Und das ist auch gut. Denn angesichts der ganz großen Corona-Rechnung, die nach der kommenden Bundestagswahl den Bürgern präsentiert werden wird, ist ein deutliches Signal gegen drohende Sozial- und Lohnkahlschäge dringend notwendig. Und es ist nicht das erste Mal, dass die GDL dabei eine Vorreiterrolle annimmt.
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