Lukrativer Wahnsinn

Die Energie- und Klimawochenschau: Kanada gibt den Klimaschutz auf, die EU operiert mit Mogelpackungen und die Zukunft der Klimaverhandlungen ist weiter ungewiss

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Einige haben eine ganz besondere Art, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Wenig mehr als 24 Stunden nach dem verspäteten Abschluss der UN-Klimakonferenz im südafrikanischen Durban hat Kanadas Umweltminister Peter Kent angekündigt, sein Land ziehe sich aus dem Kyoto-Protokoll zurück.

Der Vertrag sei nicht der richtige Weg für Kanada und für die Welt, wird Kent von den Nachrichtenagenturen zitiert. Fragt sich, was dann der richtige Weg sein könnte? Etwa Kanadas bisherige Politik? 1997 hatte sich das Land in der japanischen Kaiserstadt verpflichtet, seine Emissionen in der Zeit zwischen 2008 und 2012 um sechs Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 reduziert zu haben.

Daraus geworden ist allerdings nichts. Nach den von der Klimaschutzrahmenkonvention veröffentlichten Zahlen hat das Land 2009 rund 30 Prozent mehr an Treibhausgasen in die Luft geblasen als noch 19 Jahre zuvor. Pro Kopf und Jahr waren es etwa 20 Tonnen CO2 und andere Treibhausgase. Hauptgrund für den katastrophalen Anstieg vom ohnehin schon hohen Niveau dürfte der Abbau von Teersänden in der Provinz Alberta sein, über den Telepolis wiederholt berichtete ( Die denkbar schmutzigste Variante, Konventioneller Raubbau oder Der kanadische Ölsand-Komplex).

Klimakiller Teersand

Der Abbau zerstört nicht nur im großen Maßstab die zuvor meist unberührt gewesene Landschaft und verseucht Seen und Flüsse, er ist auch enorm energieintensiv. Und da diese Energie zumeist von Kohlekraftwerken, Dieselmotoren und Gasbrenner zur Verfügung gestellt wird - letztere für die Erzeugung von heißem Dampf, der das Bitumen aus dem Sand löst und in eine Art synthetisches Rohöl verwandelt - ist das gleichbedeutend mit umfangreichen CO2-Emissionen, die das Klima erwärmen.

Um die Sache noch schlimmer zu machen, wird in Alberta nicht gewöhnliches Erdgas verwendet, sondern solches aus sogenannten unkonventionellen Quellen, wie sie in den letzten Jahren in ganz Nordamerika massenhaft erschlossen werden. Dabei handelt es sich um eine Art von Lagerstätten, auf die auch hierzulande und im benachbarten Polen verschiedene Energiekonzerne inzwischen ein begehrliches Auge geworfen haben. Das Gas ist in ihnen in kleinen Gesteinsporen eingeschlossen. Diese müssen zunächst aufgebrochen werden, indem Chemikalien und Wasser unter hohem Druck in das Gestein gepresst werden. Fracking wird diese Methode in den USA genannt, von wo es bereits zahlreiche Klagen über verunreinigte Grundwasserreservoirs gibt.

In diesen Wahnsinn, der offensichtlich ein gutes Geschäft darstellt, möchte sich die kanadische Regierung ungern reinreden lassen. In Alberta lagert rund ein Drittel der weltweit bekannten Teersandvorkommen. Zehn Prozent davon sind derzeit unter ökonomischen Bedingungen abbaubar, doch ein steigender Ölpreis wird sicherlich dazu führen, das immer tiefer gegraben wird. Schon diese zehn Prozent reichen aber aus, den weltweiten Bedarf auf dem jetzigen Niveau für knapp sechs Jahre abzudecken. Ausgebeutet werden die Vorkommen übrigens unter anderem von US-amerikanischen (ExxonMobil), europäischen (Shell) und chinesischen (Sinopec) Konzernen.

Das Kyoto-Protokoll

Nun ist Kanada also aus dem Kyoto-Protokoll ausgetreten, und man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um einen ziemlich direkten Zusammenhang zu den Interessen der genannten Konzerne und der anderen im Teersandgeschäft tätigen Unternehmen zu sehen. Eigentlich formal relativ unbedeutend, denn es verbleiben immer noch 191 Mitgliedsstaaten (hier die Liste) und der Vertrag läuft ohnehin Ende 2012 aus.

Entgegen weitverbreiteten anderslautenden Annahmen sind nämlich fast alle Staaten der Welt Mitglied des Ende nächsten Jahres auslaufenden Vertrages. Nun ist Kanada also dem recht exklusiven Club jener Staaten beigetreten, die meinen, abseits stehen zu können, wenn es um den internationalen Klimaschutz geht.

Ansonsten gehören diesem vor allem die USA an, die seinerzeit zwar bei den Verhandlungen in Japan manches beisteuerten, um das Protokoll zu verwässern, und es auch unterschrieben, es dann aber nicht ratifizierten. Die allgemein in Europa und Nordamerika sehr beliebten indischen und chinesischen Sündenböcke sind hingegen wie auch die anderen Entwicklungs- und Schwellenländer Mitglieder des Kyoto-Protokolls.

Allerdings sprechen die Verträge, sowohl das Protokoll als auch die Rahmenkonvention, bisher von einer "gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung". Im Klartext heißt das, dass die Industriestaaten, die für den bisherigen Anstieg der Treibhausgaskonzentration von 270 auf 380 Millionstel Volumenanteilen (ppm) verantwortlich sind, voran gehen müssen. Den Entwicklungsländern sollte hingegen durch rasches Handeln der fortgeschritteneren Volkswirtschaften mehr Raum für ihre Industrialisierung verschafft werden.

Eine Geschichte der Verzögerungen

Doch aus dem raschen Handeln ist nicht recht was geworden. In der Rahmenkonvention war 1992 vereinbart worden, dass die Industriestaaten in einem ersten Schritt ihre Emissionen bis zum Jahre 2000 auf das Niveau von 1990 zurückfahren. Vier Jahre später, US-Präsident war zu jener Zeit Bill Clinton, seine Vize hieß Al Gore, zimmerten US-Diplomaten allerdings eine Argumention zusammen, wonach es sich dabei um keine verbindliche Verpflichtung handele. Auch das Protokoll, das man sich bereits von der ersten Vertragsstaatenkonferenz der Konvention 1995 in Berlin erhofft hatte, war nicht zustande gekommen. Der deutsche Umweltminister Klaus Töpfer, der als Gastgeber maßgeblich für einen Entwurf verantwortlich gewesen wäre, wurde von seinen Kabinettskollegen zurückgepfiffen und trat wenige Monate vor der Konferenz zurück. Seine Nachfolgerin Angela Merkel zeigte wenig Engagement und kümmerte sich nur darum, dass der Sitz des Sekretariats der Konvention nach Bonn kam.

Zwei Jahre später kam das Protokoll dann schließlich zustande. Die ursprüngliche Verpflichtung aus der Konvention wurde sang- und klanglos begraben. Statt dessen definierte der neue Vertrag für 39 Industriestaaten konkrete Werte für die erlaubten Emissionsmengen im Zeitraum 2008 bis 2012. Die Liste findet sich ganz am Ende des Vertragstextes. Ausgedrückt werden sie wie üblich in Prozent der Emissionen im Referenzjahr 1990. Wie man sehen kann, wurde einigen Ländern - wie etwa Australien oder Norwegen - sogar eine Erhöhung ihrer Emissionen zugestanden.

Für das damals wie heute widerstrebende Russland wurde ein gleichbleibendes Niveau vereinbart, was für das Land äußerst komfortabel ist. Da nach 1990 die Emissionen stark zurückgegangen sind - 2009 betrugen sie weniger als 50 Prozent des ursprünglichen Wertes, aber immer noch mehr als zehn Tonnen pro Kopf und Jahr - sind die eingegangenen Verpflichtungen also keinerlei Last. Im Gegenteil: Das Kyoto-Protokoll erlaubt sogar noch den Verkauf der von ihm definierten aber nicht benötigten Emissionsrechte an ein anderes Industrieland, das damit seine Bilanz aufschönen kann. Japan hat von dieser Möglichkeit zum Beispiel Gebrauch gemacht.

Globales Misstrauen

Bei dieser Vorgeschichte wundert es nicht, dass inzwischen tiefes Misstrauen zwischen Nord und Süd das Klima auf den Konferenzen bestimmt. Kanadas jüngster Schritt wird mit Sicherheit dazu beitragen, die Stimmung weiter zu verschlechtern. Sunita Nahrein, langjährige Direktorin des Centre for Science and Environment in Neu Delhi, Beobachterin zahlloser Klimagipfel seit Anfang der 1990er Jahre und in Durban Beraterin der indischen Umweltministerin, beschreibt in einem Beitrag in The Tribune dieses "globale Misstrauen", das in Durban einen neuen Höhepunkt erlebt habe.

Es sei keine Frage, dass die Reduktion der Treibhausgasemissionen immer dringlicher werde, und tatsächlich hat die Autorin schon vor über 20 Jahren vor den Folgen des Klimawandels gewarnt. Auch sei es notwendig, dass der neue Vertrag, der nun wie berichtet (Auf dem Weg zu einem weltweiten Klimaabkommen) bis 2015 ausgehandelt werden und ab 2020 in Kraft treten soll, alle Länder, also auch die Schwellenländer, zu Reduktionen verpflichte. Aber ihrer Ansicht nach spricht nichts dafür, dass die USA den neuen Vertrag umsetzen.

Insofern sollte vielleicht wirklich endlich dazu übergegangen werden, eine "Koalition der Willigen" zu formieren, das heißt, anstatt die Verhandlungen ewig von den USA aufhalten zu lassen, lieber einen Vertrag mit denjenigen möglichst zügig auszuhandeln, die dazu bereit sind. Die BASIC-Staaten Brasilien, Südafrika, Indien und China, die sich in der Klimapolitik in letzter Zeit eng abstimmen, haben in Durban angedeutet, dass sie dazu bereit sein könnten. Mit der dort verabschiedeten Durban-Plattform haben sie erstmals zugesichert, sich künftig auf verbindliche Emissionsziele festzulegen.

Aber auch ohne diese haben die Schwellenländer zum Teil schon erhebliche Anstrengungen unternommen. Die Volksrepublik hat sich zum Beispiel innerhalb weniger Jahre zur führenden Windenergie-Nation entwickelt und nirgendwo sonst wird soviel Solarthermie für Heißwasser und Heizung eingesetzt wie im Land der Mitte. Da das aber alles andere als ausreichend ist, wie nicht zuletzt an der extrem schlechten Luftqualität in vielen chinesischen Großstädten abzulesen ist, wächst auch in der Bevölkerung inzwischen der Druck für mehr Umweltschutz.

Um aber eine Koalition der Willigen zustande zu bekommen, müsste sich auch die EU mehr bewegen. Ihr Ziel, die Emissionen bis 2020 um 20 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken, mag im Vergleich zur US-Politik auf den ersten Blick ziemlich progressiv aussehen. Bei näherem Hinsehen ist es aber mehr eine Mogelpackung. Nach den Zahlen des Sekretariats der UN-Klimaschutzrahmenkonvention lagen die Emissionen der 27 Mitglieder bereits 2009 um 20,27 Prozent unter dem Niveau von 1990. Zu einem erheblichen Teil ist das einfach eine Folge der Deindustrialisierung und Modernisierung in den ehemaligen Ostblockstaaten nach 1990.

Das zeigt sich unter anderem schon daran, dass die 15 älteren EU-Mitglieder es im gleichen Zeitraum nur auf etwas über 15 Prozent Reduktion brachten. Und auch davon ging noch ein Teil auf das Konto der Umstrukturierungen hinter der einstigen Systemgrenze, denn zu den älteren Mitgliedern gehört natürlich auch Deutschland. Somit wird auch das Gebiet der ehemaligen DDR zur EU15 gezählt, dessen Emissionen ebenfalls nach 1990 drastisch eingebrochen sind.

Mit anderen Worten: An effektiven Klimaschutzmaßnahmen hat es in den Industriestaaten auch nach über 20 Jahren internationaler Verhandlungen bisher ziemlich wenig gegeben. Der einzige Lichtblick ist das solide Fundament für den massiven Ausbau der erneuerbaren Energieträger, das inzwischen besteht. Aber auch hier bemühen sich in vielen Ländern, nicht zuletzt in Deutschland, Energiekonzerne und konservative Politiker, dem Fortschritt möglichst viele Steine in den Weg zu legen (siehe EEG-Umlage schön(hoch)gerechnet).

Mehr Rad fahren

Und zum Schluss die gute Nachricht der Woche: Wenn alle Europäer so viel radeln würden wie die Dänen, könnten in der EU jährlich 63 bis 142 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Das wäre immerhin fast ein Viertel des für 2050 für den Verkehrssektor gesetzten Einsparziels.

Die Rechnung zeigt, dass zwar der Energiesektor mit seinen Kohlekraftwerken eine große Rolle für den Klimawandel spielen mag, aber auch der Straßenverkehr nicht zu vernachlässigen ist. Auf ihn gehen hierzulande, je nachdem ob der hier verbrauchte oder nur der hier verkaufte Treibstoff zugrunde gelegt wird, zwischen 15 und 20 Prozent der Treibhausgasemissionen zurück.