Lula in Washington: USA sollten ihre Einmischungspolitik beenden
Der neue brasilianischen Präsident besucht die USA. Er kritisiert die russische Ukraine-Besetzung wie die US-Interventionen in Lateinamerika. Über Brasiliens neue weltpolitische Rolle.
Am heutigen Freitag besucht der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva das Weiße Haus und trifft dabei mit Präsident Joe Biden zusammen. Das ist Lulas erste Reise in die nördliche Hemisphäre seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte am 1. Januar, womit Lula seine dritte Amtszeit in Brasilien antritt.
Seine erste internationale Reise führte ihn ins benachbarte Argentinien zum Gipfeltreffen der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC). Die CELAC wurde 2010 als Gegengewicht zur von den USA dominierten Organisation Amerikanischer Staaten gegründet und umfasst 33 Länder, darunter Venezuela und Kuba.
Nach dem Austritt Brasiliens unter seinem Vorgänger nutzte Lula die Gelegenheit, die Unterstützung seines Landes für eine Politik der Nichteinmischung in der Region zu bekräftigen.
"Genauso wie ich gegen die Besetzung von Territorien bin, wie es Russland mit der Ukraine getan hat", sagte Lula in seiner Rede, "bin ich gegen jede Einmischung in den Prozess in Venezuela". Mit der Rückkehr Brasiliens in die CELAC bestärkt das Land sein Engagement für die regionale Integration, die Lula als entscheidend für die Interessen seines Landes und den gemeinsamen Wohlstand in der Region ansieht.
Im Vorfeld seines Besuchs in den USA hat Lula angedeutet, dass er den Zustand der Demokratie in der Welt sowie konkretere Themen wie die Bekämpfung des Klimawandels und die Intensivierung des Handels diskutieren möchte. Beide Politiker werden wahrscheinlich auch einen Blick auf das Jahr 2024 werfen, wenn sich die Anerkennung der Unabhängigkeit Brasiliens durch die USA zum 200. Mal jährt.
Vielleicht wird es bei dem Treffen zwischen Biden und Lula vor allem darum gehen, dass sich die beiden Politiker ein Bild voneinander machen. Beide sind warmherzige, umgängliche, langjährige Politiker, deren Rhetorik oft von emotionalen Appellen geprägt ist. Wie sich ihre persönliche Beziehung in der Politik niederschlagen wird, wird wichtig zu beobachten sein, zu einem Zeitpunkt, an dem Biden in sein vorletztes und Lula in sein erstes Amtsjahr geht.
Ursprünglich wurde erwartet, dass Lula einige Tage lang mit Vertretern der Zivilgesellschaft und Wirtschaftsführern zusammentreffen würde, doch nun sieht es so aus, als würde die Reise kurz ausfallen. Es ist geplant, dass er sich vor dem Besuch im Weißen Haus mit sympathisierenden Kongressabgeordneten trifft und vor der AFL-CIO spricht [American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations ist der mitgliederstärkste Gewerkschafts-Dachverband der USA und Kanadas].
Doch bereits nach weniger als 48 Stunden Aufenthalt wird er nach Brasilien zurückkehren. Der Grund für diese Eile ist nicht ganz klar. Einerseits ist es ein Moment der Offenheit und des guten Willens zwischen den USA und Brasilien. Schließlich hat die Biden-Administration den Sieg Lulas über Bolsonaro schnell anerkannt und erhebliche Anstrengungen unternommen, um Lulas Vorgänger von Versuchen abzubringen, sich in die demokratischen Prozesse Brasiliens einzumischen.
Auf der anderen Seite gibt es vielleicht bei vielen in der brasilianischen Linken immer noch Ressentiments und Misstrauen gegenüber der Rolle Washingtons in der brasilianischen Politik seit 2016. Lula und seine engsten Vertrauten haben die USA beschuldigt, an Machenschaften beteiligt gewesen zu sein, die vor fünf Jahren zu seiner Verhaftung führten.
Es sei auch daran erinnert, dass die Nationale Sicherheitsbehörde der USA Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff während der Obama-Regierung ausspionierte. Lulas derzeitiger Außenminister, Mauro Vieira, bekleidete das gleiche Amt unter Rousseff bei ihrem ersten Besuch in Washington nach dem diplomatischen Zwischenfall. Es ist unklar, inwieweit diese jüngsten historischen Episoden zu der Entscheidung beigetragen haben, Lulas Besuch in den USA kurzzuhalten, aber sie werden der brasilianischen Delegation sicherlich zu denken geben.
Brasilien wird seine außenpolitischen Prioritäten unabhängig festlegen
Wenn man sich diese Geschichte vor Augen hält – einschließlich des langen Erbes des Kalten Krieges, als die USA 1964 einen Staatsstreich gegen den demokratischen Präsidenten Brasiliens unterstützten –, kann der Besuch zu einer produktiven Arbeitsbeziehung zwischen Biden und Lula beitragen. Beide waren konfrontiert mit einer hartnäckigen Opposition, die von ihren in Wahlen unterlegenen Vorgängern geschürt wurde.
Neben gemeinsamen Prioritäten bei Handel und Einwanderung hat sich zudem herauskristallisiert, dass beide auf die Verteidigung der Demokratie fokussiert sind. Aber Brasilien kann und wird seine außenpolitischen Prioritäten unabhängig festlegen. Es wird weder mit den USA noch mit seinen Gegnern eine einheitliche Linie verfolgen.
Tatsächlich ist es für die Biden-Administration wohl am wichtigsten, die Tatsache im Auge zu behalten, dass Brasilien die globalen Herausforderungen in dieser gefährlichen Zeit – in der ein Krieg in Europa stattfindet, die Spannungen zwischen den USA und China sich verschärfen und der Iran nukleare Ambitionen verfolgt, neben anderen Quellen transnationaler Besorgnis – von seinem eigenen Standpunkt aus annimmt.
Lulas Einschätzung der Lage in Venezuela, Nicaragua und Kuba unterscheidet sich beispielsweise von der Bidens. Einige haben Lula dafür kritisiert, dass er es versäumt hat, antidemokratische Regierungen in seiner eigenen Region und darüber hinaus direkter zu kritisieren.
Aber die Frage, ob Lula sich laut genug zu solchen Themen äußern sollte, geht am eigentlichen Punkt vorbei. Wichtiger ist die Frage, ob solche Kritik etwas bewirken kann. Staatschefs wie Nicolás Maduro in Venezuela, Daniel Ortega in Nicaragua oder Wladimir Putin in Russland sind international isoliert. Was erreichte Lula, wenn er sie angreifen würde? Welches Ziel würde damit verfolgt? Die Antwort darauf ist unklar.
Ob man ihm nun zustimmt oder nicht, Lulas außenpolitischer Ansatz ist durchaus rational: Brasilien sollte sich aus Konflikten, die seine unmittelbaren Interessen nicht berühren, so weit wie möglich heraushalten, um seine Glaubwürdigkeit und seine Bereitschaft zu wahren, später als Vermittler auftreten zu können.
Anstatt sich über die Loyalitäten Brasiliens aufzuregen, sollte die Biden-Administration den gegenwärtigen Kurs des Landes als legitime Strategie anerkennen, die in der Geschichte der Blockfreiheit wurzelt.
Anstatt Lula unter Druck zu setzen, sich der von Biden präferierten Politik anzuschließen, sollten die Vereinigten Staaten das Potenzial Brasiliens anerkennen, zur Lösung einiger hartnäckiger globaler Probleme beizutragen, die Washington allein nicht bewältigen kann. Schließlich hat Brasilien deutlich gemacht, dass es sich seine Außenpolitik nicht vom Wettstreit der Supermächte diktieren lassen wird.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft und ist hier im englischen Original zu finden. Übersetzung: David Goeßmann.
Andre Pagliarini ist Professor für Geschichte am Hampden-Sydney College in Virginia. Er hat für die New York Times, The Guardian, New Republic und Jacobin sowie in wissenschaftlichen Zeitschriften wie Latin American Research Review und Latin American Perspectives veröffentlicht. Er ist außerdem Stipendiat des Brasilien-Büros in Washington und monatlicher Kolumnist für The Brazilian Report.