Lula vs. Bolsonaro: Warum die Wahl in Brasilien ein globales Ereignis ist
- Lula vs. Bolsonaro: Warum die Wahl in Brasilien ein globales Ereignis ist
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Noam Chomsky und Vijay Prashad sagen, dass die anstehende Wahl in Brasilien eine Schicksalswahl ist. Es geht nicht nur um einen neuen Sozialvertrag in Brasilien. Warum auch die Weltordnung bei Lula vs. Bolsonaro auf dem Spiel steht.
Die brasilianische Präsidentschaftswahl wird am 30. Oktober in einer Stichwahl entschieden, nachdem der linksgerichtete ehemalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei der Wahl vor einer Woche mit 48 Prozent der Stimmen gegenüber dem amtierenden rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro, der 43 Prozent erhielt, keine Mehrheit erreichte.
Bolsonaro übertraf die Erwartungen der letzten Umfragen, die auf einen klaren Sieg Lulas hingedeutet hatten. Die Präsidentschaftswahl gilt als eine der wichtigsten Wahlen in Lateinamerika, bei der viel auf dem Spiel steht. Lula kandidiert mit dem Ziel, die Ungleichheit zu verringern, den Amazonas-Regenwald zu erhalten und die indigenen Gemeinschaften Brasiliens zu schützen, nachdem Bolsonaro die Schutzmaßnahmen für die Umwelt und die indigene Bevölkerung abgebaut hat.
Das Interview mit den politischen Analysten und Brasilien-Kennern Noam Chomsky und Vijay Prashad wird von Amy Goodman und Juan González geführt. Telepolis veröffentlicht es in Kooperation mit US-Programm Democracy Now.
Noam Chomsky, fangen wir mit Ihnen an: Was bedeutet die Wahl zwischen dem rechtsextremen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro und dem ehemaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva nicht nur für Brasilien, sondern für die ganze Welt?
Noam Chomsky: Sie ist sehr bedeutsam – nicht nur für Brasilien, sondern für die Welt –, in vielerlei Hinsicht. Sie haben einen Aspekt davon schon erwähnt: das Schicksal des Amazonas. Der größte Teil des Amazonasgebiets liegt in Brasilien. Von den beiden Kandidaten ist einer, der derzeitige Präsident Bolsonaro, grundsätzlich für die Zerstörung des Amazonasgebiets. In den Jahren seiner Amtszeit hat er den illegalen Holzeinschlag, den Bergbau, das Agrobusiness und die Besteuerung der indigenen Reservate stark beschleunigt.
Es ist schon seit einiger Zeit bekannt, dass früher oder später, wenn die Zerstörung des Waldes weitergeht, nicht mehr genug Feuchtigkeit produziert wird, um den Amazonas zu reproduzieren. Er wird sich in eine Savanne verwandeln. Bedauerlicherweise beginnt das bereits zu geschehen. Satellitenaufnahmen und Studien haben gezeigt, dass es in einigen Teilen des Amazonasgebiets in Brasilien bereits geschieht. Der Kipppunkt könnte bald erreicht sein, was unumkehrbar wäre.
Das ist eine Katastrophe für Brasilien, aber eigentlich für die ganze Welt. Der Amazonaswald ist eine der wichtigsten Kohlenstoffsenken und wird bald zum Kohlenstoffproduzenten werden. Das ist verheerend für die Welt. Und das ist Bolsonaros Politik. Allein aus diesem Grund wird es eine Katastrophe für die Welt sein, wenn er es irgendwie schafft, an der Macht zu bleiben, vielleicht durch einen Militärputsch.
In den Vereinigten Staaten gibt es ein Gegenstück zur Bolsenaro-Politik. Die Republikanische Partei ist natürlich zu 100 Prozent Klimaleugner-Partei, die sich für die Maximierung der Nutzung fossiler Brennstoffe einsetzt und Vorschriften abschafft, die deren Auswirkungen irgendwie abmildern. Wenn sie wieder an die Macht kommen, werden sie uns auf eine Katastrophe rasen lassen. Allein aus diesen Gründen sind die nächsten Monate von großer Bedeutung.
Es gibt noch viele andere Faktoren. Die brasilianische Geschäftswelt mag Bolsonaro nicht. Er ist zu vulgär und korrupt. Aber sie mögen Lula noch weniger, wegen seiner sozialdemokratischen Politik. Es ist also nicht so klar, wie sie sich positionieren werden.
Unklar ist auch der Charakter des Militärs, der Polizei, der verschiedenen Zweige der Polizei. Sie neigen dazu, Bolsonaro zu unterstützen. Das Militär ist gespalten. Es gab eine starke militärische Komponente in der gegenwärtigen Regierung – eigentlich beispiellos –, aber andere Elemente des obersten Militärkommandos sind nicht eindeutig zu verorten. Das ist natürlich ein Grund zur Besorgnis.
Bolsonaro hat offen und deutlich gesagt, dass er – im Grunde Trumps Linie folgend, wahrscheinlich mit Trumps Beratern an seiner Seite – die Wahl gewinnen wird, und wenn nicht, sie als gefälscht erklären und nicht akzeptieren wird. Tatsächlich hat er alle Botschafter zu einer Sondersitzung einberufen, um ihnen das mitzuteilen, was die diplomatische Gemeinschaft schockierte und zu negativen Reaktionen führte. Ob er sich daran halten wird oder nicht, weiß niemand so recht. Es herrscht also eine gewisse Grundspannung.
Aber ich sollte sagen, dass das Wenige, was wir auf den Straßen und in den Kommunen sehen, ziemlich normal wirkt. Wenn es also Sorgen gibt, werden sie nicht sehr offen geäußert. Es gab vor kurzem Debatten, die stundenlang dauerten, inklusive Demonstrationen und so weiter. Die Bedeutung der Wahl ist also in den Köpfen der Menschen. Aber wenn die Umfragen auch nur annähernd zutreffen, könnte Lula in der zweiten Wahl gewinnen. Aber dann bleibt die Frage, wie Bolsonaro und die Kräfte hinter ihm darauf reagieren werden.
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