Lumpenpazifisten, Feiglinge, Putin-Freunde?

Klaus Moegling, Josef Mühlbauer, Bernhard Trautvetter, Karl-W. Koch
Sprechblase mit Friedenstaube wird von Druckerpresse komprimiert

Diskussionen über Krieg und Frieden immer enger geführt. Abweichende Positionen im Visier. Was den Trend gefährlich macht. Ein Debattenbeitrag.

Der derzeitige öffentliche Umgang in Deutschland mit Diskussionen, die sich mit Krieg und Frieden beschäftigen, ist hochproblematisch. Für einen Staat, der einen durch das Grundgesetz garantierten Eigenanspruch auf Demokratie und Meinungsfreiheit vertritt, ist er unwürdig und destruktiv.

Demokratie lebt von einer liberalen gesellschaftlichen Öffentlichkeit, einem freien Meinungsaustausch unterschiedlicher, auch kontroverser Positionen zu gesellschaftlichen Problemfeldern und von einer heterogenen Medienlandschaft.

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemeinen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit zur Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Artikel 5 (1) Grundgesetz

Diskurse müssen in einer Demokratie möglich sein

Eine Gesellschaft mit einem demokratischen Eigenanspruch ist auf eine politische Öffentlichkeit angewiesen, in der gesellschaftliche Probleme und deren Lösungen möglichst frei und ohne Repression diskutiert werden können.

Vom herrschenden Mainstream abweichende Positionen müssen öffentlich formulierbar sein, ohne dass die sich äußernden Personen persönlich diskreditiert, angegriffen oder öffentlich vernichtet werden. Eine politische Ambiguitätstoleranz1 ist unbedingt notwendig, da ansonsten durch eine erzwungene Einengung des Meinungskorridors einerseits die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger und andererseits Problemlösungen verhindert werden, die das Resultat einer notwendigen Abwägung kontroverser Sichtweisen sind.

Einschränkungen in der öffentlichen Meinungsfreiheit darf es nur bei strafrechtlichen Tatbeständen geben, wie Volksverhetzung, Aufforderungen zur Gewalt und massiven Beleidigungen.

Der Begriff des "Diskurses" stammt von dem lateinischen Verb "discurrere" (= ausbreiten, mitteilen, erörtern). Ein Diskurs ist nach Jürgen Habermas (1981/1995)2 eine Sprechaktsituation, in der Menschen versuchen sich miteinander mit nachvollziehbaren, überprüfbaren und kritisierbaren Argumenten zu verständigen und eine konsensuelle Lösung zu finden – so Habermas3:

Der Begriff der Verständigung verweist auf ein unter Beteiligten erzieltes rational motiviertes Einverständnis, das sich an kritisierbaren Geltungsansprüchen bemisst.

Wenn Menschen erfolgreich miteinander kommunizieren wollen, dann sind sie darauf angewiesen, folgende Kriterien kommunikativen Handelns umzusetzen:

  • Gleiche Sprechchancen bei Gesprächsinitiierung und -durchführung;
  • Keine Täuschung der anderen Diskursteilnehmer:innen über die eigenen Sprechintentionen;
  • Chancengleichheit bei den Möglichkeiten, Argumente einzubringen und zu deuten;
  • Kein Versuch, die Gesprächsteilnehmer zu beherrschen bzw. auch Druck von außen aufzubauen.4

In einem Diskurs müsse sich das bessere Argument durchsetzen und Anerkennung finden können. Kommunikatives Handeln in diesem Sinne ist für die Identität von Personen, für kulturellen Transfer und kultureller Innovation sowie für die gesellschaftliche Integration wichtig5:

Unter dem funktionalen Aspekt der Verständigung dient kommunikatives Handeln der Tradition und der Erneuerung kulturellen Wissens; unter dem Aspekt der Handlungskoordinierung dient es der sozialen Integration und der Herstellung von Solidarität; unter dem Aspekt der Sozialisation schließlich dient kommunikatives Handeln der Ausbildung von personalen Identitäten.

Jürgen Habermas

Jürgen Habermas hat prioritär eine Kommunikationstheorie im Sinne einer kommunikativen Rationalität, die über eine instrumentelle Verengung hinausgeht, entworfen.6 Er zeigt vor allem analytisch auf, wie Menschen handeln können, wenn ihre Kommunikation gelingen soll und welche Einflüsse dies behindern bzw. verhindern können.7

Seine Überlegungen sollen im vorliegenden Beitrag aber auch normativ verwendet und als Notwendigkeit für eine möglichst weitgehende Annäherung an politische Diskurse zur Problemlösung in einer demokratischen Öffentlichkeit eingefordert werden.

Symmetrische Kommunikation, gegenseitige Anerkennung, Wahrhaftigkeit, Erfolgschancen des besseren Arguments und freie Sprechchancen für Teilnehmer:innen im öffentlichen Austausch in Medien, Parteien oder Bürgerinitiativen sollten auch konstitutive Kennzeichen für den kommunikativen Austausch in einer Gesellschaft mit einem demokratischen Anspruch sein.

In diesem Sinne würde es sich dann in einer Demokratie um die Bedeutung von weitgehend anzustrebenden idealtypischen Sprechsituationen in der politischen Kommunikation handeln, die vor repressiven Geltungsansprüchen zu schützen wären. Hierbei ist anzumerken, dass es natürlich auch andere Formen der Kommunikation geben sollte – vor allem, wenn unter Zeitdruck in gesellschaftlichen Krisensituationen strategisch gehandelt werden muss. Rechtzeitig vorausgegangene Diskurse können aber die demokratische Qualität derartiger Entscheidungen erhöhen.

Für eine gelungene Kommunikationssituation sind des Weiteren aus der Sicht des Soziologen Lothar Krappmann (1971) 8 vor allem folgende Qualifikationen der Interaktionsteilnehmer:innen nötig:

  • Identitätsdarstellung: Es geht also darum, sich in einer Gesprächssituation zu zeigen und eigene Meinungen zu formulieren;
  • Rollendistanz: Gesprächsteilnehmer:innen sollen in der Lage sein, zu sich selbst in Distanz zu treten als Voraussetzung zur Empathie;
  • Empathie: Hier geht es darum, sich gedanklich und emotional in den anderen Gesprächspartner hineinzuversetzen, um dessen Perspektive auf den thematisierten Sachverhalt zu verstehen;
  • Ambiguitätstoleranz: Um empathisch zu sein, ist es notwendig, auch andere, von der eigenen Meinung abweichende Haltungen und Gesprächspositionen auszuhalten.

Eine kritische Friedenswissenschaft9 sollte den diskursiven Anspruch aber zunächst an sich selbst und dann auch an die Gesellschaft herantragen. Gleichzeitig könnte es ihre Aufgabe sein, sozioökonomische und geostrategische Interessen hinter den friedenspolitischen Diskursverengungen aufzudecken.

Diskursfreiheit in einer kapitalistischen Demokratie?

Deutschland kann als kapitalistische Demokratie aufgefasst werden. Dies bedeutet, dass sich zwei z.T. im Gegensatz zueinander befindliche systemische Gestaltungsprinzipien gegenüberstehen, was zu gesellschaftlichen Widersprüchen und Brüchen führt. Die Demokratie ist durch die Herrschaft bzw. Regierung des Volkes, also der Mehrheit, durch das Volk und für das Volk gekennzeichnet (Abraham Lincoln, 1863). Hingegen beinhaltet der Kapitalismus eine Ökonomie, die primär an den Interessen einer reichen und besitzenden Minderheit orientiert ist.

Hier geht es um Besitzstandserweiterung und Profitmaximierung, um Finanzspekulation und eine immer größer werdende Schere zwischen an Einfluss gewinnenden Superreichen und sich vermehrender globaler Armut. Marx/Engels gehen im "Kommunistischen Manifest" davon aus, dass im Kapitalismus die Ideen der Herrschenden die herrschenden Ideen sind. Hierauf aufbauend entwickelt Antonio Gramsci1 seine Überlegungen zur kulturellen Hegemonie im Kapitalismus. Die herrschenden Klassen schaffen es aus seiner Sicht, die Beherrschten über institutionell verankerte Medienmanipulation, Bildungsprozesse und subtile sowie offene Propaganda von ihren Ideen und Weltanschauungen zu überzeugen.

Es infiltrieren die Ideen und die Ideologie der Herrschenden den Alltagsverstand der Menschen. Es kommt gewissermaßen zur Identifikation der Entfremdung, ohne dass dies den Betroffenen bewusst wird.

Allerdings werden Einstellungen auch repressiv erzeugt. Claudia Brunner (2020)1 spricht in diesem Zusammenhang von epistemischer Gewalt. Dies bedeutet, dass die Konstruktion von Wissen und Haltungen im historischen Prozess nicht nur durch Manipulation und Verinnerlichung erfolgt, sondern dann – wenn dies bisher nicht gelingt – auch mit Gewaltmaßnahmen bis hin zur Vernichtung der Widerständigen durchgeführt wird.

Die gewalttätige Christianisierung im Kolonisierungsprozess sowie die Hexenverbrennungen sind hierfür historische Beispiele. Alle faschistischen Systeme arbeiten ebenfalls mit offener Repression.

Dennoch soll hier davon ausgegangen werden, dass in der kapitalistischen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland noch erhebliche Räume für eine freiere Meinungsäußerung vorhanden sind, die es zum einen zu verteidigen und zum anderen auszubauen gilt. Es kann unserer Meinung nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem bundesdeutschen Gesellschaftssystem um eine "Fassadendemokratie" in Verbindung mit einem "Tiefen Staat" handelt.

Wenn man die vorhandenen Kommunikationsräume historisch und interkulturell vergleicht, dann lässt sich noch von einer öffentlichen Kommunikationssituation ausgehen, die zwar derzeit massiv unter Druck steht, aber immer im Wesentlichen im Sinne demokratisch Gestaltungsansprüche funktioniert – auch wenn die bundesdeutsche Demokratie deutlich ausbaufähiger wäre und das Demokratiedefizit in der Wirtschaft offenkundig ist. Allerdings kann festgestellt werden, dass eine Annäherung an die Qualität von Diskursen zunehmend schwieriger wird oder sogar grundsätzlich bedroht ist.

Insbesondere in den öffentlich-rechtlichen und den privatwirtschaftlich organisierten Medien sowie in den sogenannten "sozialen Netzwerken", aber auch in den politischen Parteien stehen die Diskussionsräume zunehmend unter Druck. Insbesondere in den "sozialen Medien", wie z.B. "X" oder "Meta" wird beleidigt, diskreditiert und gepöbelt. Dies wird durch die dort programmierten Algorithmen gefördert und ist kontraproduktiv zu der Qualität von Kommunikation, die im vorliegenden Beitrag gefordert wird.

Öffentliche und private Diskursräume sind aber einerseits für die grundgesetzlich verbrieften Freiheitsrechte der Bürger:innen und andererseits für die notwendige Perspektivenoffenheit zur gesellschaftlichen Problemlösung notwendig.

Beispiel: Krieg in der Ukraine

Vorbemerkung: Das Überschreiten der Staatsgrenzen der Ukraine und andauernde Angriffe u. a. auf zivilgesellschaftliche Einrichtungen und Zivilbevölkerung sind völkerrechtswidrig und menschenfeindlich. Und dies gilt unabhängig vom historischen Kontext. Der Krieg hätte möglicherweise vermieden werden können, wenn russische Sicherheitsinteressen in Verhandlungen im Vorfeld des russischen Überfalls auf die Ukraine zur Sprache gekommen wären.

Doch entsprechende Verhandlungsangebote wurden von der Nato ausgeschlagen1 – wobei natürlich unklar ist, ob diese Verhandlungen und die russischen Forderungen in Bezug auf einen Rückzug der Nato und der Neutralität der Ukraine zu diplomatischen Lösungen geführt hätten. Dennoch: Die Ablehnung der russischen Verhandlungsintentionen ist keine Legitimation für den russischen menschenverachtenden Angriffskrieg.

Allerdings stellt die Eskalation militärischer Maßnahmen keine Lösung dar, da dieser Krieg nicht militärisch zugunsten der Ukraine entschieden werden, sondern – der Kriegsverlauf zeigt es – nur auf dem Verhandlungswege beendet werden kann. Die deutsche Sektion der Internationalen Ärzt:innen zur Verhinderung des Atomkriegs (IPPNW) hat hierfür die entsprechenden internationalen Vorschläge zu einer diplomatischen Lösung anstelle einer militärischen Eskalation u. a. für jeden politischen Entscheider nachvollziehbar dokumentiert.

Experten:innen jedoch, die sich für Verhandlungslösungen und u. a. auch das Einfrieren entlang der Frontlinien als Voraussetzung für Waffenstillstandsgespräche und Friedensverhandlungen sowie einem zeitweiligen Verzicht auf ukrainische Ostgebiete aussprachen, um einen europäischen Krieg oder sogar einen globalen Krieg zu vermeiden, wurden als Putin-Freunde diffamiert.

Dem medial bekannten Militärexperten und sicherheitspolitischen Ex-Merkel-Berater Erich Vad sowie dem renommierten Politikwissenschaftler Johannes Varwick, die solche friedenspolitischen Forderungen vertraten, wurden etwa die Kontakte und auch die Präsenz in den öffentlich-rechtlichen Medien deutlich beschnitten, als sie das Einfrieren der Kriegshandlungen entlang der Frontlinien forderten.1

So kritisiert Mamedov (2024):

Es ist ein bekanntes Muster im Westen, dass angesehene Akademiker, die das Dilemma, in dem sich die Ukraine und der Westen befinden, richtig vorhergesagt haben, als Sprachrohre des Kremls diffamiert und delegitimiert werden und Schikanen, Marginalisierung und Ausgrenzung ausgesetzt sind.

Hierüber hinaus werden Persönlichkeiten, die im Falle einer für die Russische Föderation bedrohlich werdenden militärischen Eskalation vor dem Einsatz von Nuklearwaffen warnen, lächerlich gemacht und insbesondere in den Kommentaren in den sogenannten sozialen Netzwerken gern als "Feiglinge" diffamiert. Hingegen ist eine kommunikative Verständigung über Lösungen im Ukraine-Krieg ohne die Thematisierung der Gefahr eines Nuklearkrieges ausgesprochen fahrlässig und unverantwortlich.1

Dies alles passiert in einer Gesellschaft mit einem demokratischen Anspruch. Dies muss hier noch einmal betont werden. In autoritären Staaten hingegen, wie der Russischen Föderation oder in Nordkorea, existieren sicherlich noch ganz andere gesellschaftliche Mechanismen der Ausgrenzung bzw. existenziellen Vernichtung. Auch dies sollte nicht verschwiegen werden.

Beispiel: Israel gegen die muslimische Welt

Mit dem Blick auf die deutsche Vergangenheit und die schrecklichen Geschehnisse des Holocaust muss sehr vorsichtig mit pauschalen Aussagen gegenüber dem Staat Israel umgegangen werden. Allerdings kann eine bedingungslose "Staatsräson" gegenüber Israel als Versuch gesehen werden, Kritik an der zum Teil rechtsextremen israelischen Regierung zu verhindern. Dies stellt eine unzulässige Verengung des Meinungskorridors dar.

Der Hamas-Angriff auf israelische Bürger war terroristisch, bedeutete einen Massenmord und ist zu verabscheuen und zu verurteilen. Aber es stellt eine unverhältnismäßige Reaktion der israelischen Regierung dar, in der Verfolgung der Mörder über 40.000 tote Palästinenser:innen in Kauf zu nehmen, über die Hälfte sind Frauen und Kinder gewesen.

Wenn man dies kritisierte, die sofortige Beendigung der Bombardements der palästinensischen Zivilbevölkerung und tragfähige Verhandlungslösungen einforderte, lief man in Gefahr, als Antisemit eingestuft und diskreditiert zu werden. Veranstaltungen, die das israelische Vorgehen kritisch diskutieren wollten, wurden im Vorfeld boykottiert und teilweise per Dekret abgesagt.

Selbst an den Universitäten, die doch eigentlich ein geeigneter Ort für eine Annäherung an gesellschaftliche Diskurse sein sollten, hielt eine derartige "Cancel Culture" auf Betreiben von Organisationen, die der gegenwärtigen israelischen Regierung nahe standen, Einzug.

Beispiel: Diskursverengungen auch in der Friedensbewegung

Ein deutliches Beispiel für Diskursverengungen und einer Einengung von Meinungskorridoren in der Friedensbewegung ist am Umgang mit dem SPD-Politiker Ralf Stegner auf der Friedensdemonstration in Berlin zu sehen. Als er in seiner Rede die russische Aggression gegen die Ukraine auf der bisher größten Anti-Kriegs-Demonstration in Berlin Anfang Oktober 2024 kritisierte, versuchten Kundgebungsteilnehmer ihn am weiteren Reden zu hindern. Sie schrien lautstark mit kollektiven Buhrufen in seine Rede hinein.1

Laut waren auch Stimmen zu vernehmen, die "Hau ab!"und "Abführen!" riefen. Die Moderatorin musste Stegners Rede unterbrechen und darum bitten, die Buh-Rufe zu unterlassen.

Derartige Versuche, die Meinungsfreiheit innerhalb der Friedensbewegung intolerant einzuengen, stellen ein kommunikatives Fiasko dar. Stegners Einschätzung eines russischen Angriffskriegs sowie die detaillierte Schilderungen seines Aufenthalts in der Ukraine hinsichtlich der dort gesehenen Zerstörungen und des Wahrnehmens menschlichen Leids nicht hören und massiv stören zu wollen, ist ein intoleranter Vorgang, der einer Friedensbewegung nicht würdig ist.

Hierbei muss allerdings auch festgestellt werden, dass nach Stegners Rede von einem größeren Anteil der Zuhörerschaft demonstrativer Beifall gespendet wurde. Auch Sahra Wagenknecht distanzierte sich in ihrer Rede im Anschluss hieran von den Störversuchen.

Beispiel: Diskursverengungen auch in der Parteipolitik: Die Grünen

Gerade in den vergangenen Jahren seit Beginn des Ukrainekrieges, aber auch schon deutlich in den Vorjahren, hat eine erkennbare Verschiebung wesentlicher Positionen in den Parteien stattgefunden. Am deutlichsten sichtbar ist dies bei der Partei Bündnis90/Die Grünen. Die vier grundlegenden Säulen grüner Programmatik wurden im 1980 verabschiedeten ersten Bundesprogramm mit den Adjektiven "ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei" umschrieben. Noch im neuen Grundsatzprogramm wurde 2020 formuliert und beschlossen1:

Der Beitritt Deutschlands zum VN-Atomwaffenverbotsvertrag und die Stärkung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags gehören dazu. Dafür muss gemeinsam mit den internationalen und europäischen Partnern am Ziel eines atomwaffenfreien Europas gearbeitet werden. Dazu braucht es ein Deutschland frei von Atomwaffen und damit ein zügiges Ende der nuklearen Teilhabe.

Im aktuellen Wahlprogrammentwurf liest sich das anders 1:

Wir stehen zu unseren Bündnisverpflichtungen und dem damit verbundenen notwendigen Ausbau unserer Fähigkeiten. Dafür braucht es verlässliche Finanzierung mit einem Verteidigungsetat, der dauerhaft die in der Nato vereinbarten und auch national definierten Ziele und Bedarfe erfüllt und dafür dauerhaft deutlich mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit investiert.

Selbst Forderungen nach Taurus-Lieferungen in die Ukraine wurden eingereicht.

Der Kanzlerkandidat Habeck fordert darüber hinaus die Steigerung auf "3,5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung1, fernab jeglicher Beschlusslage der Partei. Selbst die Forderung nach einer EU-Atombewaffnung wird offen diskutiert.2

Innerparteiliche Gegner dieser Positionen werden als "ignorant", "realitätsfern" diskreditiert oder als Putinversteher:innen diffamiert.

Es gelingt zusehends, unliebsame Äußerungen etwa in Form von Anträgen auf Bundesparteitagen durch Basismitglieder mit Verfahrenstricks zu verhindern (Verschiebung von ordnungsgemäß gestellten Anträge auf den Top "Verschiedenes", wo – vorher festgelegt – nur 10 von 105 letztlich hierhin verschobenen Anträge behandelt oder andere Anträge gar nicht erst zugelassen werden).

Bei Antragsverhandlungen wird zudem teilweise massiver Druck auf die Antragssteller:innen, oft Basismitglieder, nicht Funktionär:innen oder Mandatierte, ausgeübt, doch auf den Antrag "Zum Wohl der Partei, das könnte missverstanden werden …" zu verzichten oder zumindest einer "modÜ" (= modifizierte Übernahme) zuzustimmen, in der dann außer wenigen Worten vom ursprünglichen Text nichts mehr vom Gedanken des Antrags erhalten geblieben ist.

Letztlich führt dies zum Ergebnis, dass in der Regel die Wunschvorstellungen von Bundesvorstand, Minister:innen und Fraktion umgesetzt werden. Findet ein "widerspenstiger" Basisbeschluss doch einmal eine Mehrheit (Ablehnung des Mercosurabkommens, Lieferkettengesetz-Unterstützung …), berufen sich die zuständigen Minister auf "Beinfreiheit" und halten die Beschlusslage nicht ein. Wer das dann wiederum als einfaches Mitglied kritisiert, wird als Störer:in des Parteifriedens hingestellt und für die schlechten Umfragen und im Worst Case auch für die schlechten Wahlergebnisse verantwortlich gemacht.2

Interessen hinter den Diskursverengungen und der Einschränkung der Meinungsfreiheit

Hinter dem Versuch, Meinungskorridore zu verengen, sowieso öffentliche friedenspolitische Diskurse nicht zuzulassen, stehen sowohl im Krieg in der Ukraine als auch im Krieg im Nahen Osten sicherheitspolitische, geopolitische und ökonomische Interessen der verschiedenen Akteure.

Zunächst ist natürlich das Interesse des militärisch-industriellen Komplexes zu benennen, dessen Geschäft in der Produktion von Waren für den Krieg und in der Maximierung von Renditen über Waffenverkäufe besteht. Aktienkurse, Dividenden und Managerboni steigen in der Kriegssituation überdurchschnittlich an. Ohne Kriege läuft das Geschäft schlecht.

Auch das Interesse an globaler Hegemonie der USA, falsch verstandene Sicherheitsinteressen Europas und auch Russlands führen zur gefährlichen militärischen Eskalation: Nicht Aufrüstung ins Unendliche und militärische Eskalation bieten Sicherheit, sondern nur eine Sicherheitsarchitektur des Friedens.

Doch eine derartige Sicherheitsarchitektur des Friedens entspricht nicht dem Interesse von Staaten, die meinen, dass sie ihre hegemonialen Expansionswünsche sowie die damit verbundenen ökonomischen und geopolitischen Erwartungen militärisch durchsetzen können.

Zu fordern ist hingegen ein öffentlicher Diskussionsraum und eine möglichst diskursive Kommunikationskultur, wo beispielsweise die Demokratisierung und Stärkung der Vereinten Nationen, die Rolle der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als Verhandlungsraum und Verständigungsforum sowie die Revitalisierung und Aktualisierung der internationalen Abrüstungsverträge als friedenspolitische Alternativen zu den Strategien militärischer Eskalation thematisiert, begründet und miteinander vor dem Hintergrund unterschiedlicher Auffassungen reflektiert werden können.

Fazit: Demokratie benötigt eine freie öffentliche Kommunikation und darf nicht zum Raum kognitiver und emotional wirkender Kriegsführung werden. Eine Verengung von öffentlichen Diskursräumen über die propagandistische Beeinflussung in den Medien bei gleichzeitiger persönlicher und professioneller Diskreditierung von Persönlichkeiten, die sich außerhalb des Meinungskorridors der Mainstream-Medien bewegen, ist gegen die Demokratie gerichtet.

Hierhinter stecken benennbare Interessen, die sich über eine antidemokratische Verengung von Diskussions- und Diskursräumen durchzusetzen versuchen. Dies gilt es öffentlich bewusst zu machen.

Autoren:

Klaus Moegling ist apl. Prof. Dr. habil. (Universität Kassel, i.R.), Autor, Politikwissenschaftler und Lehrerausbilder.

Josef Mühlbauer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Empowerment for Peace, Autor und Leiter des Podcasts auf YouTube "Varna Peace Institute".

Bernhard Trautvetter ist u.a. Autor, aktiv im Essener Friedensforum und im Bundesausschuss Friedensratschlag.

Karl-W. Koch, pens. Lehrer für Chemie und Umwelttechnik sowie Fachbuchautor, ist Mitglied in der Orgagruppe der Unabhängigen Grünen Linken und Co-Vorsitzender der Grünen Alternative.

Podiumsdiskussion – Live! Auf dem YouTube-Kanal:

Zu dem vorliegenden Artikel gibt es ebenfalls den Mitschnitt einer Live-Diskussion auf YouTube. Weiterhin geltender Link zum nachträglichen Mitverfolgen der Diskussion vom 7.1.25:

Lumpenpazifisten, Feiglinge und Putinfreunde? – Friedenspolitische Diskursverengungen aus der Sicht einer kritischen Friedenswissenschaft.

Das Thema der auf YouTube aufgezeichneten Podiumsdiskussion umfasst den derzeitigen wissenschaftlichen, aber auch öffentlichen Umgang mit Diskussionen, die sich mit Krieg und Frieden beschäftigen. Werden der Meinungskorridor und die Grenzen des Sagbaren tatsächlich enger, wenn es um bestimmte friedenspolitische Themen geht? Wie werden bestimmte friedenspolitische Positionen stigmatisiert? Welche Interessen stehen hinter den gewollten Diskursverschiebungen?

Diese gesellschaftlich wichtigen Themen diskutieren am Beispiel der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine und dem Krieg zwischen Israel und Teilen der muslimischen Welt:

Prof. Dr. Karl Hans Bläsius
Dr. Angelika Claußen
Karl-Wilhelm Koch
apl. Prof. Dr. Klaus Moegling
Bernhard Trautvetter
Josef Mühlbauer (Moderation)