Lustig ist das ALG-II-Leben
Seite 2: 1 Monat von ALG II leben? Kleinigkeit
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Jens Spahns Vorschlag, sich mit Frau S. zu treffen und sich gegebenenfalls auch auf das vorgeschlagene Experiment einzulassen, ist insofern ein kluger Schachzug. Wird er einen Monat lang mit ALG II auskommen, so kann er dies als Bestätigung für seine Aussagen nutzen und sich noch dazu als gesprächs- und kritikbereiter Minister darstellen. Zu befürchten hat er wenig bis nichts, da ein solches Experiment letztendlich nur eine Posse bedeutet. In den letzten Jahren wurden bereits ähnliche Experimente durchgeführt, die dann medial aufgehübscht wurden und dann zu Ergebnissen wie "100% Bio ist möglich mit ALG II" führten.
Dabei sind diese Kurzzeitexperimente nicht dazu geeignet, tatsächlich einen Einblick in das Leben mit ALG II-Bezug zu geben, da sie einen entscheidenden Fehler haben, den die britische Popgruppe Pulp in ihren Stück "Common People" treffend auf den Punkt brachte. In dem Stück geht es um eine griechische Studentin, die sich in einen Jungen verliebt, der zu den "Common People" gehört, der arbeitslos ist und demzufolge nur wenig Geld hat. Abenteuerlustig wie die Dame ist, möchte sie wie die "Common People" leben und bittet den jungen Mann, ihm diese Art von Leben zu zeigen. Doch die Realität des jungen Mannes kann sie logischerweise nicht wirklich nachfühlen weil sie jederzeit aus diesem Experiment aussteigen könnte.
Rent a flat above a shop
Cut your hair and get a job
Smoke some fags and play some pool
Pretend you never went to school
But still you'll never get it right
Cause when you're laid in bed at night
Watching roaches climb the wall
If you called your dad he could stop it all
Übersetzung:
Miete eine Wohnung über einem Geschäft
(Pulp - Common People)
Schneide dir die Haare und such' dir einen Job
Rauche ein paar Zigaretten und spiel Billard
Tu so als hättest du nie eine Schule besucht
Aber du wirst es nie verstehen
Denn wenn du nachts im Bett liegst
Die Kakerlaken beobachtest, die die Wand erklimmen ...
Wenn du deinen Vater anriefest, könnte er das alles beenden
Auch bei ALG II stellt sich bei vielen die Ernüchterung erst nach einigen Monaten ein, weil zunächst ja oft Ersparnisse vorhanden sind, die Elektrogeräte funktionieren, die Vorratsschränke noch angefüllt und die Hoffnungen darauf, dass ALG II nur eine vorübergehende Phase ist, groß sind. Erst nach und nach bahnt sich die Perspektivlosigkeit Bahn, weil die Erkenntnis wächst, dass diese Situation nicht vorübergehend sein wird.
Das Jonglieren mit den monatlichen Geldern wird zur Gewohnheit, ein defektes Elektrogerät oder eine höhere Stromrechnung reißt ein Loch in die Budgettasche und eine kleinere Wohnung, deren Kosten komplett übernommen werden, ist nicht zu finden, weshalb vom Budget noch zusätzlich etwas für die Kosten der Unterkunft abgezweigt werden muss … diese und andere Probleme tauchen auf und lassen nach und nach erst die Gesamtsituation auf den Betroffenen wirken.
Für einen Politiker wie Jens Spahn dürfte insofern der Monat mit ALG II eher eine Art Spaziergang durch eine Art exotischen Spielplatz sein, er wäre Tourist in einer anderen Welt, in der er jederzeit "Stop" rufen kann. Selbst wenn er auf Tricksereien verzichten würde, wäre das Ergebnis nicht mehr als eine Momentaufnahme eines Menschen, der jederzeit aus dem ALG II-Bezug aussteigen und daher nicht zuletzt die Perspektivlosigkeit und die Sorge angesichts des dauerhaften Zustandes auch finanziell nicht erfassen kann.
Nicht zuletzt auch durch seine Person würde Jens Spahn auch manche Sonderbehandlung erleben, die ein anderer nicht hätte - egal ob er beispielsweise zu einem Essen eingeladen wird, sein Handytarif vom "Staat" übernommen wird oder er dank Dienstwagen auf den ÖPNV verzichten kann. Selbst wenn er sich nur auf das Essen konzentriert, so wäre dies schlichtweg unsinnig, da die Gelder, die im Regelbedarf für das Essen angedacht sind, nicht automatisch auch jene sind, die jedem ALG II-Bezieher für Essen zur Verfügung stehen, da ja mit dem Gesamtbetrag alles abgegolten werden muss.
Die "Petition" könnte sich insofern durchaus als kontraproduktiv erweisen.