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Macron: Der "Mutant" tritt in die Konfliktzone

Screenshot, Liveübertragung Macrons Rede vor dem französischen Kongress, 3.Juli 2017. Quelle: YouTube

Die Umfragewerte sinken und in der Libyen-Politik steuert der französische Präsident einen Konfrontationskurs mit Italien an

Marcrons Popularität sinkt. Seine Umfragewerte seien im Vergleichszeitraum noch schlechter als bei seinem Vorgänger Hollande, berichtet [1]Le Monde. Innerhalb eines Monats sind die Zufriedenheits-Werte des "Jupiter-Präsidenten" von 64 Prozent auf 54 Prozent gefallen.

Das ist noch immer die Mehrheit, aber einen ähnlichen Umfragen-Absturz habe es nur einmal, bei Jacques Chirac im Juli 1995, gegeben, stellen "alarmierte" Medien-Berichte, die ihre Freude an solchem Stress haben, heraus und dazu die Pointe: Selbst Hollande, dessen Umfrageergebnisse mit Rekordtiefs assoziiert waren, hatte einen besseren Start. Im gleichen Zeitraum nach der Amtsübernahme erreichte er noch 56 Prozent Zustimmung.

Offiziell wollte man sich weder im Elysée-Palast noch im Hôtel Matignon, dem Sitz des Premierministers, der auch verlor (8 Prozentpunkte in einem Monat), dazu äußern. Man will seine Ruhe haben. Die Regierung koppelt sich anders als die Vorgängerregierung deutlicher von den Medien ab - solange es nicht um schöne Fototermine geht wie etwa bei den Besuchen von Putin oder Trump oder diese Woche von Rihanna.

"Kein Image-Problem, sondern ein politisches"

Da beide, Macron mit 54 Prozent und Edouard Philippe mit 56 Prozent, von der IFOP-Umfrage die Rückmeldung bekamen, dass ihre Mehrheit am Schwinden ist, sei dies kein "Imageproblem", sondern ein Signal, das mit der Politik der neuen Regierung zu tun habe, folgert Le Monde.

Tatsächlich spiegelt [2] dies die IFOP-Umfrage auch ziemlich genau wieder. Macron verliert bei den Über-65-Jährigen (minus 11 Punkte), bei den Beamten (minus 18 Punkte), bei der Wählerschaft des PS (minus 12 Punkte), bei der Wählerschaft der Republikaner (minus 11 Punkte) und ganze 25 Punkte bei den Wählern der Partei MoDem.

Letzteres hängt wohl hauptsächlich mit der Entlassung des Parteichefs Bayrous aus dem Amt des Justizministers wegen "illegaler Beschäftigung" zusammen. Die anderen Zufriedenheitsverluste lassen sich mit dem Sparprogramm der Regierung erklären und den Aussichten, dass da noch mehr kommt und dies mehr die "classes populaires" trifft als die Bessergestellten.

Deutliche Einsparungen bei den Staatsausgaben

Die Regierung Macron plant Einsparungen der Staatsausgaben von 4,5 Milliarden Euro in ihrem Haushalt für 2017 [3]. Betroffen sind die Rentner, die Beamten, die Armee wie auch Bildungsinstitutionen und Gebietskörperschaften. Auf all diesen Fronten gibt es Konflikte [4].

Unter der Erhöhung des Allgemeinen Sozialbeitrags (CSG), der in Frankreich größtenteils über die Einkommen und Renten [5] erhoben wird und die Arbeitgeber verschont, leiden die Rentner besonders; bei den Beamten wurde der Indexpunkt für Erhöhungen des Verdienstes eingefroren und der Armee wurde für das Budget 2017 eine Kürzung von 850 Millionen Euro in Aussicht gestellt.

Letzteres führte zu einem grundlegenden Streit mit Generalstabschef Pierre de Villiers, der seinen Dienst mit den Worten quittierte [6]: "Ich sehe mich nicht weiter imstande, das Modell einer Armee aufrechtzuerhalten, an das ich glaube, um die Sicherheit Frankreichs und der Franzosen zu garantieren."

Macron versuchte dann die nächsten Tage zu beruhigen. Er versicherte, dass er sich an der von der Nato ausgegebenen 2-Prozent-Marke für den Anteil der Verteidigungsausgaben orientiere. Viele Konservativen in Frankreich dürften dem General mehr Glaubwürdigkeit schenken.

Unzufriedenheit gibt es auch unter Studenten und Professoren, wie Le Monde berichtet [7], weil auch der Bildungssektor, der laut Macron verschont bleiben sollte, eine "kalte Dusche" abbekommt. Kredite von 331 Millionen Euro für die Höhere Bildung und Forschung wurden gestrichen.

Bekanntlich wird auch die laufende Reform des Arbeitsgesetzes, das die Unternehmen dazu stimulieren soll, mehr Personal einzustellen, mit großem Misstrauen verfolgt. Die Auseinandersetzung über diesen Streitpunkt werden erst nach der Sommerpause, Anfang September, in die Gänge kommen. Dann wird sich deutlicher zeigen, mit welchem Widerstand Macron zu rechnen hat.

Wachsendes Misstrauen

Der Rückgang der Umfragewerte ist lediglich ein Indiz dafür, dass Macron mit wachsenden Misstrauen gegenüber seiner Reformpolitik zu rechnen hat, mit der er "alle Franzosen" ansprechen wollte, über die klassischen Links-Rechtslager hinweg. Dass ihm über die Hälfte der Wähler bei der Präsidentenwahl und noch deutlicher bei der Parlamentswahl die Unterstützung versagten, wird sich wohl noch öfter bemerkbar machen.

Der "Mutant" Macron, den Michel Houellebecq in einer TV-Sendung so nannte, weil man nicht wisse, woher er genau komme und man ihn nicht fassen könne, wird es mit Konflikten zu tun bekommen, die zeigen, welchen Kurs er tatsächlich verfolgt. Es sind nicht wenige, die befürchten, dass der in seinen öffentlichen Auftritten geschmeidige und talentierte Präsident wirtschaftlich einen sehr viel härteren "neoliberalen" Kurs gehen wird, als er dies bislang kenntlich machte.

Macron übernimmt Initiative zur Lösung des Problems Libyen

Indessen wundert man sich in Italien über den politischen Kurs, den der laute Protagonist einer starken europäischen Gemeinschaft mit seiner Libyen-Politik fährt. Für morgen ist ein Treffen angesetzt, zu welcher der offizielle libysche Regierungschef Fayez al-Serraj und General Khalifa Haftar eingeladen [8] sind.

Das Treffen findet in der Region Paris [9] statt, auf Initiative von Macron. Also nicht in Rom, nicht auf Betreiben der italienischen Regierung. Darin steckt Konfliktstoff, beanspruchte doch Italien bislang die Führungsrolle in der EU, wenn es um Libyen ging. Italien sei am Limit wegen der vielen Migranten, die aus Libyen ins Land kommen, es werde allein gelassen und baue auf europäische Solidarität - der Rettungsruf Italiens war dominierendes Thema der letzten Wochen, wenn es um die EU und ihren Zusammenhalt ging.

Der Kommentar [10] des italienischen Direktors des Institute of Global Studies in Rom, Nicola Pede, macht auf Bruchlinien zwischen Frankreich und Italien aufmerksam. Er gibt den Eindruck wieder, dass Macron in Libyen "ganz eigene wirtschaftliche und politische Ziele verfolgt". Dass es ihm weniger um die EU oder die Solidarität zu Frankreich gehe, sondern mehr darum, das Standing Frankreichs zu verbessern und die außenpolitischen Kontakte etwa zu den Vereinigten Arabischen Emirate zu vertiefen.

Für Pede dient das Treffen dazu, dem neuen starken Mann Libyens, General Haftar, internationale Weihen zu geben. Die EU-Unterstützung der durch die UN-Vermittlung zustande gekommene Einheitsregierung bezeichnet Pede als Simulation, die echten Interessen würden mehr und mehr auf die Unterstützung Haftars hinauslaufen, der für Ordnung in Libyen und damit für weniger Migranten, die nach Europa kommen, sorgen soll.

Haftar, ein neuer Autokrat?

Die italienische Regierung war, was Haftar anbelangt, bislang distanziert. Das hat einmal mit der Unterstützung der Einheitsregierung zu tun, in deren Präsidialrat Männer sind, die mit islamistischen Gruppen in Verbindung stehen und möglicherweise auch mit eigenen Kontakten zu islamistischen Milizen. Begründet wird die Distanz aber auch damit, dass Haftar nach Macht strebt. Auf Dauer wird er sich nicht mit dem Posten eines Verteidigungsministers begnügen. Rom fürchtet den nächsten Autokraten.

Doch, wie es aussieht, hat sich Haftar nicht nur für Frankreich, sondern auch für andere europäische Länder wie auch für Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate und damit impliziert wohl auch für Saudi-Arabien und vor allem für die beiden Großmächte Russland und die USA zum Hoffnungsträger für den Ausgang aus dem libyschen Schlamassel entwickelt. Alle sind sie für Haftar und Italien wird nachziehen müssen.

Wie sich Libyenpolitik Macrons auf das Verhältnis zwischen Italien und Frankreich auswirken wird, ist noch offen. Allerdings gibt es da bereits Spannungen. Frankreich zeigt in der Flüchtlingsfrage für manche in Italien zu wenig Solidarität. Die Grenzen zu Italien sind für Migranten strikt geschlossen; man werde auch keine Häfen für Migranten aus Libyen öffnen, hat Paris deutlich erklärt.

Man erinnert sich, vor nicht allzu langer Zeit war noch von einer Union der Mittelmeerländer die Rede, mit den lateinischen Staaten Frankreich und Italien als Zentrum, "die der deutschen Dominanz in Europa Paroli bieten sollte" (Lepenies [11]).


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.lemonde.fr/politique/article/2017/07/24/sondages-macron-face-a-ses-premieres-difficultes_5164119_823448.html#6pM8GMOEYXhjLLHf.99
[2] http://www.lefigaro.fr/politique/2017/07/23/01002-20170723ARTFIG00131-pour-emmanuel-macron-l-etat-de-grace-est-deja-fini.php
[3] http://www.lemonde.fr/politique/article/2017/07/18/emmanuel-macron-face-aux-premieres-tensions_5161904_823448.html#7gslzrjH7eWy24sP.99
[4] http://www.lemonde.fr/politique/article/2017/07/18/emmanuel-macron-face-aux-premieres-tensions_5161904_823448.html
[5] http://www.vie-publique.fr/decouverte-institutions/finances-publiques/protection-sociale/financement/qu-est-ce-que-csg.html
[6] http://www.spiegel.de/politik/ausland/frankreich-pierre-de-villiers-tritt-als-armeechef-wegen-sparkurs-zurueck-a-1158679.html
[7] http://www.lemonde.fr/politique/article/2017/07/18/emmanuel-macron-face-aux-premieres-tensions_5161904_823448.html#7gslzrjH7eWy24sP.99
[8] http://www.rtl.fr/actu/international/pourquoi-macron-reunit-les-deux-principaux-protagonistes-de-la-crise-libyenne-7789465205
[9] http://www.lexpress.fr/actualites/1/societe/libye-macron-reunit-sarraj-et-haftar-mardi-pres-de-paris_1929779.html
[10] http://www.huffingtonpost.it/nicola-pedde/in-libia-il-problema-non-e-la-francia-ma-l-italia_a_23043826/
[11] https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/die-macht-am-mittelmeer/978-3-446-24732-1/