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Malaysia: Das Ende eines autoritären Systems?

Petronas Towers in Kuala Lumpur, Hauptstadt von Malaysia. Foto: Daniel Berthold/ CC BY-SA 3.0

Das Ergebnis der Wahl am 9. Mai brachte ein politisches Beben, wie es Südostasien lange nicht mehr erlebt hat

Seit Anfang Mai wird Malaysia, aufstrebender asiatischen Tigerstaat und seit Jahrzehnten autoritär regiert, von einem politischen Erdbeben durchgeschüttelt. Meinungsumfragen hatten für die Wahl am 9. Mai ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem von der Regierungspartei UMNO (United Malays National Organisation) geführten Bündnis Barisan Nasional (Nationale Front) und dem Oppositionsbündnis Pakatan Harapan vorhergesagt.

Doch davon konnte nach Schließung der Wahllokale nicht mehr die Rede sein. Nach Auszählung der Stimmen blieben für das Regierungslager nur noch 55 Sitze im 222-köpfigen Parlament. Das heterogene Oppositionsbündnis Pakatan Harapan (Bündnis der Hoffnung) sicherte sich 113 Sitze.

Weitere acht Sitze werden von Parti Warisan Sabah (Partei des Erbes Sabahs) eingenommen, eine lokale Partei aus dem auf Borneo gelegenen Bundesstaat Sabah, die ein informelles Bündnis mit der Opposition eingegangen ist. 18 Sitze, drei weniger als bisher, gehen an Gagasan Sejahtera (Idee der Wohlfahrt), einem Bündnis zweier extrem rechter islamischer Parteien, die unter anderem auf mehr Macht für religiöse Gerichte und der Einführung von Scharia-Recht dringen.

Eine Ära geht zu Ende

Das Wahlergebnis gleicht einem politischen Beben, wies es Südostasien lange nicht mehr erlebt hat. In Malaysia geht eine Ära zu Ende. Seit der Unabhängigkeit im Jahre 1957 hatte die auf Vorherrschaft der Malaien setzende UMNO den föderalen Vielvölkerstaat regiert.

Nach offiziellen Angaben [1] hat Malaysia 32 Millionen Einwohner (Pro-Kopf-BSP knapp 10.000 US-Dollar), von denen 90 Prozent, das sind 28,7 Millionen, Bürger des Landes sind. Der Rest sind Einwanderer oder zeitweise im Land arbeitende Bewohner.

Malaysia hat nach den Daten des UNHCR [2] rund 136.000 Flüchtlinge aufgenommen, überwiegend aus Myanmar, aber auch aus einigen arabischen Ländern und Sri Lanka. Unter den Bürgern des Landes machen die Malaien mit 68,8 Prozent die Mehrheit aus. 23,2 Prozent sind ethnische Chinesen, sieben Prozent sind Inder und unter das restliche eine Prozent fallen unter anderem indigene Volksgruppen auf Borneo.

Die religiösen Trennlinien laufen in etwa parallel zu den ethnischen: 61 Prozent der Bevölkerung, ganz überwiegend Malaien, sind muslimisch; daneben gibt es vor allem Buddhisten (20 Prozent), Christen (neun Prozent) und Hindus (sechs Prozent).

Malaiische Vorherrschaft

Während der britischen Kolonialzeit - die Briten waren berüchtigt für ihre Teile-und-herrsche-Politik, die die Quelle vieler postkolonialer Konflikte ist - waren die Malaien eher marginalisiert, während Chinesen und Inder die erfolgreicheren Bevölkerungsgruppen waren.

Noch heute gehören viele ethnische Chinesen zum wohlhabenden Mittelstand. Die UMNO hat darauf mit einer malaisch-nationalistischen Politik reagiert, der Bumiputera-Politik, die unter anderem einen bevorzugten Zugang vom Malaien (und wenigen Indigenen) zu den Universitäten vorsieht, Bauherren verpflichtet, einen bestimmten Anteil von Wohnungen oder Häusern mit Preisnachlass an Malaien zu verkaufen, und Staatsaufträge bevorzugt an von Malaien geführte Unternehmen vergibt.

Um die Vorherrschaft der Malaien und der konservativen malaiischen Kräfte zu zementieren, war 1965 eigens Singapur aus der Union ausgeschlossen worden. Die Stadt wird von ethnischen Chinesen dominiert und war zudem bis dahin eine Hochburg der Kommunistischen Partei Malayas1 [3] sowie der Gewerkschaftsbewegung.

Drakonische Gesetze

Beide wurden dort allerdings schon bald nach dem Rauswurf aus der Union vom langjährigen Alleinherrscher Singapurs, Lee Kuan Yew, zerschlagen, der dafür auf die drakonischen Gesetze zurückgreifen konnte, die die Malaysische Föderation von den britischen Kolonialherren übernommen hatte.

Der berüchtigte Internal Security Act [4] sieht unter anderem Inhaftierung ohne Prozess vor, wie es Lee unter anderem gegen seinen ehemaligen Parteifreund, den Gewerkschaftsführer Lim Chin Siong [5] anwenden ließ.

Auch Folter war lange übliches Mittel um politische Gegner zu brechen. Doch das ist eine andere Geschichte, wobei sich allerdings auch Malaysia gerne bis in die jüngste Vergangenheit dieser Sondergesetze [6] bediente, deren Vorläufer aus der Zeit der britischen Wiederinbesitznahme Malayas stammen, als die Kolonialherren Ende der 1940er einen Krieg gegen jene Kräfte begannen, die zuvor gegen die japanische Besatzung gekämpft hatten.

Singapur ist derweil als treuer Verbündeter des Westens auch heute noch sehr weit von demokratischen Verhältnissen entfernt [7].

Ethno-Politik

Aber zurück zu Malaysia: Trotz des Rauswurfs Singapurs hatte die UMNO und ihre Bündnispartner bei den Wahlen 1969 einen empfindlichen Rückschlag erlitten. Vor allem neugegründete chinesische Oppositionsparteien hatten zugelegt. Seinerzeit machten Chinesen noch rund 40 Prozent der Bevölkerung aus.

Im Anschluss an die Wahlen kam es in der Hauptstadt Kuala Lumpur zu mehrtägigen antichinesischen Pogromen, die nach einem zeitgenössischen Bericht [8] des Magazins Times an die 600 meist chinesische Todesopfer gefordert haben könnten. Die später veröffentlichten offiziellen Zahlen lagen knapp unter 200.

Im Anschluss an die Pogrome konnte die Regierungsallianz um UMNO ihre Position zementieren. Die Malaien wurden mit der oben beschriebenen Privilegierung bedient und die chinesische Bevölkerungsgruppe war für Jahrzehnte eingeschüchtert, so dass sie künftig nur die mit UMNO verbundenen chinesischen Organisationen unterstützte. Ein Mehrheitswahlrecht, in dem der Kandidat mit den meisten Stimmen gewählt ist, tat ein Übriges, um das Aufkommen neuer Parteien zu erschweren.

Zudem wurde die Linke völlig an den Rand gedrängt. Die Kommunistische Partei, die im zweiten Weltkrieg einen Partisanenkrieg gegen die japanischen Besatzer geführt hatte, war schon von den Briten in den Dschungel zurück getrieben worden, und auch die konservativen und monarchistischen Kräfte - Malaysia ist eine konstitutionelle Monarchie, dessen Königskrone alle fünf Jahre unter den neun lokalen Monarchen einzelner Bundesstaaten weitergegeben wird - hatten kein Interesse an einem Friedensabkommen.

Entsprechend dauerte der Dschungelkrieg mit der Guerilla bis zu einem 1989 unter thailändischer Vermittlung abgeschlossenen Abkommen [9] an. In den 1970er Jahren flammte er, wie auch ein ganz ähnlicher Konflikt im benachbarten Thailand, besonders auf und lieferte der UMNO-Regierung zugleich den Vorwand, Linke und Gewerkschaften zu unterdrücken.

Die Veränderung: Auflösung der ethnisch-politischen Lager

Dieses System steht nun vor der Auflösung, aber die Chancen stehen leidlich gut, dass es ein relativ sanfter Übergang werden wird. Der neue Ministerpräsident ist nämlich Mahathir Mohamad, der bereits von 1981 bis 2003 für die UMNO regiert hatte.

Die Beteiligung der von ihm geleiteten Parti Pribumi Bersatu Malaysia (Vereinigte Partei der Indigenen Malaysias) am ungewöhnlichen Oppositionsbündnis hat erst die Übernahme zahlreicher Wahlkreise möglich gemacht, die bisher sichere UMNO-Hochburgen waren. Während diese rund 40 Prozent ihrer Sitze einbüßte, sind ihre chinesischen Partner fast vollständig verschwunden. Nur noch ein chinesischer Abgeordneter, der für die "Nationale Front" kandidierte, schaffte den Einzug in das Parlament.

Der 92-jährige Mahathir ist inzwischen bereits als neuer Premierminister vereidigt und hat auch schon sein Kabinett vorgestellt, wie die malaysische Zeitung The Star berichtet [10]. Vor allem hat er aber dafür gesorgt, dass Anwar Ibrahim, der eigentliche Führer des Oppositionsbündnissesbegnadigt und aus der Haft entlassen wurde [11]. In spätestens zwei Jahren, so die Absprache, soll Anwar Mahathir im Amt folgen.

Die Rivalen

Das Besondere an dem Vorgang: Die beiden Männer verbindet eine langjährige politische Feindschaft. Anwar war einst von 1993 bis 1998 Mahathirs Stellvertreter gewesen und als dessen Nachfolger auserkoren. Doch dann schlug er sich auf die Seite der Demokratiebewegung, die Ende der 1990er einen ersten Höhepunkt erreichte und die repressiven Verhältnisse aufbrechen wollte.

Anwar hatte Aussichten, mit einer neuen Partei UMNO ernsthafte Schwierigkeiten zu bereiten. Mahathir ließ ihn daher verfolgen und mit Gerichtsverfahren wegen Sodomie überziehen. Zweimal saß er seither deswegen im Gefängnis.

Seine politischen Ambitionen hat das allerdings nicht aufhalten können. Die von ihm geführte Parti Keadilan Rakyat (Volkspartei für Gerechtigkeit) ist die stärkste Kraft im Oppositionsbündnis Haparan, das Organisationen aus allen Nationalitäten einschließt und unter anderem auch laizistische mit religiösen Kräften verbindet.

Neben dem Wunsch nach Demokratisierung, der bei Mahathir sicherlich weniger ausgeprägt sein dürfte, verbindet die ungleiche Allianz vor allem das Anliegen, die Korruption bekämpfen zu wollen. Vor allem die Bereicherung des nun abgewählten UMNO-Premierminister Najib Razak hat viele aufgebracht. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, dass Überweisungen aus einem staatlich Fonds auf seinem Privatkonto gelandet sind.

Neben anderem geht es um einen Betrag von 681 Millionen US-Dollar, der offiziell als Spende des saudi-arabischen Königs zu Bekämpfung des Islamismus deklariert worden sei, wie der Fischer Weltalmanach schreibt.

Aussichten

Wie es in Malaysia nun weiter geht, ist weitgehend offen. Die neue Regierungsmehrheit hat sich mehr Transparenz und Bekämpfung der Korruption auf die Fahnen geschrieben. Spannend wird sein, ob die alte, auf dem wechselseitigen Ausspielen der Nationalitäten basierende Politik tatsächlich überwunden werden kann.

Im Augenblick zeigt die UMNO Auflösungserscheinungen. Einige ihrer Parlamentarier sind bereits zur Opposition übergelaufen, wo sie vermutlich Mahathirs Position stärken werden. Der könnte sich eventuell versucht fühlen, die alte UMNO-Politik im neuen Gewande fortzuführen, ist jedoch schon zu alt, um das Heft noch lange in der Hand halten zu können.

Eine der Fragen ist, ob die Privilegierung der Malaien beendet oder modifiziert wird. Die entsprechende, oben erwähnte Bumiputera-Politik war schon seit längerem als Selbstbedienungsladen für malaiische Politiker in Verruf [12] geraten. Andererseits ist dieser Punkt sicherlich eine der Sollbruchstellen, an der die Politik der neuen Regierung besonders angreifbar wäre.

Insbesondere die rechten islamischen Kräfte, die in den Wahlen zwar einige Sitze verloren, aber an Stimmen weiter hinzu gewonnen haben, könnten sich zum Sprachrohr der islamischen malaiischen Mehrheit und die Religion zu einem bestimmenden Faktor in den nächsten Wahlen machen.

Bisher waren ihnen einerseits die UMNO-Regierungen stets entgegengekommen, die in einigen Bundesstaaten der Ausweitung des Einflusses der islamischen Geistlichkeit zugestimmt hatten, andererseits hat die Demokratiebewegung sie eher als Bündnispartner im Kampf gegen die UMNO-Vorherrschaft behandelt. Diese Zeiten sind nun vorbei.


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https://www.heise.de/-4053605

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.dosm.gov.my/v1/index.php?r=column/cthemeByCat&cat=155&bul_id=a1d1UTFZazd5ajJiRWFHNDduOXFFQT09&menu_id=L0pheU43NWJwRWVSZklWdzQ4TlhUUT09
[2] http://www.unhcr.org/figures-at-a-glance-in-malaysia.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Malaysia-Das-Ende-eines-autoritaeren-Systems-4053605.html?view=fussnoten#f_1
[4] https://en.wikipedia.org/wiki/Internal_Security_Act_(Singapore)
[5] https://www.theonlinecitizen.com/2014/05/08/lim-chin-siong-was-wrongfully-detained/
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Internal_Security_Act_1960#History
[7] http://www.atimes.com/article/no-solo-protests-allowed-in-singapore/
[8] https://web.archive.org/web/20070518061525/http://www.time.com/time/magazine/article/0%2C9171%2C900859%2C00.html
[9] https://ipfs.io/ipfs/QmXoypizjW3WknFiJnKLwHCnL72vedxjQkDDP1mXWo6uco/wiki/Peace_Agreement_of_Hat_Yai_1989.html
[10] https://www.thestar.com.my/news/nation/2018/05/18/dr-m-unveils-new-cabinet-with-14-members/
[11] http://www.atimes.com/article/malaysias-anwar-is-free-at-last/
[12] https://www.straitstimes.com/asia/se-asia/pro-bumiputera-policy-tough-to-scrap