Man(n) oder Frau oder Trans?

Seite 3: Keine Empfehlung für ein bestimmtes Zeichen

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Am Freitag, den 16. November hat der Rat für deutsche Rechtschreibung auch über das Gendern debattiert. Gibt es da Neues zu vermelden?

Kathrin Kunkel-Razum: Wir haben in Passau getagt und das geschlechtergerechte Schreiben war ein Punkt der Tagesordnung. Grund war, dass wir seit einiger Zeit eine Anfrage vom Berliner Senat vorliegen hatten. Auf der Frühjahrstagung in Wien hatten wir dann gesagt, dass wir uns dazu noch nicht äußern möchten, weil wir uns erstmal noch intensiver mit der Faktenlage beschäftigen wollen, also: mit Sprachbeobachtung. Was findet sich denn in den Texten?

Wir sehen da nun, dass sich in den Korpora zur deutschen Sprache zwar eine wachsende, absolut aber immer noch geringe Zahl von Schreibungen findet, die das dritte und alle weiteren Geschlechter mit einbeziehen, also Sternchen (Lehrer*innen) oder Unterstrich (Lehrer_innen). Das liegt aber auch an der Zusammensetzung der Korpora, die überwiegend aus Zeitungstexten bestehen.

Der Rat hat nun konstatiert, dass sich die Entwicklung in den Ländern, die er vertritt (Deutschland, Österreich, Schweiz, Liechtenstein, Belgien, Italien [Südtirol] und Luxemburg), in unterschiedlichem Tempo vollzieht, und er möchte deshalb derzeit keine Empfehlung für ein bestimmtes Zeichen aussprechen.

Wie sieht es denn bei unseren Nachbarn aus?

Kathrin Kunkel-Razum: In der Schweiz zum Beispiel wird seit zwanzig Jahren in offiziellen Texten gegendert. Das verläuft sehr unaufgeregt und die Schweizer Kollegen und Kolleginnen im Rat können eigentlich die Aufregung, die hier in Deutschland herrscht, gar nicht recht nachvollziehen, weil dort ist das längst Routine geworden.

Gab es dort auch politischen Widerstand?

Kathrin Kunkel-Razum: Es gab politische Diskussionen dort. Aber vielleicht hat die Schweiz da einen kleinen Vorsprung, weil sie bereits in so vielfältiger Weise mit verschiedenen Sprachen umgehen muss. Die Schweizer müssen sich sprachlichen Änderungen sowieso permanent unterwerfen, angefangen bei den vielen Staatssprachen.

Die Kolleginnen und Kollegen sagen: Es ist sehr nachvollziehbar, was wir machen. Es gibt diesen Leitfaden aus der Schweizer Staatskanzlei und den nimmt man, und da sucht man sich das Mittel heraus, das am besten passt. Dann wird das so gemacht. Es wird halt nicht emotional diskutiert.

Sie sprachen vorhin von einem Krankenhaus. Es gibt nach wie vor Orte, an denen besonders Frauen arbeiten. Vielleicht bringt das Gendern in der Sprache eine gewisse gesellschaftliche Veränderung?

Kathrin Kunkel-Razum: Das wird uns ja wieder zugänglich, wenn wir die Korpora zur deutschen Sprache untersuchen. In den kommenden Jahren werden wir verfolgen, in welchem Maße und in welchen Formen sich das entwickelt.

Es ist ein häufiges Argument der Gendergegner, dass es nicht so sehr auf die Sprache ankommt, sondern auf die Realität, dass zum Beispiel Frauen endlich das gleiche Gehalt erhalten sollten. Das ist natürlich richtig. Ich wäre die letzte, die diese Zusammenhänge abstritte.

Nun: Junge Frauen, die in die Kranken- und Altenpflege gehen, entsprechen schon irgendwie dem Stereotyp?

Kathrin Kunkel-Razum: Es wirken auch historische Prägungen daran mit, dass es zu solchen Berufsentscheidungen kommt. Es ist aber sehr spannend zu sehen, wie sehr sich die Dinge ändern, wenn man die Anteile der Studierenden anschaut.

Medizin zum Beispiel: Es war ja vor zwanzig, dreißig Jahren noch undenkbar, dass die Mehrheit der dort Studierenden weiblich ist. Es gibt sicher noch Bereiche, der Maschinenbau z.B., die Männerdomänen sind. Aber selbst in der Informatik ändert sich das.

Der richtige Weg ist also bereits eingeschlagen?

Kathrin Kunkel-Razum: Ich meine, es ist ja logisch, dass sich da einiges ändert. Wenn man nur mal das Zahlenverhältnis beim Abitur bedenkt: Mehr Mädchen als Jungen machen das Abitur. Vielleicht ist es wirklich so, dass Frauen erst das gleiche Gehalt wie Männer erhalten, wenn sie viele sind in dem jeweiligen Beruf und auch sprachlich sichtbar werden? Es wäre schön, wenn unsere Bücher einen Teil zu dieser Entwicklung beitragen könnten.