Mann, Frau, Schimpanse - alle genetisch gleich?

Die Frage, ob biologische Rassen beim Menschen existieren, ist noch immer umstritten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Menschliche Rassen existieren, eine biologische Basis für Rassismus aber nicht. Auf diese Sprachregelung haben sich Humangenetiker weltweit heute weitgehend geeinigt. Der Rassen-Teufel allerdings liegt auch in der Genetik im Detail, und so köchelt die Debatte um die Rasse in den Humanwissenschaften auf kleiner Flamme weiter und weiter und weiter und weiter.

Es war "shot gun"-Genetiker Craig Venter, damals Chef der Firma Celera Genomics, der sich angesichts des nahen Endes des Humangenomprojekts (HGP) vor zwei Jahren mit einem Satz zitieren ließ, der in der Folge um die Welt ging: "We are all essentially identical twins." (Im Telefonbuch des Lebens geblättert)

Andere Genetiker hieben in dieselbe Kerbe, etwa Kenneth Kidd, für den Rasse nach dem HGP nicht mehr biologisch definierbar war: "Wir sind uns alle viel zu ähnlich", schrieb er mehrfach. Angesehen Fachzeitschriften sprangen damals auf den Zug auf, etwa das New England Journal of Medicine, in dem Mit-Herausgeber Robert Schwartz Anfang 2001 verkündete: "Biologische Rassen sind bedeutungslos".

Der Genetik haben solche Statements einen Bärendienst erwiesen, wie sich mittlerweile zeigt, denn wann immer seither das Wort "Rasse" in einem biologischen Zusammenhang fällt, findet sich einer, der mit schieren Zahlen kontert: 99,9 Prozent aller Erbsubstanz zwischen welchen zwei Menschen auch immer sind identisch - kein Platz mehr für menschliche Rassen also?

Mann, Frau, Schimpanse - alle gleich?

Eher doch. Im Juli machte ein Artikel in der New York Times die Rasse zum Thema und ließ Neil Risch von der Stanford University zu Wort kommen, einen expliziten Befürworter des Rassenbegriffs in der Medizin. Und der Genetiker James Crow, Autor des Bestseller "What good is sex?", antwortete kürzlich in dem amerikanischen Magazin Daedalus allen selbsternannten Zahlenmagieren mit einem wirkungsvollen Taschenspielertrick: Er rechnete vor, dass, rein geneto-numerisch, ein Mann näher oder zumindest genauso nah mit einem Schimpansen verwandt ist wie mit einer Frau.

Und was bedeutet das? Crow gibt die wahrscheinlich einzig richtige Antwort gleich selbst: "Es bedeutet, dass die reine DNA-Analyse auf gewisse Fragen, die moderne Gesellschaften bewegen, keine vernünftigen Antworten gibt."

Auch Crow freilich kann Statistiken nicht immer widerstehen, wenn er für seinen Kurs eines "biologische-Rassen-existieren-aber" wirbt. Er erinnert daran, dass Angehörige mancher Ethnien in einigen Bereichen konstant besser abschneiden als in anderen. So erwähnt er die Dominanz afroamerikanischer Sportler in der olympischen Leichtathletik und die statistische Überrepräsentation von asiatisch-stämmigen Amerikanern an den kalifornischen Eliteuniversitäten. Crow erklärt sich diese Phänomene bio-statistisch: Ein leicht überdurchschnittlicher IQ (bzw. körperliche Veranlagung für Laufsportarten), der im Alltag absolut nicht auffällt, führt, wenn an Eliteuniversitäten (oder bei olympischen Spielen) die "Besten" selektioniert werden, zu einer Verschiebung der prozentualen Anteile in Richtung der durchschnittlich geringfügig höher Begabten. Genetische Rassenunterschiede, so folgert Crow, existieren, werden aber nur in Ausnahmefällen (Eliteuniversität, Olympia) relevant und können daher nicht als genetische Rechtfertigungen für Rassismus heran gezogen werden.

Genetikers Albtraum: Definieren Sie doch mal "Rasse"!

Dem Genforscher, der vor die Frage gestellt ist, ob und wie er den Begriff Rasse in einer Forschungsarbeit verwenden soll, helfen solche Gedankenspiele natürlich auch nicht weiter. Einige Zeitschriften, etwa Nature genetics und das British Nedical Journal, bitten ihre Autoren darum, den Begriff Rasse zu definieren, wenn sie ihn verwenden wollen. Das aber ist genau das Problem.

In einem gerade in der Zeitschrift Science veröffentlichten Artikel versuchen Pamela Sankar und Mildred Cho sich jetzt an dieser Herkulesarbeit - und müssen zugeben, dass sie scheitern.

Trotzdem wollen sie auf keinen Fall zugunsten der Idee von soziokulturell konstruierten Rassen auf den genetischen Rassenbegriff verzichten. Sie halten den Gebrauch von Rassen etwa in Studien als Annäherungsversuch an möglichst große genetische Ähnlichkeit für vertretbar. Hier stellt sich freilich sofort die Frage, wie denn die Rasse bei solchen Annäherungsversuchen bestimmt wird. Richtet man sich nach der Hautfarbe und allgemeinen Körpermerkmalen oder, wie es mittlerweile häufig gemacht wird, danach, welchen Ethnien sich die Probanden selbst zuordnen?

Wenn es allerdings direktere Kriterien für die Gruppierung von Probanden gibt - in erster Linien bestimmte genetische Marker, die dann aber bekannt und testbar sein müssten - sollte in Sankars und Chos Augen auf den Begriff Rasse ganz verzichtet werden. Je nach Fragestellung könne es auch ausreichend sein, Nationalitäten voneinander abzugrenzen, statt auf die notwendig unscharfen Rassen zurück zu greifen. In jedem Fall sei es wichtig, diese Überlegungen von vornherein anzustellen, statt, wie häufig, den Begriff unüberlegt und nachträglich zu verwenden. In Essenz kann man Sankars und Chos Science-Artikel also als eine Mahnung zum überlegten Umgang mit Sprache lesen - kein ganz schlechter Ansatz in der modernen Biomedizin.