Markus Linden, die "Zeit" und der Pressekodex: Der Indizienbeweisführungvermutungskritiker
Die "Zeit" teilt gegen die Nachdenkseiten aus. Das ist Ausdruck einer Krise der Presselandschaft. Ein Telepolis-Leitartikel zu Mainstream und Alternativmedien.
Wer den Umbruch der Medienlandschaft erleben will, sollte die Zeit lesen. Online ist dort seit einigen Tagen ein Beitrag des Politologen Markus Linden zu finden. Linden hat eine "außerplanmäßige Professur" an einer kleineren Universität im Westen der Republik inne und arbeitet sich gegen Honorar offenbar gerne an der alternativen Nachrichtenseite Nachdenkseiten ab.
Markus Linden macht das nicht zum ersten Mal. Für den Autor sind solche Artikel zu einem Geschäftsfeld geworden. Die Frage ist, welche Entscheidungen hinter dem Text stehen. Und dazu gibt es dann doch einige Worte zu sagen.
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Angriff auf Nachdenkseiten: Als die "Zeit" Journalismus zu bewerten versuchte
Der gesellschaftliche Trend zur Polarisierung macht auch vor den Medien nicht halt. In den letzten Jahren sind in Deutschland zahlreiche alternative Medien entstanden, teils spendenfinanziert, teils von Vereinsstrukturen getragen. Ihnen gemein ist, dass sie einen Gegenpol zu den etablierten Presseangeboten bilden wollen.
Auseinandersetzung mit Problemen des Journalismus: verpasst!
Das gelingt manchmal gut, oft leider weniger gut, aber der Trend dahinter ist eigentlich das Spannende: Es gibt offenbar eine wachsende Kritik an etablierten Medien und eine Skepsis gegen einen elitären, belehrenden Journalismus.
Wer diese Art der Berichterstattung kennenlernen will, sollte die Zeit lesen. Redaktion und Autor Linden hätten die Chance gehabt, sich vor den Lesern, der Konkurrenz und letztlich auch vor sich selbst ehrlich mit den Problemen des zeitgenössischen Journalismus auseinanderzusetzen. Daran sind sie grandios gescheitert.
Lindens Hauptargument gegen die Nachdenkseiten ist: Sie dürfen nicht, was sie tun. Maßgeblich, weil ihm nicht gefällt, wie die Seite über die Politikerin Sahra Wagenknecht berichtet. Der Zeit gefällt das wahrscheinlich auch nicht.
Was ist die Kritik? Man weiß es nicht
Ein weiteres Argument lautet: Die Nachdenkseiten machen etwas falsch. Was genau, umreißt Markus Linden nur vage. Er ist ja auch kein Journalist oder gar Medienforscher. Stattdessen führt er eine Indizienbeweisführung, die nicht nur im hier zugrundeliegenden Text daran krankt, dass er seine Vorwürfe kaum nachvollziehbar belegen kann.
Es geht also um die Nachdenkseiten und ihre Berichterstattung über die Oppositionspolitikerin und ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken, Sahra Wagenknecht. An beiden Objekten der Berichterstattung kann und darf Kritik geübt werden. Dann aber auch mit stichhaltigen Fakten und überzeugenden Argumenten.
Wagenknecht wie Höcke? Markus Linden bleibt Belege schuldig
Beispiel 1: Wagenknecht, deren namentliche Erwähnung Markus Linden mithilfe der Suchfunktion der Nachdenkseiten quantifiziert zu haben meint, wird kurzerhand mit dem rechtsextremen AfD-Mann Björn Höcke gleichgesetzt. Dafür führen Autor und für die Qualität des Textes verantwortliche Redaktion keinen Beweis an.
Die Stelle liest sich dann so: "Im Gegensatz zu Höckes offenem Neofaschismus ist Wagenknecht aber weiterhin so gewieft, die harten Formulierungen aus diesem medialen Vorfeld oder aus ihrer personellen Umgebung nicht direkt zu übernehmen, sondern vor allem den dort verbreiteten Tenor anzutriggern."
Linden und die Zeit wissen also, dass Wagenknecht eigentlich wie Höcke ist, können es aber nicht belegen, deswegen unterstellen sie der Politikerin, dass sie zwar wie Höcke denkt, dies aber nicht sagt. Chapeau, Herr Linden und liebe Kollegen der Zeit: So etwas muss man intellektuell erst einmal zustande bringen und zu präsentieren bereit sei.
Parallelen zu früheren Texten von Markus Linden
Mit dieser Art der, sagen wir, Indizienbeweisführungvermutungskritik hat Linden Erfahrungen. Schon früher wollte er, wie Telepolis-Autorin und Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer in einem früheren Beispiel beschrieben hat, den Nachdenkseiten Verschwörungstheorie nachweisen. Damals ging es um die Berichterstattung zur Corona-Pandemie.
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Auch in jenem Fall war ihm der Beleg nicht gelungen, was dann zu einem solchen Satz führte. In Bezug auf mutmaßlich verschwörungstheoretische Coronathesen, "gehen die Nachdenkseiten allerdings nicht so weit, der Verschwörungstheorie von der erfundenen Pandemie direkt das Wort zu reden".
Ein Studienmacher würde hier zu dem Schluss kommen, dass die eigene These der grundsätzlich vorherrschenden Verschwörungsmythen bei den Nachdenkseiten – natürlich in direkter Kombination mit einer "Coronaleugnung" – zu überdenken sei oder zumindest überprüft werden muss, schrieb Schiffer.
Ideologisierung füllt Defizite
Nicht so Markus Linden. Der außerplanmäßige Akademiker kompensiert seinen Mangel an Analyse und wissenschaftlichen Erkenntnissen durch Ideologisierung.
Oscar Lafontaine wird daher nicht als ehemaliger Finanzminister vorgestellt, sondern als "Kurzzeitfinanzminister", der Nachdenkseiten-Herausgeber Albrecht Müller ist jemandes "Kompagnon", Sahra Wagenknecht ist "gewieft", und mehrfach schwirren Narrative durch seinen Aufsatz wie Fruchtfliegen durch manch winterliche deutsche Küche.
Die Zeit und Markus Linden: Fragwürdige Entwicklungen
Und was soll das jetzt alles? Und weshalb widmet Telepolis dem Aufsatz in der Zeit gleich zwei Beiträge an einem Tag? Kurz gesagt: Weil hinter dieser Veröffentlichung gleich mehrere fragwürdige Entwicklungen stehen. Da ist zum einen ein Politikwissenschaftler, der sich – erfolgreich, wie es scheint – ein Geschäftsfeld erschlossen hat: die ideologisierte Medienschelte, top-down.
Dass er damit in der Zeit ein Forum findet, scheint nachvollziehbar: Zum einen versteht sich die Wochenzeitung offenbar als Gralshüter eines alten, von vielen als veraltet angesehenen Medienbetriebs.
Mit einer solchen Attitüde kann man schon mal rüde gegen neue Konkurrenz jedweder Couleur austeilen. Es ist sozusagen ein beidseitiges, wirtschaftliches Interesse, das aus dem Beitrag spricht. Linden kassiert Honorar, gegen das er die ideologische Arbeit liefert, die der Blattlinie entspricht.
Was Markttendenzen verraten
Der Wissenschaft dient das nicht. Der offenen Gesellschaft und der Qualitätspresse ebenso wenig. Es scheint vielmehr darum zu gehen, missliebige Konkurrenz abzukanzeln. Dafür sprechen die Marktzahlen.
Wie viele etablierte Medien hat auch die Zeit deutlich an Zuspruch verloren, laut der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse fast fünf Millionen Unique User zwischen März 2022 und März 2023, das ist ein Drittel dieser Leserschaft. Ob diese Art von Beschimpfung alternativer Medien aber dazu beiträgt, dass die Leser zurückkehren – man mag es bezweifeln.
Das Tragische an Markus Lindens Aufsatz und der redaktionellen Entscheidung der Zeit ist, dass beide die Chance auf eine ehrliche Auseinandersetzung zwischen alten und neuen Medien vertun, sei es aus mangelnder Kompetenz oder mangelnder Bereitschaft.
Selbstkritik fehlt
Gerade mit Blick auf den Umgang mit der Corona-Pandemie könnte man hier thematisieren, dass ein wichtiger Vertreter der Nachdenkseiten-Redaktion einen Aufruf unterzeichnet, in dem der Impfkampagne bar jedes Belegs Gesundheitsgefährdung unterstellt wird, zumal damit die Grenze zwischen Aktivismus und Journalismus verwischt.
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Zu einer ehrlichen Auseinandersetzung des Mainstream-Mediums Zeit mit dem Alternativmedium Nachdenkseiten müsste aber auch die notwendige Selbstkritik gehören. Zumindest sollte das Bemühen erkennbar sein, den eigenen Leserverlust zu erklären, der ja nicht nur die Zeit betrifft, sondern auch Branchengrößen wie den Spiegel.
Die Zeit als Sprachrohr politischer Interessen
Und schließlich muss man der Zeit vorwerfen, dass sie sich zum Sprachrohr politischer Interessen zu machen gewillt scheint. Die Vorwürfe von Markus Linden gegen die Nachdenkseiten, ähneln in Duktus und Stoßrichtung Formulierungen des Inlandsgeheimdienstes, der im Zuge der schwelenden politischen Systemkrise einen "Phänomenbereich verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" erdacht hat.
Allein das ist bedenklich. Wenn sich als demokratisch verstehende Medien diesem Trend anschließen, droht es gefährlich zu werden.
Ziffer 6, Pressekodex
Aber man kann schon eine Stufe niedriger ansetzen, bei Ziffer 6 des Pressekodex. Die Zeit stellt Linden als "außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier" vor und vergisst zu erwähnen, dass ihr Honorarautor für ähnliche Inhalte seit 2022 indirekt aus ministerialen Töpfen bezahlt wurde, umgeleitet über die auftraggebende grünennahe Denkfabrik "Zentrum Liberale Moderne".
Für diesen umstrittenen Thinktank arbeitete Linden im Rahmen zweier gegen "Alternativmedien" gerichtete Projekte: "Gegneranalyse" und "Narrativcheck". Gegenüber Telepolis bestätigte das maßgeblich regierungsfinanzierte Zentrum Liberale Moderne, dass "verschiedene Texte auf Honorarbasis von freien Autorinnen und Autoren angefertigt" wurden.
Hätte man ja wissen und erwähnen können, liebe Zeit.
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