Marx macht mobil, bei Arbeit, Sport und Spiel

Seite 3: Back to the rotten roots

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Kritische Analyse und Entschlackung marxscher Theorie, Überwindung aller Momente von Ideologie innerhalb des "Marxismus", die sich nicht an der krisenhaften gesellschaftlichen Realität ausrichten - kaum etwas hiervon wurde anlässlich des Marx-Jahrestages geleistet.

Stattdessen geht die historische Rückschau bei den Marx-Festspielen mit einer rückwärtsgewandten Orientierung der Linken einher, die ihre anhaltende Erfolglosigkeit mit dem Verlust alter, simpler Wahrheiten erklärt, die irgendwo im 19. oder 20. Jahrhundert verloren gingen.

Der Blick zurück, er dient nicht der Analyse, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Stattdessen ist man auf der Suche nach einfachen, alten Gewissheiten, die man irgendwo in der Vergangenheit zu finden glaubt. Eigentlich sucht die Linke in der eigenen Geschichte nach einer Identität. Die Parallelen zum rechten Identitätswahn der Neuen Rechten und des Islamismus sind hier evident.

Hierbei werden das Proletariat, der Klassenkampf und die "soziale Frage" gewissermaßen wiederentdeckt - und dies scheint auf den ersten Blick nur zu folgerichtig. Der Kapitalismus führt sich auch in vielen Zentren des Weltsystems wieder so brutal auf wie in dem 19. oder 18. Jahrhundert. Breite Bevölkerungsteile, wie etwa die Mittelklasse in den USA, versinken im Pauperismus, während eine dünne Schicht von Milliardären sagenhaften Reichtum akkumuliert, der die Schere zwischen Arm und Reich in absurde Dimensionen treibt.

Arbeit schützt auch in den verbliebenen Wohlstandsinseln längst nicht mehr vor Armut. Hinzu kommen die zunehmenden Kriege, die an die Hochphase des Imperialismus im 19. Jahrhundert erinnern, oder auch polizeistaatliche Tendenzen, mit denen die soziale Spaltung der Gesellschaft gewaltförmig aufrechterhalten würde. Und dennoch ist dies eine Illusion.

Dabei resultiert das gegenwärtig zunehmende Massenelend aus der voll einsetzenden Auflösung der Arbeiterklasse im globalen Maßstab, die aus dem Reproduktionsprozess des Kapitals zunehmend ausgestoßen wird. Das gegenwärtige Elend spiegelt somit seitenverkehrt den Pauperismus in der Aufstiegsphase des Kapitalismus im 19. und 18. Jahrhundert, als das Proletariat rasant anwuchs.

Die Entstehung einer überflüssigen Menschheit

Nun schmilzt es in der historischen Abstiegsphase des Kapitals ab - und der Preis der zunehmend überflüssig werdenden Ware Arbeitskraftsinkt dementsprechend aufgrund mangelnder Kapitalnachfrage in den Keller. Das Ergebnis dieses gegenwärtigen Krisenprozesses ist somit nicht die Proletarisierung der Bevölkerung - auf die Marx noch im 19. Jahrhundert hoffen konnte -, sondern in der globalen Tendenz die Entstehung einer überflüssigen Menschheit.

Komplementär hierzu verhält es sich mit den Fantastzillionen, die die globale Oligarchenkaste inzwischen akkumuliert hat: Sie sind Ausdruck einer Überakkumulation an - größtenteils fiktiven - Kapital, das kaum noch rentable Verwertungsmöglichkeiten in der Warenproduktion findet.

Bei der gegenwärtig modischen Fokussierung der Linken auf die Arbeiterklasse samt Klassenkampf und sozialer Frage werden somit die Verfallsformen der in Geschichte übergehenden Arbeiterklasse wieder zum revolutionären Subjekt deklariert.

Es ist ja auch bequem, sich eine "Klasse an sich" zu imaginieren, die qua ihrer bloßen Stellung im Reproduktionsprozess zur glorreichen Revolution berufen sei - auch wenn alle konkrete Empirie bezüglich der Geschichte und Gegenwart der Lohnabhängigen, die sich nicht anders als andere Bevölkerungsschichten verhalten, dagegen spricht.

Die reale Tragik der Krisenrealität wird hingegen gerne in diesem Milieu ausgeblendet: es gibt schlicht keine "revolutionäre Klasse" - und zugleich ist eine Überwindung des amoklaufenden Kapitals zivilisatorisch überlebensnotwendig. Dies will aber kaum ein "Marxist" wahrhaben.

Ähnlich verhält es sich bei der sozialen Frage, die von der sozialdemokratisch orientierten Linken - versetzt mit zunehmender Deutschtümelei - verstärkt gestellt wird. Eine ehrliche Antwort hierauf lautet schlicht: Die Soziale Frage ist im gegenwärtigen Krisenkapitalismus schlicht nicht lösbar.

Dies will zwar kaum jemand wahrhaben, aber angesichts der zunehmenden Krisentendenzen - ökonomisch, ökologisch, politisch - ist dies eigentlich evident. So zu tun, als ob die Zeit zurückgedreht werden könnte, ist eine bloße Lüge. Man belügt sich selbst - und die Menschen, die daran glauben wollen, dass es ein Zurück zur "Sozialen Marktwirtschaft" der 1970er geben könne. Populismus, der in der Postsozialdemokratie mit einer verstärkten Orientierung auf den Nationalstaat einhergeht, ist keine Theoriebildung.

Marxsche Theorie auf der Höhe des 21. Jahrhunderts, die den Krisenprozess ins Zentrum der theoretischen Reflexion rückte, wäre aber nicht nur zum Verständnis, sondern auch zur Antizipation der Krisendynamik befähigt. Stattdessen dominiert im deutschsprachigen Raum eine identitär-deutschtümmelnde, postsozialdemokratische Linke, die als Nachgeburt des reaktionären Zeitgeistes agiert.

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