Masern: ein Todesfall in Berlin
Politiker argumentieren für Impfzwang an Schulen und in Kindergärten. Aufklärung stößt bei Impfskeptikern an Grenzen
Auf etwa 1 Prozent bezifferte das Robert-Koch-Institut im Dezember 2013 der expliziten Impfgegner1, demgegenüber betrug der Anteil der "Impfskeptiker" 35 Prozent. Wie das Zahlenverhältnis derzeit in Berlin aussieht, ist unbekannt. Dafür gibt es seit einigen Wochen recht besorgniserregende Zahlen für den Anstieg der an Masern Erkrankten, die mittlerweile weit über 500 Fälle hinaus angestiegen ist. Heute meldete der Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) einen Todesfall infolge von Masern. Czaja plädiert für eine Impfpflicht.
Der anderhalbjährige Junge war bereits vergangenen Mittwoch der hochansteckenden Krankheit erlegen. Über die vorgeschriebenen Informationswege gelangte die Nachricht erst heute an die Öffentlichkeit. Der Gesundheitssenator fügte hinzu: "Der Junge ist gegen alles geimpft gewesen - außer gegen Masern."
Es kann sich bei den Eltern also um keine expliziten Impfgegner handeln. Die Erregung in Twitterforen mit entsprechenden Hashtags macht da allerdings keine Gefangenen, Ziel der wütenden Angriffe sind beide Gruppen, Impfgegner wie Impfskeptiker, die in einen Topf geworfen werden. Schon die Unterscheidung gerät zur Polemik: "Bei den Grünen darf man jetzt übrigens nicht mehr "Impfgegner" sagen."
Wie aufgeladen das Thema Impfung ist, ist auch einer Meldung im Ärzteblatt zum Masernausbruch in Berlin und Kalifornien zu entnehmen. Dort lautet der letzte Satz: "Für Menschen, die Impfungen ablehnend gegenüberstehen, besteht jetzt die letzte (!) Gelegenheit sich durch eine Impfung zu schützen."
Impfgegner und -skeptiker dürften von solchen Dringlichkeits-Appellen nicht zu überzeugen sein. Nötig wäre es, so dei Gesundheitsbehörden, weil sich nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene mit einer Impfung gegen Masern schützen sollten. Der Aufklärungsarbeit entgegen steht der "backfire"-Effekt. Der Effekt zeigt sich im Zusammenhang mit US-Studien, die Antworten auf die Frage liefern sollen, wie man Impfgegner von dem überzeugen soll, was für eine Mehrheit selbstverständlich ist: Dass der hochansteckenden Krankheit Masern am besten mit möglichst breit gestreuten Impfschutz beizukommen ist.
Eine Studie des Dartmouth College machte darauf aufmerksam, dass harte Fakten - die den hohen Wirkungsgrad der Impfungen belegen und anderseits zeigten, dass der Zusammenhang von Autismus und Impfungen, der in manchen Impfgegnerkreisen kursiert, nicht belegt werden kann (laut Robert-Koch-Institut ebensowenig wie Diabetes oder Multiple Sklerose) - zu keiner Einstellungsveränderung führten, sondern im Gegenteil Einstellungen gegen die Impfung verhärteten.
Ein Effekt, der mit Beobachtungen bei politischen Einstellungen verglichen wird: Ist man einmal von einer politischen Sache überzeugt, lässt man sich von Argumenten nicht auf die andere Seite ziehen, die Argumente gegen die politische Richtung verstärken eher die Abwehrhaltung.
Insofern zeigen sich bei den Impfgegnern harte Grenzen der Aufklärung - und bei den Impfskeptikern ist wohl mit Schwierigkeiten zu rechnen. Reelle Aussichten auf Erfolg, so eine Schlussfolgerung aus den amerikanischen Untersuchungen zur Änderung verfestigter Einstellungen, hätte die Überzeugungsarbeit unter Gleichgesinnten, also impfskeptische Eltern, die andere impfskeptische Eltern von der Bedeutung der Impfung überzeugen.
Aber angesichts von 574 Masern-Fälle in Berlin seit Oktober 2014 scheint die Geduld mancher Gesundheitspolitiker der Großen Koalition erschöpft. Gesundheitsminister Gröhe, der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion Spahn, und der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach setzen zwar allesamt auf Aufklärung, fügen dem nun aber auch die Rede über eine Impfpflicht an Schulen und Kindergärten hinzu.
Das Bundesgesundheitsministerium will davon vorerst aber nichts wissen. Auch in der Opposition ist man von einem Impfzwang nicht angetan. Katja Dörner, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, geht ein Zwang zur Impfung "zu weit", Harald Weinberg von den Linken ist gegen einen Impfzwang und für das Selbstbestimmungsrecht der Eltern. Doch wie weit darf dieses in das Recht auf Gesundheit der Allgemeinheit eingreifen?
Laut Robert Koch Institut ist angeraten, dass sich auch Erwachsene gegen Masern impfen lassen, um den Schutz möglichst weit auszudehnen und die Ansteckungsgefahr zu minimieren (selbst Impfskeptiker weisen daraufhin, dass eine Masernerkrankung der Mutter eines Kindes unter elf Monaten gefährlich ist).
Die Schlussfolgerung aus den genannten US-Studien zur Überzeugungsarbeit lautet übrigens, dass die persuasiven Strategien am besten von strengeren Maßnahmen, "tighter requirements", begleitet werden, die die Möglichkeit, eine Masern-Impfung zu vermeiden, möglichst gering halten.